Auch Europa-Chef Falotti verläßt das Unternehmen

Ken Olsen tritt zurück: Wachablösung bei DEC

24.07.1992

MAYNARD/MÜNCHEN (bk) - Der Digital Equipment Corp. (DEC) steht der gewaltigste Management-Umbruch ihrer Firmengeschichte bevor. Ken Olsen (66), Gründer und 35 Jahre Lenker und Denker des Unternehmens, tritt zum 1. Oktober 1992 zurück. Designierter Nachfolger ist Vice-President Robert B. Palmer (51). Kaum waren Olsens Pläne bekannt, warf auch Europa-Chef Pier Carlo Falotti (49) das Handtuch.

Die Wachablösung bei Digital Equipment kommt einer Sensation gleich. Zwar hatten in den vergangenen drei Jahren vor allem US-Analysten Ken Olsen zunehmend für die anhaltende finanzielle Talfahrt des Minicomputerherstellers verantwortlich gemacht - 1990/91 war bei Einnahmen von 13,9 Milliarden Dollar ein Verlust von 617 Millionen Dollar angefallen - und seinen Rücktritt gefordert, doch daß der DEC-Patriarch diesen Schritt tatsächlich tun würde, damit hatte letztlich wohl kaum jemand gerechnet.

Zu unantastbar war seine Position, schließlich hatte es seit DECs Gründung im Jahr 1957 nie einen anderen Präsidenten und CEO gegeben; und Olsen selbst schwieg zu der seit einiger Zeit häufig gestellten Frage nach einem Nachfolger stets hartnäckig. Daß Kenneth Harry Olsen die Geschicke seines Unternehmens nun doch in andere Hände gibt, scheint deshalb keineswegs auf die plötzliche Einsicht des 66jährigen zurückzuführen zu sein, den, weltweit drittgrößten Computerhersteller nicht aus der Krise manövrieren zu können.

Noch vor zwei Monaten hatte der als starrköpfig geltende DEC-Gründer erklärt, er denke nicht daran, in absehbarer Zeit zurückzutreten. In Insiderkreisen wird daher spekuliert, daß der Verwaltungsrat Olsen unter Druck gesetzt habe, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Ein Unternehmenssprecher wiederum erklärte, es sei Olsens eigener Entschluß gewesen, aufzuhören.

Wie der Rücktritt des DEC-Oberhauptes auch zustande gekommen ist - die vergangenen drei Jahre dürften wohl die turbulentesten in DECs bisheriger Firmengeschichte gewesen sein. Denn der Lack des Minicomputer-Marktführers im technisch wissenschaftlichen Bereich blätterte spätestens seit l989 langsam, aber kontinuierlich ab - ohne daß Olsen ein Rezept dagegen eingefallen wäre. Dabei brach der 66jährige gerade in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit einer Tradition nach der anderen, um das angeschlagene Schiff wieder flott zu machen. So mußte Olsen, dem Entlassungen ein Greuel sind, im vergangenen Jahr erstmals Mitarbeiter vor die Tür setzen. Dem DEC-Gründer blieb keine andere Wahl: Der aufgeblähte Kostenapparat mußte drastisch reduziert werden, dies aber konnte der personell übergewichtige Computerkoloß mit freiwilligen Abgängen und Frühpensionierungen nicht bewerkstelligen. Rund 10 000 Mitarbeiter mußten gehen, weitere Entlassungen sind bereits geplant.

Historisch ist auch der 19. Dezember 1990: Erstmals kam es in der DEC-Geschichte zur Übernahme eines Mitbewerbers. Der VAX-Spezialist kaufte die Computersparte von Mannesmann-Kienzle, um mit Hilfe des Schwarzwälder MDT-Herstellers im deutschen Mittelstandsmarkt den Anschluß zu finden.

Olsen wer früher ein Gegner von Übernahmen

Einmal auf den Geschmack gekommen, schlug DEC nur sechs Monate später erneut zu. Der ins Wanken geratene niederländische Elektronikriese Philips hatte Lust und Laune an seiner maladen Computerdivision verloren und veräußerte sie - bereinigt um die PC-Aktivitäten - an den Computerriesen aus Maynard, dem es vor allem das starke Bankengeschäft von Philips angetan hatte.

