Unternehmen wollen Wissen effizienter nutzen

Kein Tool ersetzt das Engagement der Mitarbeiter

26.05.2000
Knowledge-Management hat das Zeug zum echten Modewort. Kaum ein Unternehmen, das daran vorbeikommt. Doch den Erfolg bringt kein Werkzeug, sondern die praktische Umsetzung - und die ist oft schwierig.Von Gabriele Müller*

Wissens-Management gilt als Produktionsfaktor, als Motor für Veränderungen, als Grundlage für eine andere Unternehmenskultur - kurz als Garant für unternehmerischen Erfolg. Wie und wo es richtig eingesetzt wird, darüber streiten sich Heerscharen von Beratern und Entwicklern von Knowledge-Management-Systemen. Doch in den deutschen Firmen scheint bei aller Akzeptanz des Themas die praktische Umsetzung im Arbeitsalltag hinterher-zuhinken. Das jedenfalls hat eine Studie der Meta Group, München, ergeben.

Danach setzten im vergangenen Jahr nur 16 Prozent der befragten 120 Unternehmen ein System für das Wissens-Management ein, nur acht Prozent verwendeten ein Content-Management-System zur Pflege ihres Intranet. Gleichzeitig gab aber jedes vierte Unternehmen an, das firmeninterne Netz systematisch für den Zugang zum Wissen der Mitarbeiter zu nutzen. "Das ergibt für uns eine große Diskrepanz zwischen den Angaben der Firmen und der tatsächlichen Nutzung", zieht Anke Hoffmann, Beraterin bei der Meta Group, ein Fazit. "Vor allem im Hinblick auf den Aufbau der Unternehmenskultur für ein Wissens-Management und die Bereitschaft der Beschäftigten, auf dieser Basis zu arbeiten", befällt die Beraterin Zweifel.

Denn das schönste und ausgefeilteste System nutzt wenig, wenn es nicht gelebt wird. Diese Erfahrung hat auch Klaus Wunderlich, Leiter Koordination Service bei Daimler-Chrysler, gemacht. Der Automobilriese setzt auf "Knet - the Knowledge Network", eine Wissens-Management-Plattform der Firma Danet Internet Solutions aus Stuttgart. Aber nicht als übergestülptes System, sondern als gewachsenes Endprodukt, das Anbieter und Nutzer gemeinsam den betrieblichen Bedürfnissen angepasst haben. "Knet hat schon fast eine betriebsinterne Evolution durchlaufen", blickt Wunderlich zurück. "Im Bereich Service-Marketing von Mercedes-Benz haben wir immer wieder Wünsche und Funktionalitäten beschrieben."

Mit der Hilfe von Knet verwaltet ein achtköpfiges Redaktionsteam relevante Daten für einen Kreis von rund 3000 Mitarbeitern, die weltweit auf die Wissensplattform zugreifen und die Inhalte konkret am Arbeitsplatz umsetzen können. Zum Beispiel werden die rund 60 Verkaufsförderungsmaßnahmen, die für unterschiedliche Märkte und Länder entwickelt wurden, nicht mehr aufwendig gedruckt, sondern schnell und kostensparend über das Netz bereitgestellt. Vor allem aber können auch Erfahrungsberichte aus vielen Ländern, in denen diese Marketing-Tools bereits umgesetzt wurden, als Referenz für andere Märkte hinterlegt werden. Die Mitarbeiter aus dem weltweiten Vertriebsnetz von Daimler-Chrysler finden sie im Service-Intranet wieder, wo sie sich per Mausklick und nach Schlagworten wie Marktanteil, Händlerimage, Kundenbindung, Preisgestaltung, Kommunikation oder Dienstleistungen über die getesteten länderspezifischen Marketing-Aktivitäten informieren können. "Wenn Ratschläge und Lösungen aus den eigenen Reihen kommen, werden Ideen auch viel eher akzeptiert", schätzt Wunderlich ein. "Damit wird unsere Rolle hier in Stuttgart mehr und mehr zu der eines Wissens-Brokers."

Als "Knowledge Based Company", deren Wertschöpfung vor allem durch die Anwendung von Wissen realisiert wird, bezeichnet sich auch der Geschäftsbereich Information and Communication Networks (ICN) der Siemens AG, wo heute nach eigenen Aussagen schon mehr als die Hälfte des Umsatzes nicht mit Produkten allein, sondern mit "Know-how-intensiven Komplettlösungen" erzielt wird. "Entscheidend ist beim Wissens-Management die richtige Mischung aus Hightech und Hightouch, denn der erfolgreiche Austausch von Wissen basiert immer auf funktionierenden Beziehungsnetzwerken und Infrastrukturen. Deshalb sprechen wir auch nicht von Knowledge-Management, sondern von Knowledge-Networking", erklärt Christian Dachs, Leiter des Knowledge-Networking-Teams bei Siemens ICN.

