Neue Regeln für IT- und TK-Aufträge

Keine Abnahme mehr für Softwareprojekte?

09.08.2002
Seit dem 1. Januar 2002 gelten durch gesetzliche Neuerungen ("Schuldrechtsmodernisierung") grundlegend andere Rechtsregeln für IT- und TK-Projekte. Für die Neuerstellung von Individualsoftware im Kundenauftrag ist jetzt Kaufrecht mit Ergänzungen durch einige Werkvertragsregeln wirksam. Anbieter und Kunden müssen ihre Verträge, das "Kleingedruckte" und die Geschäftsabwicklung an die geänderten rechtlichen Vorgaben anpassen. Von Martin Schweinoch und Rudolf Roas*

Für bis Ende 2001 abgeschlossene Verträge über IT- und TK-Projekte war rechtlich eines klar: Es handelte sich fast immer um Werkverträge. Die Konsequenzen haben das Projektgeschäft jahrelang mitgeprägt: Diskussionen um Abnahmeprüfungen, Abnahmeerklärungen und Vergütungszahlungen. Die Gesetzesänderungen zum Jahresanfang bringen hier wichtige Neuerungen. Nur haben das viele Betroffene noch gar nicht bemerkt.

Eine der vielen Gesetzesänderungen betrifft den Anwendungsbereich des Werkvertragsrechts. Für Verträge über die Herstellung "beweglicher Sachen" gilt jetzt Kaufrecht. Das entfacht in der Rechtsliteratur einen alten Streit wieder neu: Ist Software rechtlich eine Sache? Die Rechtsprechung beantwortet diese Frage - unter vielen Vorbehalten - bislang mit einem vorsichtigen Ja. Folgt man diesem Argument, dann muss für IT- und TK-Projekte zur Neuerstellung von Individualsoftware in der Tat Kaufrecht gelten.

Kein Geld für Kostenvoranschläge

Für Anpassungen vorhandener Software und Bearbeitungen von Gegenständen des Auftraggebers soll aber weiter das Werkvertragsrecht anzuwenden sein wie auch für Planungs- und Überwachungsaufträge etwa zur Erstellung des Pflichtenheftes. Die Frage, wo genau die Grenzen zwischen Erstellungsprojekten einerseits und Anpassungs- oder Konzeptionsaufträgen andererseits verlaufen, wird auch die Fachjuristen noch einige Zeit beschäftigen.

Doch damit nicht genug: Gilt für ein Erstellungsprojekt jetzt Kaufrecht statt zuvor Werkvertragsrecht, dann sieht das Gesetz einige Besonderheiten vor. Ergänzend zum Kaufrecht sind einige Werkvertragsregeln anzuwenden, wenn es um die Erstellung "nicht vertretbarer" Sachen geht. "Nicht vertretbar" sind Gegenstände, die üblicherweise nicht gehandelt und nicht mehrfach identisch veräußert werden. Wird Standardsoftware erstellt, ist sie wie früher als vertretbare Sache zu behandeln und bleibt damit alleine dem Kaufrecht unterstellt.

Wird individuell für den Kunden Software gefertigt, gelten ergänzend zum Kaufrecht die gesetzlichen Werkvertragsregeln über die Mitwirkung des Kunden, die Kündigung durch den Auftragnehmer bei unzureichender Kundenmitwirkung und das jederzeitige Kündigungsrecht des Kunden. Ebenfalls anzuwenden sind die werkvertraglichen Vorschriften zur Verantwortung des Kunden für seine Beistellungen und Anweisungen sowie der Grundsatz, dass Kostenvoranschläge nicht zu vergüten sind.

Kunde muss sich allein um Tests kümmern

Diese rechtliche Mischung aus Kaufvertrag und bestimmten Werkvertragsregeln gab es für die Neuerstellung von Individualsoftware zuvor nicht. Sie wirft einige rechtliche Fragen auf, lässt viele Unterschiede zum klassischen Werkvertrag aber bereits klar erkennen. Der wohl wichtigste Unterschied: Das Gesetz sieht keine Abnahme der zu erstellenden Individualsoftware vor. Die Notwendigkeit von Abnahmeerklärungen entfällt ersatzlos. An die Stelle einer - gesetzlich nicht geforderten - Abnahmeprüfung tritt die kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht beim Kaufvertrag. Die im Rahmen dieser Pflicht vom Kunden vorzunehmenden Tests sind typischerweise bei weitem nicht von der Tiefe und Intensität wie eine Abnahmeprüfung. Nach dem gesetzlichen Leitbild hat sich der Kunde zudem allein um diese Tests zu kümmern.

