Ausbildung in der Internet-Ökonomie

Keine Scheu vor neuen Berufen

04.05.2001
Das Ergebnis überraschte selbst Kenner der Szene: 45 Prozent der Multimedia-Unternehmen bilden bereits im dualen System aus. Die repräsentative Studie ergab aber auch: Viele Firmen kennen diesen Qualifizierungsweg noch nicht. Andere wünschen sich passendere Berufsbilder. Von Helga Ballauf*

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller reagierte zufrieden: "Auch in der boomenden IT- und Multimedia-Branche gewinnt die duale Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule immer mehr an Boden." Im Auftrag seines Hauses hatte das Essener Institut Michel Medienforschung und Beratung (MMB) im vergangenen Jahr Multimedia-Firmen befragt, wie sie den Fachkräftemangel beheben. Die Studie "Ausbildung für die Internet-Ökonomie" ist die erste repräsentative Umfrage unter den mehr als 2000 deutschen Multimedia-Agenturen zum Thema. Der Befund, dass in dieser jungen Branche inzwischen fast jedes zweite Unternehmen Azubis einstellt, überraschte selbst den Deutschen Multimedia Verband (dmmv), räumt Berufsbildungsreferent Lutz Goertz ein: "Wir sind sehr zufrieden, dass es nun erstmals verlässliche Zahlen gibt."

Nach wie vor haben die meisten Beschäftigten in den Agenturen und Dienstleistungsunternehmen, die Web-Design und Softwarelösungen für Electronic Business entwickeln, eine akademische Ausbildung hinter sich. Doch die Tätigkeitsprofile in den Firmen werden vielfältiger, erste Hierarchiebenen entstehen. Dies führt laut Studie "zu einem wachsenden Bedarf an Mitarbeitern, die zur qualifizierten Ausübung ihrer Tätigkeit keiner Hochschulausbildung bedürfen". Für solche Aufgaben in Multimedia-Design, -Programmierung und -Konzeption sowie im Projekt-Management eignen sich die Absolventen der dualen Ausbildung. Der Bedarf an Fachkräften für "mittlere Funktionsebenen" wird demnach in Agenturen und Anwenderunternehmen steigen.

Im Zentrum der Michel-Studie stand jedoch die Frage, warum 55 Prozent der Betriebe bisher auf die betriebliche Ausbildung verzichten. Interviewt wurden ausgewählte Personalverantwortliche von 301 Multimedia-Agenturen und von 104 einschlägigen Fachabteilungen in großen Unternehmen sowie Experten aus Verbänden und Kammern. Es zeigte sich, dass vielfach grundlegendes Wissen über das duale Berufsbildungssystem fehlt. Häufig steckte hinter der Klage von Personalverantwortlichen, es gebe kein passendes Berufsbild für die speziellen Aufgaben der eigenen Firma, schlicht ein Informationsdefizit.

Ein Kritikpunkt tauchte immer wieder auf: Die online-spezifischen Kompetenzen kämen in den Ausbildungsordnungen der einschlägigen Berufe - wie Informatikkaufmann oder Mediengestalter für Digital- und Printmedien - zu kurz. Viele Firmen stellen auch deshalb keine Azubis ein, weil den Mitarbeitern die Zeit für eine intensive Beschäftigung mit dem Nachwuchs fehlt oder weil man sich der formalen Eignungsprüfung für Ausbilder nicht unterziehen will. Teilweise heftig war die Kritik an den Berufsschulen: Sie seien nicht fähig, ihren Part im dualen System zu spielen.

Weiterbildungsakademien einschaltenAus dieser Mängelliste leitet die Michel-Studie Empfehlungen an Wirtschaft und Politik ab: Nötig sei ein Beobachtungsinstrument, um den Personalbedarf und die Qualifikationsprofile für Multimedia-Fachkräfte regelmäßig zu erfassen. Außerdem biete sich eine Informationskampagne an, um die Ausbildungswege bekannter zu machen. Schließlich wird eine Branchendiskussion darüber angeregt, ob sich die Ausbildungsqualität durch die Einschaltung professioneller Bildungsinstitute verbessern und wie sich die fehlenden Online-Kompetenzen integrieren lassen.

Der Fachverband dmmv schlägt vor, die duale Ausbildung um einen dritten Lernort zu ergänzen. Weiterbildungsakademien könnten Aufgaben übernehmen, so dmmv-Referent Goertz, "für die in den Berufsschulen Ausstattung und Lehrer fehlen". Nicht nur die Azubis, sondern auch die Lehrkräfte selbst sollten solche Akademieschulungen besuchen, um die eigenen Qualifikationsdefizite zu beheben. Da der dmmv kein Arbeitgeberverband ist, kann er nicht direkt die Gestaltung der dualen Ausbildung beeinflussen. "Das ist ein Handicap", gesteht Goertz zu, "aber wir wollen ein Interessenverband bleiben, in dem auch Beschäftigte und Studierende Mitglied werden können."