Dachs nennt die Gelben Seiten im Intranet als Beispiel. Sie helfen Mitarbeitern, zu allen Wissensgebieten die richtigen Ansprechpartner unter den Kollegen beim Münchner Telekommunikationsanbieter zu finden. Das trägt auch zur Kundenbindung und -zufriedenheit bei. "Aufgrund der kurzen Halbwertzeit dieses Wissens wollten wir es nicht in Datenbanken ablegen, sondern besser Verweise auf die Mitarbeiter geben, die es besitzen und pflegen. So entsteht ein Netz mit Knoten aus sich ständig selbst aktualisierendem Wissen", fasst Felix Klostermeier vom Knowledge-Networking-Team die Entstehungsgeschichte der "Gelben Seiten" zusammen.

Heute haben in dem Verzeichnis 1000 Mitarbeiter ihr persönliches Wissensprofil hinterlegt und stehen für Anfragen von Kollegen zur Verfügung. Daten wie Telefonnummer oder E-Mail-Adresse werden automatisch geladen, die Such- und Eingabemasken sind übersichtlich und benutzerfreundlich aufgebaut. Die Mitarbeiter tragen nur noch ein, wann sie für Anfragen zur Verfügung stehen, dokumentieren ihre Wissensgebiete und den Grad ihrer Kenntnis und können auf Projektberichte, Frequently Asked Questions oder Fachpublikationen im Intra- und Internet verweisen.

Dabei basieren die Gelben Seiten auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. "Jeder, der sich eingetragen hat, tut dies in dem Bewusstsein, dass Knowledge Networking ein ausgewogenes Geben und Nehmen braucht. Außerdem hat sich bereits seit einiger Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass die bessere Wissensvernetzung der einzige Weg zu nachhaltigem Geschäftserfolg im Lösungsgeschäft ist", so Klostermeier.

Wissens-Management-Lösungen gibt es viele. Häufig aber sind es Großunternehmen, bei denen der Einsatz solcher Systeme vorangetrieben wird. Hinkt der Mittelstand hinterher? "Das Thema wird überall heiß diskutiert", weiß Gerald Lembke, Inhaber der Firma Learnact aus Wiesbaden. "Das gilt für Startups ebenso wie für Mittelständler." Mit seinem Beraternetzwerk will Lembke dazu beitragen, "mehr zu vermitteln als nur beliebige IT-Lösungen". Er hat in seiner Beraterpraxis erfahren, dass es sich "Konzerne vielleicht leisten mögen, eher große Summen in moderne Technologie und Werkzeuge zu investieren. Ein Mittelständler fragt dagegen immer: Wie erhöht es unsere Produktivität?"

Genau darin sieht Lembke das Problem. Denn es ist schwierig zu messen, ob sich ein Knowledge-Management auszahlt. "Ziel muss es sein, grundlegende Veränderungen herbeizuführen, Arbeitsabläufe zu optimieren, Prozesse neu zu gestalten", erklärt er seinen Kunden immer wieder. "Da kommt ein mögliches Umsatzplus erst ganz am Ende." Viel wichtiger ist die Einbindung der Mitarbeiter und ihres Wissens, Könnens und ihrer Erfahrungen. Das motiviert und schafft eine neue Unternehmenskultur - die sich nur schwer mit Zahlen belegen lässt.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.

WISSENSCHAFT UND UNTERNEHMENSeit 1996 gibt es den Arbeitskreis Wissens-Management in Kaiserslautern (WMK), der sich aus Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz zusammensetzt. Die Gruppe, die rund 90 Mitglieder umfasst, hat sich zum Ziel gesetzt, neue Forschungsansätze zu diskutieren und Lösungen vorzustellen. Die Ergebnisse wollen die Wissenschaftler auch interessierten Firmen zugänglich machen. So bieten die angeschlossenen Forschungsinstitute wie das Centrum für Produktionstechnik (CCK) an der Universität Kaiserslautern auch Informationsveranstaltungen, Orientierungsberatungen und Verbundprojekte mit Wirtschaftsunternehmen an.

Zum Teil besteht auch für Firmen die Möglichkeit zur Teilnahme an Forschungsprogrammen, wie beim Projekt "Innowima", das vom Land Rheinland-Pfalz gefördert wird, um die Innovationsfähigkeit kleiner und mittelständischer Unternehmen durch Wissens-Management zu fördern. Weitere Informationen gibt es unter http://www.cck.uni-kl.de/wmk/.

MarktstudieDas Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart (IAO) hat unter dem Titel "Wissensbasierte Informationssysteme - Enabler für Wissens-Management" eine Marktstudie herausgebracht, in der zwölf Tools vorgestellt und verglichen werden. Fazit: Neben der Definition von Anforderungen an Software-Tools ist vor allem der richtige Provider wichtig. Denn viele Hersteller arbeiten mit Partnerunternehmen zusammen, die den Consulting- und Begleitservice übernehmen. Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass diese Partner nicht immer über das Wissen des Herstellers verfügen, so das IAO. Oft sei das gewünschte Ergebnis trotz eines guten Tools nicht erreicht worden. Daher ist das Angebot von Ausbildungs- und Schulungsprogrammen für die Anwender besonders wichtig, um keine zusätzlichen Barrieren im Unternehmen aufzubauen. Die Studie ist zu bestellen beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart, Fax 0711/ 970-2299.