Zukunftsmärkte nicht adressiert

Keine Euphorie über RS/6000: IBM entdeckt Softwaredefizite

31.01.1992

STUTTGART (CW) - Während IBM mit dem Verkaufserfolg der RS/6000-Serie durchaus zufrieden ist, werden eigene Defizite im Unix-Markt selbstkritisch eingeschätzt. Die Geschäftsziele für 1992 orientieren sich auf eine Verbesserung des Software-Angebots.

Kisten zu verschieben, ist eine Tätigkeit, die im Hause IBM nicht sonderlich Pluspunkte einbringt. "Die Interessenten wollen wissen, ob wir die gewünschten Anwendungen haben", beschreibt Dieter Kolb, Leiter des Bereichs RISC-Systeme und AIX, die Situation. Wenn sie dann kaufen, fragen viele nicht mal nach dem Preis der Hardware."

Daher sieht er im Markterfolg der RS/6000 keinen Grund, sonderlich stolz zu sein - es sei denn bei einem Vergleich mit den Ergebnissen der deutschen IBM gegenüber denen der Muttergesellschaften und ihrer anderen europäischen Töchter.

Immerhin können sich die Verkaufszahlen, die Big Blue veröffentlicht, sehen lassen. Die Ablösung der unglücklichen RT-Reihe durch die RS/6000 seit Frühjahr 1990 hat die Marktverhältnisse deutlich verändert. Noch im selben Jahr verkaufte IBM weltweit rund 15 000 der neuen RISC-Systeme. Big Blue rangiert damit nicht mehr unter "ferner liefen" im Workstation Markt. Nach Angaben des Marktforschungsinstitutes Dataquest gehört IBM jetzt zur Vierergruppe, die drei Viertel des Marktes für RISC-Workstations beherrscht.

Nach Umsätzen führte 1991 Sun mit 29 Prozent Marktanteil vor Hewlett-Packard (18,8), IBM (16) und DEC (11). Nach Installationen behauptet Sun mit 36 Prozent den ersten Platz, gefolgt von HP (16), DEC (13) und IBM (9) - was bedeutet, daß Sun eher kostengünstigere Maschinen im Low-end-Bereich verkauft, Big Blue aber am oberen Ende der Preis- und Leistungs-Skala mehr Geschäfte macht und folglich bessere Profite erzielt. Ein großer Teil am Aufholen der IBM dürfte auf das Konto ihrer deutschen Tochtergesellschaft gehen, die im Detail allerdings keine absoluten Geschäftszahlen veröffentlicht.

Nach Angaben der IBM Deutschland sei im letzten Jahr die Zahl der Neuinstallationen mehr als verdoppelt worden das Umsatzziel von plus 65 Prozent sei um 15 Punkte überboten worden. Damit allerdings hört der rundweg erfreute Ton im IBM-Bericht über fast zwei Jahre RS/6000 auf.

Trotz der für Klaus Neumann, Produkt Manager im Bereich RISC-Systeme und AIX erfreulichen Hardware-Ergebnisse gibt sich der IBM-Mann selbstkritisch, wird das Erreichte in Sachen Software betrachtet. Der Koloß hat in einem strategischen Marktsegment nur ein Standbein: Im Workstation-Markt kommen 80 Prozent der IBM-Umsätze von Hardwareverkäufen, während die Software nur 20 Prozent beiträgt.

Das aber kollidiert nach Ansicht von Branchenanalysten mit einer Erfahrung, die sich geradezu traumatisch im kollektiven Gedächtnis der IBM eingegraben hat. Mit Personal Computern habe IBM erlebt, daß eine marktdominierende Position bei Hardware nie aus sich allein heraus zu behaupten sei sondern vielmehr Software den Schlüssel zur Macht darstelle.

Daß inzwischen nach IBM-Angaben rund 1000 Anwendungen auf dem Unix-Betriebssystem-Derivat AIX für die RS/6000 zur Verfügung stehen, ist den IBM-Managern in diesem Geschäftsbereich nicht genug. Auch daß es von den für andere Betriebssysteme bekannten Programmen mehr Portierungen als nur von der Konstruktionssoftware Catia gibt, reicht ihnen ebensowenig als Entschuldigung. RISC-Chef Kolb sieht dennoch markante Lücken.

Bei Applikationsentwicklung wenig Leistung gezeigt

Vor allem fehlt immer noch ein starkes relationales Datenbanksystem. Daß bekannte Produkte anderer Unternehmen für AIX angepaßt sind, gilt bei IBM bestenfalls als Verkaufsargument, nicht aber als Ausdruck eigenen Leistungsvermögens. Und dasselbe Problem besteht hinsichtlich der zukunftsträchtigen Bürokommunikation.

