Marktlage für selbständige IT-Profis bleibt angespannt

Kein Lichtblick für Freiberufler

19.04.2002
Die Flaute auf dem IT-Projektmarkt trifft Freiberufler am härtesten. Sie müssen zuerst gehen, wenn die Unternehmen sparen. Neue Aufträge gibt es nur für ein geringeres Honorar. Von CW-Mitarbeiterin Katja Müller

"Der durchschnittliche Stundensatz von freiberuflichen IT-Profis ist laut unserer Umfrage nicht gefallen", erklärt Stefan Symanek von der Gulp Information Services GmbH. Seit etwa vier Jahren erfasst der B-to-B-Dienstleister rund 88 Prozent des deutschen IT-Projektmarktes für Freiberufler. Ein Blick auf die von Gulp vermittelten Stundensätze scheint Symaneks Meinung zu bestätigen. Danach verdienten Softwareentwickler, Trainer, Projektleiter, Administratoren und sogar Qualitätssicherungsexperten im Februar pro Stunde etwa drei bis vier Euro mehr als zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres; insgesamt lag das Salär zwischen 60 und 79 Euro. Lediglich für den Berater ändere sich nichts: Er müsse sich nach wie vor mit 77 Euro zufrieden geben.

Honorarforderungen kaum durchzusetzenDoch die Honorare haben mit der wirklichen Situation am IT-Projektmarkt nichts zu tun, behauptet Thomas Goetzfried, Geschäftsführer der gleichnamigen Aktiengesellschaft in Wiesbaden. "Allein beim Berater sind zehn Prozent weniger Gehalt realistisch", erklärt der Diplominformatiker, der sich auf die Vermittlung von Freiberuflern für individuelle Projektdienstleistungen spezialisiert hat. In der Tat gaben die Freiberufler bei der Gulp-Online-Analyse lediglich ihre Wunschvorstellungen zu den Honoraren an. Derzeit seien diese Forderungen aber kaum durchzusetzen: "Gegenüber meinen Kunden muss ich das verlangte Honorar erst einmal um 20 Prozent senken." Zwar gebe es immer noch einen Verhandlungsspielraum, der sei aber deutlich enger geworden, so der Geschäftsführer. Sogar bereits ausgehandelte Verträge blieben von dem Spardruck des Kunden nicht verschont. Goetzfried: "Oft ist es für den Freiberufler besser, den Stundensatz im laufenden Projekt zu reduzieren, als sich etwas Neues suchen zu müssen. Dort ist das Honorar nämlich noch viel niedriger."

Die Situation am IT-Projektmarkt spitzte sich parallel zum wirtschaftlichen Abschwung in Deutschland zu. Konnten sich die Freiberufler seit Anfang 1998 vor Aufträgen kaum retten, wendete sich im September 2001 das Blatt: In den ersten zwölf Wochen des vergangenen Jahres standen laut Gulp-Analysen den selbständigen IT-Profis noch 10535 Angebote offen, im ersten Quartal 2002 nur mehr 5783. Dazu kommt, dass Oktober und November traditionell die besten Monate im IT-Projektmarkt sind und das neue Jahr bisher in aller Regel mit einem Wachstum begonnen hat. Trotzdem erreichte der Marktindex von Januar bis März 2002 nur 55 Prozent des Vorjahresquartals.

Banken setzen mehr auf interne MitarbeiterBesonders hart traf es die Selbständigen, die für Kreditinstitute arbeiten. Diese zählten zu den größten Auftragsgebern für Freiberufler. Zwar gelten sie immer noch als IT-Projekt-Arbeitgeber Nummer eins, aber laut Gulp-Statistik ist ihr Marktanteil seit Februar 2001 um etwa ein Drittel auf 19,1 Prozent geschrumpft. So habe sich die Nachfrage nach Oracle-Datenbankspezialisten im Laufe des vergangenen Jahres fast halbiert.

