Dank einer neuen Speicherverwaltungs-Architektur

Kendalls Parallelrechner soll bei allen Aufgaben gute Figur machen

09.10.1992

MÜNCHEN (jm) - Mit der von der Kendall Square Research Corp. patentierten "Allcache-Memory-Management"- Architektur erhoffe sich Mitbegründer, President und CEO Henry Burkhardt den großen Durchbruch nicht nur bei Naturwissenschaftlern, sondern auch im kommerziellen Bereich. Mit ihren zwischen acht und 1088 Prozessoren skalierbaren Parallelrechnern betritt das Unternehmen aus Waltham, Massachusetts, jetzt auch europäischen Boden.

Der Encore-Computer-Mitbegründer und Ex-Data-General-Mann nimmt es nicht gerade mit den kleinsten Gegnern auf: Im von Kendall anvisierten Markt tummeln sich Thinking Machines und Intel im Sonderaufgabenbereich (Special Purpose), Fujitsu, NEC, Hitachi und Cray, im Segment der Supercomputer sowie Teradata auf dem Feld der Einzelanwendung (Datenbankmaschinen). Durch den Merger mit NCR gewinnt das Teradata-ParalleIsystem zusätzlich an Marktgewicht.

Im Gegensatz zu diesen Konkurrenten positioniert Burkhardt den KSR-Parallelrechner sowohl in den Aufgabenfeldern der technisch-wissenschaftlichen als auch der kommerziellen Anwendungen Die bisherigen zwölf ausschließlich im Entwicklungsbereich von Regierungs- und Universitätsinstituten , plazierten Installationen deuten allerdings darauf hin, daß die standardmäßig mit mindestens acht CPUs-(KSRI-8) bestückten Systeme vor allem doch in den für Parallelsysteme angestammten Forschungssektor abwandern werden.

Wege in die kommerzielle DV

Allerdings könnte die von Kendall eingeschlagene Software-Ausrichtung auch Wege in die kommerzielle DV eröffnen: Das KSRI-Betriebssystem ist eine erweiterte Unix-Version von OSF/1 nach den System-V.3-Spezifikationen (ab 1993 System V.4), das konform zu den Standards Posix 1003.1, XPG3 sowie Fips 151.1 ist. Unter anderem werden NFS, Ethernet, X25 sowie SNA, LU6.2/PU2.1 und TCP/IP unterstützt.

Bislang schon verfügbar sind die Programmiersprachen Fortran für die automatische Parallelisierung und ANSI C. Noch dieses Jahr werde das Sprachenangebot durch C + + erweitert. Zudem sei auch XPG4-Konformität noch dieses Jahr geplant. Um schnelle Übertragungen zu gewährleisten, werden auch der Hippi-Standard bedient sowie FDDI-Verbindungen ermöglicht.

Von Interesse für kommerzielle Anwender dürfte die Verfügbarkeit des Oracle-Datenbanksystems in Version 7.0 sowie des Transaktionsmonitors Tuxedo der USL sein. Kommendes Jahr will Kendall die TP-Monitor-Auswahl um Transarcs "Encina"-Produkt erweitern sowie ein CICS-API hinzufügen. Weitere Neuerungen kündigte Burkhardt für 1993 mit der Unterstützung von OSF-DCE, X.400 und X.500 sowie FTAM an.

Bislang portierten Drittfirmen elf Anwendungen auf den KSR-Rechner, bis Ende 1992 sollen es insgesamt 30 sein. Auch diese Applikationen stammen alle aus den technisch-wissenschaftlichen Bereichen des Design-Engineerings, der Chemie sowie der Forschung und Entwicklung.

