Prüfkriterien für die Standardsoftware-Auswahl:

Kein Softwarepaket ist vollkommen

01.08.1980

Fast jeden Tag wird in Deutschland ein Standard-Softwareprodukt dem Markt anvertraut. Der potentielle Interessent kann sich wohl des Gefühls nicht erwehren, auf "Brautschau" zu sein; soll doch das Paket den "häuslichen" Anforderungen gewachsen sein - und das heimische Budget nicht überlasten. Die Zahl der allein im Isis-Katalog aufgeführten Produkte ist von 1070 im Jahre 1976 auf über 2000 im Jahre 1979 gestiegen. Deswegen ist es aus verständlichen Gründen angebracht, strukturiert vorzugehen, um das wirtschaftlich vertretbare, und gleichzeitig den jeweiligen Anforderungen gerecht werdende Produkt zu kaufen.

Die Verwendung von Prüflisten, um zu einer objektiv vergleichbaren Beurteilung der Standardsoftware zu gelangen, ist allgemein bekannt und weit verbreitet. Welche Kriterien aber mit einer guten Checkliste geprüft werden müssen und wie dann eine Beurteilung zu erfolgen hat, ist bei weitem nicht so klar und stellt die mit der Auswahl betrauten Personen oft vor größere Probleme. Diese resultieren in der Mehrheit schon allein daraus, daß die Artikulierung der Bedürfnisse der späteren Benutzer (meist Fachabteilungen) aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten und Mißverständnissen nicht in ausreichendem Maße vom verantwortlichen Einkäufer berücksichtigt werden kann. Intensive Gespräche der betroffenen Abteilungen sind - obwohl vordergründig zeit- und kostenaufwendiger - für die richtige und damit auch kostengünstigste Entscheidung unerläßlich.

In diesen Besprechungen sollten sowohl standardisierte Checklisten auf ihre Bezugsfähigkeit gegenüber den eigenen Anforderungen geprüft, als auch generell die Möglichkeit der Umformulierung und Erweiterung diskutiert werden. Die Einarbeitung derartiger, maßgeschneiderter Prüflisten schafft den nicht überschätzbaren Vorteil, daß die Anforderung an das Produkt detalliert und strukturiert formuliert werden muß.

Mindestanforderungen formulieren

Mindestanforderungen an eine Checkliste verlangen die Berücksichtigung folgender Hauptaspekte: Produktaspekt, Umfeldaspekt, Herstelleraspekt, Kosten-/Nutzenaspekt.

Unter Produktaspekt seien alle Beurteilungskriterien zusammengefaßt, die sich mit den Eigenschaften des Produktes befassen. Dabei ist eine der wesentlichsten Fragen, inwieweit die Anforderungen der Fachabteilungen durch das zur Auswahl stehende Softwareprodukt abgedeckt werden, das heißt ob alle gewünschten Verarbeitungsfunktionen zur Verfügung stehen. Falls benötigte Funktionen nicht oder nur teilweise vorhanden sind, ist zu prüfen, ob zusätzliche Softwareprodukte eingesetzt werden müssen oder ob nur ein zusätzliches Rahmenprogramm erforderlich ist. Hierbei dürfen jedoch das Handling und der Preis des Gesamtsystems nicht aus dem Auge gelassen werden.

Dem Bedienungskomfort muß ebenfalls große Aufmerksamkeit gewidmet werden, da durch große Benutzerfreundlichkeit eine bessere Akzeptanz des Produkts in den Fachabteilungen erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang ist besonders zu achten auf die Güte der Anwendungsbeschreibung und der Bedienungsanleitung. Bei Dialogsystemen kommt es auf eine optimale, gut verständliche Bedienerführung an. Allgemein wichtig ist eine geringe Anfälligkeit gegenüber vom Benutzer verursachten Fehlern, die zuverlässig erkannt, bearbeitet und möglichst computerunterstützt behoben oder zumindest in vernünftiger Form dem Benutzer mitgeteilt werden müssen.

Unter den Gesichtspunkt der Benutzerfreundlichkeit fällt auch die Gestaltung des Outputs, der auf der Basis des Anforderungsprofils nach den Änderungsmöglichkeiten des Formularaufbaus (soweit überhaupt möglich) und nach der Vollständigkeit, Übersichtlichkeit und Relevanz der ausgegebenen Information beurteilt werden kann.

Ausgereift und fehlerfrei

Daß das betrachtete Softwareprodukt selbst ausgereift und weitgehend fehlerfrei sein sollte, ist zwar an sich selbstverständlich, sollte aber trotzdem überprüft werden. Ein sofort verfügbares, nicht zu altes, aber bereits einige Zeit im Einsatz befindliches Softwarepaket weist im Normalfall die geringste Fehlerquote auf.

Inwieweit die Ausbaufähigkeit eines Systems zur Beurteilung herangezogen werden muß, hängt stark von den mittelfristig hinzukommenden Anforderungen ab. Dieser Punkt sollte sorgfältig mit den Fachabteilungen abgeklärt werden.

In die Beurteilung miteinzubeziehen ist der Speicherbedarf, das Laufzeitverhalten und die Einhaltung zeitlicher Randbedingungen, wie sie besonders in Realzeitsystemen auftreten. Allerdings sind verläßliche Angaben zu diesen Fragen meist nur schwer zu beschaffen und erfordern im Regelfall aufwendige Benchmarks. Es sollte aber zumindest eine vertragliche Garantie des Herstellers für die relevanten kritischen Zeiten (zum Beispiel maximale Antwortzeit und maximale Reaktionszeit) verlangt werden.