Diese rege Akquisitionstätigkeit irritierte nicht nur die Fachwelt. Olsen nämlich war bis dato ein erklärter Gegner von Firmenkäufen gewesen. Übernahmen brächten nur Unruhe ins Unternehmen, gab er oft und gerne von sich, und außerdem müsse es DEC aus eigener Kraft schaffen, zu wachsen. Auch im Headquarter in Maynard war nicht jeder mit dem neuen Einkaufskurs von Olsen einverstanden. Finanzchef James M. Osterhoff warf im September 1991 das Handtuch, zur gleichen Zeit verabschiedete sich Osterhoffs Pendant Hans-Joachim Nowak in München von DEC.

Tatsächlich haben sich beide Akquisitionen, die sich die Amerikaner Brancheninsidern zufolge insgesamt rund 800 Millionen Mark kosten ließen, noch nicht ausgezahlt. Dies bekommt vor allem die Münchner Digital Equipment GmbH zu spuren: Die deutsche Vertriebstochter wird - nicht zuletzt wegen der Eingliederung von Kienzle und der Philips-DV - für das unlängst abgelaufene Geschäftsjahr 1991/92 einen Fehlbetrag in dreistelliger Millionenhöhe ausweisen müssen (siehe auch CW Nr. 28 vom 10. Juli 1992, Seite 4). Deutschland-Chef Jörg Rieder muß sein Amt nun an Hans Wolfgang Dirkmann, den bisherigen Digital-Kienzle-Geschäftsführer, abgeben und wechselt in die Genfer Europa-Zentrale.

Fragwürdig ist zum jetzigen Zeitpunkt auch die jüngste Investition der Olsen-Company. Die Genehmigung der zuständigen Kartellbehörden vorausgesetzt, steigt DEC bei Olivetti ein - bis 1994 wollen die Amerikaner an dem Büromaschinenbauer aus Ivrea einen Anteil von rund zehn Prozent halten und dies den Italienern mit insgesamt rund 325 Millionen Dollar versüßen. Über Olivetti, so die Zielsetzung in Maynard, soll vor allem DECs RISC-Architektur rund um den neuen Alpha-Chip stärkere Verbreitung finden. Dazu beschlossen die beiden Partner neben dem finanziellen Engagement auch eine strategische Allianz, die unter anderem vorsieht, daß Olivetti künftige Produkte auf Basis der Alpha-Architektur entwickelt.

Als große Überraschung ist auch der Rücktritt von Pier Carlo Falotti, DECs Europa-Chef mit Sitz in Genf, zu bewerten. Der Italiener, dem gute Kontakte zu Olivetti Häuptling Carlo De Benedetti nachgesagt werden und der beim Zustande kommen der DEC-Olivetti-Allianz eine entscheidende Rolle gespielt haben soll, nannte bislang keinen Grund für seine Entscheidung. Auch ein Nachfolger ist noch nicht benannt, ein Indiz dafür, daß auch die Konzernleitung mit diesem Schritt nicht gerechnet hat. Kommissarisch übernimmt nächst Senior Vice-President John Smith Falottis Funktion.

Einem Bericht des britischen Branchendienstes "Computergram" zufolge sei der Europa-Chef gegangen, weil er sich selbst Hoffnungen auf Olsens Posten gemacht habe. Möglicherweise aber zieht Falotti jetzt auch die Konsequenz aus den schwindenden Erfolgen DECs in Europa. Noch vor einigen Jahren Gewinn-Lieferant für die amerikanische Muttergesellschaft, waren die Geschäfte auf dem Alten Kontinent Analysten zufolge in den letzten Quartalen stark rückläufig. Wie sich dies für DECs Gesamtergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr ausgewirkt hat, ist noch nicht bekannt. Über das Konzernergebnis hüllt sich der Minicomputerhersteller derzeit noch in Stillschweigen.

Die scheidende Management-Generation, allen voran Ken Olsen, hinterläßt dem designierten neuen Firmenchef Robert B. Palmer ein schweres Erbe. Ihm obliegt es nun, die eingeleitete massive Umstrukturierung zu einem erfolgreichen Ende zu führen, das Unternehmen vor allem aber über das laufende Geschäftsjahr zu bringen. Da nämlich die neuen RISC Rechner, basierend auf der Alpha-Architektur, erst Anfang 1993 verfügbar sein werden, dürften sie sich kaum vor Beginn des Geschäftsjahres 1993/94 in barer Münze niederschlagen. So heißt das oberste Gebot der nächsten zwölf Monate für Palmer, einen Lizenznehmer zu finden, der den Alpha-Chip produziert, und so vieler OEMs wie möglich habhaft zu werden, die die kompletten Alpha-Systeme übernehmen und vertreiben, zumindest aber die neue DEC-Architektur als Basis für eigene Rechner verwenden.