In Deutschland konnte das vor sechs Jahren gegründete Unternehmen bislang zwei Kunden akquirieren: die Gesellschaft für wissenschaftliche DV in Göttingen ist mit ihrem 32-Prozessor-Modell der erste deutsche Kendall-Anwender. In Bremerhaven steht am Großforschungsinstitut Wegner ein zweiter Rechner der Leute aus Waltham. In Deutschland hat sich die Kendall Square Research GmbH sowohl in Hannover als auch in München niedergelassen und wird von den Vertriebsleitern Werner Butscher (nördliches Deutschland) und Bernhard Carl (Süddeutschland, Österreich und deutschsprachige Schweiz) geleitet. Butscher kam von Cray Research über die Geschäftsführertätigkeit bei der Maspar Computer GmbH zu Kendall. Carls Stationen lauten Vertrieb, Suprenum und Vertriebsleiter Ncube.

Alleinstellungsmerkmal der KSR-Rechner ist nach den Worten des Kendall-Managements die besondere Art der Adressierung und Verwaltung des Speichers. Massiv parallele Systeme und - aus der Sicht des Programmierers gleichgeartet - geclusterte Workstations besitzen multiple Adreßräume und verteilte Speicher. Sie sind zwar in der Rechenleistung durch Hinzufügung von Prozessoren skatierbar, allerdings stellen solche Anordnungen Softwerker noch vor große Programmierprobleme.

Multiprozessormaschinen etwa von Cray, DEC oder der IBM besitzen einen gemeinsamen Zentralspeicher und einen Adreßraum. Diese lassen sich zwar leicht programmieren, .aber nur begrenzt ausbauen.

Kendall reklamiert nun für sich, daß man mit der Allcache-Memory-Management-Architektur zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könne: Der physikalisch verteilte Speicher der KSRI-Parallelrechner soll laut CEO Burkhardt so zu programmieren sein, als ob es sich um eine Shared-Memory-Architektur handeln würde.

Allcache automatisiere die Speicheradressierung und -lokalisierung. Adressen haben im KSRI-Rechner keinen festen physikalischen Ort, sondern werden auf Basis des Prozessorbedarfs und der Zugriffsmuster vergaben sowie gemeinsam genutzt. Allcache stellt ferner einen verteilten Mechanismus für die Suche nach Adressen und deren Inhalten bereit, plaziert diese in den lokalen Cache-Speichern der jeweiligen Prozessoren und sorgt auch für die sequentielle Konsistenz zwischen den Caches.

Die stufenweise' Aufrüstung über eine aus 32 Prozessoren bestehende Konfiguration hinaus erfolgt über ein Modul für die Allcache-Engine - die "KSR Allcache Router und Directory Cell" (ARD).

Der Ausbau zu einem System von über 1000 Prozessoren bei gleichzeitiger Erhaltung der Programmierumgebung geschieht durch Clusterung sowohl der CPUs als auch der Speicher. Die erste Ebene der sogenannten Allcache-Engine0 enthält Cluster mit bis zu 32 Prozessoren und wird durch die ARD-Zelle mit der zweiten Ebene Allcache-Enginel verbunden, die wiederum aus 34 Allcache-Engines0 besteht. Dies ergibt insgesamt maximal ein 1088-Prozessor-System.

Bei den einzelnen Prozessormodulen handelt es sich um superskalare 64-Bit-CPUs und einem 32 MB großen Cache-Speicher. Das KSR1-System läßt sich auch in bezug auf Peripheriekomponenten wie Stromversorgung, Massenspeicher etc. in unterschiedlicher Weise modifizieren.

Das durch vier Investoren - zu ihnen gehört auch der legendäre VAX-Entwickler Gordon Bell, Olivetti hält einen vierprozentigen Anteil - mit über 100 Millionen Dollar finanzierte Unternehmen gab als Vorstellung für ein Einstiegsmodell mit acht Prozessoren einen Preis von rund 500 000 Dollar an, in der höchsten Ausbaustufe kämen auf einen Käufer Kosten zwischen 25 und 30 Millionen Dollar zu. Als Spitzenrechenleistung gibt Kendall - je nach Modell - zwischen 320 Mflops (acht CPUS) und 43,5 Gflops (1088 CPUs) an.