Keine Chance für Eigenbrötler

21.12.2005
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.

Dass Hochschulen unverändert wenig für die in der Berufspraxis außerordentlich wichtigen Schlüsselqualifikationen Rhetorik, Zeit- und Projektmanagement beigetragen, ist auch ihrem Kollegen Eric Müller, 26, ein Dorn im Auge. Wer heute sein Studium abschließt, sollte wissen, dass soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit "mindestens genauso wichtig sind wie das geforderte Fachwissen". Müller studierte Informatik an der FH München und landete zunächst bei einem kleinen Unternehmen, wo er unter Linux administrierte.

Doch damit allein fühlte sich der junge Informatiker unterfordert. Zudem bot ihm der mittelständische Betrieb "nicht genug Chancen zur Weiterentwicklung". Seit Oktober 2003 ist Müller nun bei GMX, einem weiteren Internet Service Provider, der als Tochtergesellschaft ebenso wie Schlund + Partner oder Adlink der 1&1 Internet AG untersteht, die wiederum Tochter der Holding United Internet AG (4500 Mitarbeiter, 510 Millionen Euro Umsatz) ist.

Am GMX-Sitz in München ist Müller, der unmittelbar nach dem Einstieg mit einer eigens entwickelten Anti-Spam-Lösung eine tolle Visitenkarte ablieferte, inzwischen zum Senior-Entwickler aufgestiegen. Alles, was mit Datenbankanbindung und Mail-Zugriff zu tun hat, liegt in seiner Verantwortung. Als Führungskraft motiviert er Kollegen, eigene Ideen einzubringen und offen über Fehler zu sprechen. Als Projektleiter nimmt er einmal pro Woche an einem Gruppenmeeting teil; in einer weiteren, zweimal im Monat anberaumten Runde tauschen sich alle Entwickler über neue Unternehmensziele aus.

Lohn der Mühe

Während der GMX-Mann die Führungskarriere eingeschlagen hat, möchte sich seine Kollegin Sperr, die regelmäßig zur Abstimmung mit ihren Kollegen nach München fährt, künftig auf fachliche Aufgaben konzentrieren. "Mich reizt, ein großes Projekt eigenverantwortlich durchzuplanen und an der Modellierung maßgeblich beteiligt zu sein." Um ihren Entwicklern attraktive Karriereperspektiven aufzuzeigen, wird 1&1 neben der bereits etablierten Führungslaufbahn auch die Fachlaufbahn zum "Solution Manager" ins Leben rufen. Solution Manager, so Personalerin Hefft, wirkten mit bei strategischen Entscheidungen, bezögen ein persönliches Fortbildungsbudget und könnten einen Teil ihrer Arbeitszeit interessanten Projekten widmen. Ziel der Karriereoption sei eine "echte Alternative zur Führungslaufbahn". Fachlich herausragenden Mitarbeitern wolle man "eine dauerhafte Perspektive" aufzeigen.

Informatiker wie Sperr und Müller repräsentieren eine neue Generation von IT-Spezialisten. "Anders als noch vor fünf Jahren", erläutert Personalleiterin Sonja Hefft, "findet man kaum noch Eigenbrötler. Heute müssen IT-Spezialisten wesentlich kommunikativer und sozialverträglicher sein." Selbstbewusst nehmen sie auch Umstände in Kauf, die für andere untragbar erscheinen. Wer bei 1&1 mehr als die offiziell vereinbarten 40 Stunden pro Woche arbeitet, hat keinen Anspruch auf Überstundenausgleich. Und auch die Gehälter sind nicht unbedingt "erste Sahne". Dass es Zuschüsse gibt für Kantinenessen, für den öffentlichen Nahverkehr oder die Altersversorgung, macht diese Nachteile ebenso wenig wett wie das Angebot kostenfreier Getränke oder Obst. Aber davon lassen sich Anke Sperr und Eric Müller ohnehin nicht beeinträchtigen. Entscheidender ist es für sie zu beobachten, wie die eigene Leistung im Markt einschlägt. "Es macht einfach Spaß mitzubekommen, dass Kunden annehmen, was wir entwickeln."