Ausbildungsberufe als NotlösungMichel sieht einen weiteren Grund, warum der dmmv nicht mit voller Kraft für die duale Berufsaubildung in der Multimedia-Wirtschaft wirbt: "Die Branche ist in einer stürmischen wirtschaftlichen Situation. Da entsteht ein akuter Beratungsbedarf der Mitgliedsfirmen, dem der Verband zuerst nachkommen muss." Der Autor der Ausbildungsstudie hofft dennoch, dass seine Anregungen noch breiter aufgegriffen und diskutiert werden.

Wertvolle Erfahrungen könnten die Betriebe in eine solche Debatte einbringen, die bereits ein paar Jahre lang Azubis beschäftigen. Der Internet-Dienstleister Framfab Deutschland AG mit Hauptsitz in Frechen bildet Mediengestalter für Digital- und Printmedien aus. "Zum Teil eine Notlösung", sagt Personalerin Ina Rixen, "in der Fachrichtung Mediendesign ist die Ausbildung zu printlastig, und der Schwerpunkt Medienberatung ist zu grafikorientiert. Ideal wäre hier ein E-Commerce-Kaufmann." Den aber gibt es nicht, und deshalb qualifiziert das Unternehmen die zehn Azubis hausintern weiter.

Auf Eigeninitiative setzen auch "Die Argonauten", eine Agentur für interaktive Kommunikation mit Stammsitz in München. Angehende Werbekaufleute arbeiten von Anfang an bei Projekten mit, berichtet Personaler Theo Grassl, "und erwerben so das spezifische Fachwissen für den Multimedia-Bereich". Außerdem schickt die Agentur die Azubis auf Schulungen, etwa bei der Bayerischen Akademie für Werbung. Bei Pixelpark in Berlin durchlaufen gerade die ersten drei Fachinformatiker die duale Ausbildung. "Es ist so etwas wie eine Testgruppe", sagt Personalentwickler Jerome Niemeyer. "Denn gute Ausbildungsqualität braucht einen Vorlauf: Man sucht Leute, die Lust und Talent haben, sich um die Azubis zu kümmern. Auch die Fachabteilungen müssen vorbereitet sein." Die ersten Erfahrungen waren gut, so dass Pixelpark im Herbst sechs weitere angehende Fachinformatiker einstellen und 2002 mit der Ausbildung von Mediengestaltern für Digital- und Printmedien starten wird.

Die Tochtergesellschaft "Pixelfactory" des Web-Dienstleisters GFT Technologies AG bildet schon mehrere Jahre Mediengestalter aus. Ausgewählt werden die Bewerber, berichtet Personal-Manager Frank Hartmann, "die in ihrer Freizeit schon Erfahrungen mit Multimedia gesammelt haben". Im Agenturalltag störe die Printlastigkeit des Berufsbilds nicht, wohl aber bei der Vorbereitung auf die Abschlussprüfung. Die ersten Absolventen hat Pixelfactory bereits übernommen.

Keine Patentrezepte für E-BerufeExperimentieren ist angesagt. Zu dem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb), Bonn, zum Qualifikationsbedarf im Arbeitsfeld E-Commerce. Es zeigte sich, dass Medienberufe mit kaufmännischer Ausrichtung in Zukunft um ganz neue Online-Aufgaben erweitert werden müssen. "Im Zeichen von E-Business werden die Orientierung auf Geschäftsprozesse im Netz und das entsprechende Projekt-Management immer wichtiger", unterstreicht Bibb-Experte Volker Rein. Er plädiert für flexible Ausbildungsordnungen, die Qualitätsstandards festlegen, nicht aber detaillierte Inhalte und Vermittlungswege. "Es gibt keine Rezepte für den Kompetenzerwerb in der E-Wirtschaft", sagt Rein und verdeutlicht das am Beispiel "Kommunikationsfähigkeit": Alle Betriebe unterstrichen bei der Bibb-Befragung, wie wichtig diese Schlüsselqualifikation in der Internet-Ökonomie sei. "Was der Kaufmann aber tatsächlich können muss, wenn er mit Kunden, Kollegen und Geschäftspartnern nur noch über den Bildschirm kommuniziert, das wissen wir alle noch nicht", betont Rein. Zunächst müssten also Erfahrungen beim Training on the Job gesammelt und danach systematisch ausgewertet werden.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.