Weiterhin gibt es die hauseigene Lösung Officevision nicht für AIX. Um überhaupt etwas 2 anbieten zu können, wurde ein Bündnis mit einem anderen Unternehmen geschlossen, nämlich mit Uniplex zur AIX-Integration der gleichnamigen Bürokommunikations-Lösung. Zugleich wird weiter daran gearbeitet, Officevision für AIX verfügbar zu machen.

Große Lücken sieht IBM auch bei betriebswirtschaftlicher Software Erfolgreiche Lösungen aus der PC/PS-Welt, vor allem aber aus der AS/400-Welt, müssen auf AIX portiert werden - sie sollen bei dieser Gelegenheit wohl auch gründlich überarbeitet und erweitert werden.

"Marktanteile haben wir bisher in erster Linie aus dem klassischen Unix-Markt gewonnen und erst in zweiter Linie aus dem kommerziellen Segment", resümiert Kolb. 60 Prozent der RS/6000-Kunden kämen aus dem technisch-wissenschaftlichen Sektor, während der Rest dem kommerziellen Bereich zuzurechnen sei. Dieses Verhältnis soll umgekehrt werden.

Damit wird die RS/6000-Familie zur Konkurrenz für die AS/400, dem Verkaufshit der IBM bei kommerziellen Anwendungen Anfangs habe es, so Kolb, durchaus Verwirrung bei den Verkaufsberatern gegeben. Inzwischen aber sieht er das Problem als kaum mehr existent an. Die Leute hätten sich daran gewöhnt, den Kunden eben zwei Angebote zu unterbreiten.

Ein weiteres AIX Defizit sieht IBM beim Software-Engineering. Kolb: "Bisher haben wir uns bemüht, die Anwendungen auf der RS/6000 zu haben. Jetzt geht es darum, daß wir die Entwicklungsplattformen der Softwarehäuser gewinnen. CASE wird unser Schwerpunktthema.

Der Hebel dazu wird mit neuer Software angesetzt. Die Version 3.2 von AIX integriert weitere internationale Standards und neue Funktionen Heterogene Umgebungen werden durch "AIX Netview/6000" und "Netware" unterstützt. "AIX Software Development Solutions" (AIX SDS) ist die neue Entwicklungsplattform für diese Umgebung. Das Paket "AIX CASE" besteht aus diesem SDS und Werkzeugen von Partnern.

"Entwicklungsplattformen mit CASE gewinnen"

Den Rahmen für alle Entwicklungen bildet das Produkt "AIX Software Development Environment" (SDS Workbench/6000) Ähnlich wie ein Betriebssystem stellt dieses Programm Dienste und Schnittstellen für weitere - auch fremde - Werkzeuge zur Verfügung.

Basis ist das CASE-Referenzmodell der European Computer Manufacturers Association (ECMA). Dieses wird ergänzt um die Datenintegrations Services, die der Norm Portable Common Tools Environment (PCTE) der ECMA entsprechen. Damit ergäbe sich nach IBM-Aussagen ein komplettes Repository unter AIX/6000 auf den RS-Systemen.

Mit der AIX Version 3.2 geht die IBM laut AIX Manager Neumann "schrittweise in Richtung OSF/1". Jetzt entsprechen auch File-System und Schnittstellen den OSF-Spezifikationen, wobei die Konformität zur "Application Environment Specification" (AES) der OSF hervorgehoben wird.

Software-Umsätze sollen mehr als verdoppelt werden

Noch ist der OSF-Kernel Mach1 nicht integriert, aber das soll mit der AIX-Version 4 gelingen.

Dieses Release wird zur Zeit bei der X/Open auf Konformität getestet und soll binnen Jahresfrist verfügbar sein.

Die Betonung der Software findet sich in den von ISM proklamierten AIX-Zielen für 1992 wieder. Die Neuinstallationen von RS/6000 Hardware sollen nach Zahl und Wert um 65 Prozent zunehmen, das Erreichen eines Marktanteils von 15 Prozent nach Zahl wird angepeilt. Die Software-Umsätze allerdings sollen gleich um 110 Prozent wachsen.

Auch ein verändertes Kundenspektrum möchte IBM erreichen. 1991 wurde ein Fünftel der RS/6000- und AIX-Umsätze im Bereich Forschung und Lehre gemacht. In diesem Jahr sollen es noch 14 Prozent sein. Steigerungen hofft man hingegen in den Marktsegmenten Handel und Dienstleistungen auf 23 Prozent sowie Fertigung und Grundstoffe

Im Segment Kredit- und Versicherungswesen will Big Blue sieben Prozent des AIX-Umsatzes 1992 generieren. IBM beklagt, daß im öffentlichen Dienst (Marktziel: sieben Prozent) deutsche Anbieter bevorzugt würden.