Eindeutig positiv für Anbieter im neuen Gesetz: Wenn die Erstellungsleistung dem Kunden abgeliefert wird, beginnt damit die Gewährleistungsfrist zu laufen. Früher musste der Anbieter dem Kunden belegen, dass die Leistungen vollständig und mangelfrei waren, wenn er eine Abnahmeerklärung und damit den Beginn der Gewährleistungsfrist erzwingen wollte. Nun muss der Kunde ab Ablieferung der Leistung darlegen und nötigenfalls auch beweisen, dass die Erstellungsleistungen mangelhaft sind, wenn er Gewährleistung geltend machen will. Und für die Anbieter wohl am wichtigsten: Für die Fälligkeit der Vergütung ist keine Abnahmeerklärung des Kunden mehr notwendig, die bloße Ablieferung der vereinbarten Erstellungsleistung genügt.

Mangelansprüche auch später geltend machen

Die Regelung, wonach mit der bloßen Ablieferung der vereinbarten Erstellungsleistung die Vergütung fällig wird und die Gewährleistungsfrist beginnt, ist für Anbieter verlockend. Gerade in größeren Projekten kann der Wegfall von Abnahmeprüfungen und Abnahmeerklärungen aber nicht nur Vorteile bieten. Der Kunde muss dem Anbieter nicht mehr zeitnah nach Übergabe der Leistungen erklären, ob er damit - mehr oder weniger - zufrieden ist. Er kann während der Verjährungsfrist von nun zwei Jahren ab Ablieferung der Leistungen seine Mangelansprüche geltend machen und - zunächst nach seiner Wahl - Nachbesserung oder Neuerstellung verlangen.

Gerade größere Softwareprojekte werden beim Auftragnehmer oft durch ein kopfzahlenstarkes Team manchmal an mehreren Standorten bearbeitet und realisiert. Auch die technische Infrastruktur ist häufig ebenso aufwändig wie komplex. Das Projektteam und die technische Infrastruktur werden nach Projektende abgebaut, die Teammitglieder werden für andere Aufgaben in anderen Projekten eingesetzt.

Fordert der Kunde einige Zeit nach Projektabschluss und Ablieferung der Software nun Gewährleistungsarbeiten, stellt dies den Anbieter nicht selten vor logistische Probleme und bedeutet erhebliche Zusatzaufwände gegenüber der Fertigstellung dieser Arbeiten vor Auflösung des Projektteams und der -infrastruktur. Es liegt also durchaus im Interesse des Anbieters, dass übergebene Leistungen zeitnah vom Kunden - möglicherweise gemeinsam mit ihm - mit dokumentiertem Ergebnis geprüft und etwa noch notwendige Auftragnehmerarbeiten rasch begonnen werden. Das Gesetz sieht nach dem Wegfall der Abnahme keine entsprechenden Pflichten mehr vor.

Das neue Gesetz enthält auch Nachteile für den Auftragnehmer gegenüber der früheren Gesetzeslage. Die gesetzliche Pflicht zu Abschlagszahlungen für abgeschlossene Teilleistungen gilt beim "Kaufprojekt" nicht mehr. Früher verlor der Auftraggeber seine Gewährleistungsrechte für Mängel, wenn er trotz deren Kenntnis eine vorbehaltlose Abnahme erklärte. Dieser Mechanismus ist so nicht mehr ohne weiteres anwendbar. Teilabnahmen verbunden mit der Vergütungspflicht für die abgenommenen Leistungen sieht das Gesetz auch nicht mehr vor.

Fazit: Kunden und Auftragnehmer müssen ihre Projektverträge dringend dem neuen Recht anpassen und dieses gemeinsam gestalten. (hk)

*Martin Schweinoch und Rudolf Roas sind Partner der Münchner Anwaltskanzlei Schweinoch Tacke Roas (www.s-t-r.de), die IT-Business und E-Commerce rechtlich betreut. Schweinoch ist Vorsitzender des Fachausschusses AGBs und Juristische Leitfäden im Bitkom.