Sehr wichtig ist auch die Berücksichtigung der Vorkehrungen zum Datenschutz, falls schutzwürdige Daten gespeichert und bearbeitet werden, und die Überprüfung des Softwareprodukts auf "ordnungsgemäße", das heißt den Vorschriften entsprechende Datenverarbeitung. Als Beispiel seien die Finanzbuchhaltungsprogramme erwähnt, bei denen es zweckmäßig ist, sich von den eigenen Steuerberatern die Einhaltung der gesetzlichen Grundsätze für eine ordnungsgemäße Buchführung bestätigen zu lassen.

Neben den Kriterien, die sich mit den Produkteigenschaften befassen, gibt es noch Beurteilungskriterien, die sich auf das Zusammenspiel des auszuwählenden Softwareprodukts mit dem Umfeld, in dem es eingesetzt werden soll, beziehen.

Zusatzkosten berücksichtigen

Dabei gilt es vor allem zu klären, ob das Paket auf der vorhandenen Hardware einsatzfähig ist. Sollte dies nicht der Fall sein, kann von einer weiteren Untersuchung abgesehen werden (K.o.-Kriterium). Außerdem ist zu ermitteln, ob die vorhandenen Peripheriegeräte qualitativ und quantitativ ausreichen und ob das neue Paket mit bereits vorhandenen Paketen vereinbar ist. Zum Beispiel sollte die Verwendung gemeinsam benötigter Stammdaten ohne Doppelspeicherung und die Weiterverarbeitung von Ausgabedaten eines Pakets durch ein zweites ohne Datenumsetzung möglich sein. Auch durch das Produkt bedingte Änderungen in der Ablauforganisation der Fachabteilung und die dadurch entstehenden Zusatzkosten müssen berücksichtigt werden. Die Anforderungen der Benutzerschnittstelle (Sprache, Steuerung, Rückkopplung) an den Anwender sollten ebenfalls bewertet und daraufhin untersucht werden, ob das vorhandene Personal überfordert wird und durch höher qualifiziertes zu ersetzen ist.

Das Angebotsverhalten des Herstellers und die Erfahrungen, die man bereits selbst oder Anwenderkollegen mit diesem Produzenten gemacht haben, sollten natürlich ebenfalls in die Beurteilung eingehen.

Es kommt auf die Verträge an

Als Kriterien können neben der Verfügbarkeit des Produkts, den Lieferterminen und der allgemeinen Termintreue des Herstellers die Zeitdauer der Implementierung, die Wartungskonditionen und de Serviceleistungen wie Unterstützung bei der Einführung, Schulung etc. herangezogen werden. Wesentlich sind auch die Vertragskonditionen, wobei besonders auf die vertraglich abgesicherten Übergabekonditionen, Serviceleistungen, Garantieleistungen, Rücktrittsrechte, garantierte Eigenschaften des Produkts und im Preis eingeschlossene Leistungen sowie bei Mietverträgen auf Kündigungsklauseln geachtet werden sollte.

Wert gelegt werden muß auf Kontinuität in der Produktentwicklung durch den Hersteller, de es garantiert, daß das Produkt über einen längeren Zeitraum auf einem der jeweiligen Hardware und Systemsoftware entsprechenden Stand gehalten wird und damit langfristig einsetzbar ist.

Nächster Schritt ist die Erstellung einer Kosten/Nutzen-Analyse unter Berücksichtigung des Preises, der Nebenkosten, der aus den bereits geprüften Kriterien ermittelten Leistungen der angebotenen Softwareprodukte und der Kosten einer möglichen Eigenentwicklung.

Bei den Kostenbetrachtungen dürfen die Einführungs- und Anpassungskosten, die Kosten für zusätzliche Funktionen, die Wartungskosten, die Zusatzkosten für Änderungen in der Ablauforganisation der Fachabteilung, die Mehrkosten für höher qualifiziertes Personal und weitere Zusatzkosten nicht unterschätzt werden. Diese zusätzlichen Kosten liegen oft höher als der "nackte" Produktpreis. Bei der Kosten/Nutzen-Analyse ist nicht nur vom Kaufpreis auszugehen, sondern auch der Preis für Miete oder Leasing zu berücksichtigen und die kostengünstigste Erwerbsform unter Berücksichtigung aller anfallenden Neben- und Zusatzkosten festzustellen. Für die Entscheidung zwischen Kauf und Miete stehen auf dem Markt bereits mehrere Bewertungsverfahren zur Verfügung (beispielsweise die erweiterte Gsellsche Formel).

Die angesprochene Vielfalt der Bewertungskriterien macht einmal mehr deutlich, daß es sich beim Beschaffen von Standardsoftware um ein komplexes Entscheidungsproblem handelt.

Das Anforderungsprofil sollte deshalb zusammen mit einfachen mathematischen Operationen (Gewichtungsbildung, Berücksichtigung von K.o.-Kriterien, Matrixaufbau) zur Ergebnisbestimmung als Grundlage einer Nutzwertanalyse herangezogen werden. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß wohl kein Software-Paket vollkommen mit den Wünschen des Anwenders übereinstimmt.

Eine intensive Vorbereitung des Käufers anhand umfangreicher Prüflisten macht ihn zu einem potenten Gesprächspartner bei der Anschaffung von Standardsoftware und hilft, unliebsame - sprich: teure, da unnütze - Überraschungen auf ein Minimum zu reduzieren. Auch hier gilt das Sprichwort: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, . . . !"

Michael Hein ist Projektleiter, Horst-Joachim Hoffmann Assistent der Geschäftsleitung bei der gfs, Gesellschaft für Systementwicklung mbH, München.