Eines der am stärksten betroffenen Unternehmen ist die Commerzbank, Frankfurt am Main. Laut Firmensprecher Peter Pietsch seien rückblickend "die Kosten ein wenig aus dem Ruder gelaufen". Das Kreditinstitut kürzte daraufhin sein IT-Budget um 110 Millionen Euro (siehe CW 43/01 Seite 1) und baut derzeit 3000 Stellen ab. IT-Betreuer Martin Müller musste die meisten Freiberufler nach Hause schicken und konzentriert sich seitdem auf die fest angestellten Mitarbeiter: "Die Externen kosteten uns dreimal so viel wie die Internen". Da im vergangenen Jahr auf einen Mitarbeiter des Hauses etwa zwei Freiberufler entfielen, bezeichnet Müller die Kürzungen als geradezu dramatisch. Immerhin 30 Prozent der selbständigen IT-Profis, die für die Bank arbeiteten, hätten sich inzwischen um eine Festanstellung im Haus beworben. Über den Zeitpunkt, wann das Kreditinstitut seine externen Aufträge aufstocken will, kann Müller nur mutmaßen. Frühstens ab 2003 sei es denkbar, neue Freiberufler für Projekte anzuwerben.

Für Goetzfried handelt es sich bei dem drastischen Einbruch allerdings eher um eine Marktbereinigung: "Die gegenwärtige Situation mit der Internet-Euphorie der vergangenen Jahre zu vergleichen, ist falsch." Zudem hinterfragen die Unternehmen ihre IT-Projekte: Was ist Luxus, und was brauchen wir wirklich? So setzten laut Goetzfried beispielsweise viele in der Vergangenheit auf Java-Projekte und stellen nun fest, "dass eine Excel-Tabelle auch gereicht hätte". Zwar erhält das Software- und Beratungshaus pro Tag zirka 50 Bewerbungen von selbständigen IT-Profis; vor Jahresfrist waren es zehn bis 20. Aber Experten, die sich einem Nischengeschäft widmen, hätten nach wie vor eine Chance. Noch deutlicher formuliert es Peter Brenner, Existenzgründungsberater aus Köln. Seiner Meinung nach ist der Markt gespalten. So fragten die Unternehmen nach wie vor nach freiberuflichen System- und Datenbankadministratoren, insbesondere im Bereich der Unix-Betriebssysteme und Client-Server-Betreuung. Dort zahlten die Auftraggeber auch hohe Honorare, der Stundensatz für die Systemspezialisten liege zwischen 80 und 100 Euro.

"Für die freien Anwendungsentwickler sieht es schon schlechter aus, da gerade im Programmierbereich viele Projekte verschoben wurden", beschreibt Brenner. Eingebrochen seien beispielsweise die Bereiche E-Commerce und Testmethodik. In guten Zeiten hätten die Unternehmen die Qualitätssicherung ausgebaut. Herrscht auf dem Markt Flaute, reduzierten die Firmen die Testzeiten entsprechend, und der Kunde werde unter Umständen zum Betatester. Darum rät Brenner den Freiberuflern dazu, sich möglichst vielseitig zu qualifizieren, um Marktschwankungen besser abfangen zu können. Doch dieses Konzept dürfte an der Praxis scheitern: Zum einen benötigen die Unternehmen vornehmlich ausgewiesene Spezialisten, zum anderen vernachlässigen viele Freiberufler ihre Weiterbildung aus Zeit- und Kostengründen.

Geschäftsführer Goetzfried empfiehlt deshalb den selbständigen IT-Profis, aus der Not eine Tugend zu machen. So sollten sich Freiberufler vor allem auf innovative Projekte bewerben und dafür weniger Honorar fordern. Mit diesem Learning-by-Doing-Prinzip könnten sie sich vor allem praktisches Wissen aneignen, was in Schulungen oft vernachlässigt wird. Schließlich gebe es immer noch Ad-hoc-Programme von Unternehmen, die mit fest angestellten Mitarbeitern nicht zu bewältigen seien. Für Stefan Kania, freiberuflicher Informatiker mit Novell- und Linux-Know-how, ist die Krise noch nicht überwunden. "Ich habe 20 Jahre IT-Erfahrung, aber es wird immer schwerer, Aufträge zu bekommen." Von Vermittlern wie Gulp, Ascena oder Elan Computing hält der 40-Jährige nicht viel. "Anderthalb Stunden habe ich gebraucht, um mein Profil in eine dieser Datenbanken einzugeben - passiert ist nichts." Seinen Bekannten sei es ebenso gegangen. Seit einiger Zeit ist Kania deshalb fast ganztägig als Trainer für eine Computerschule tätig. Alle Aufträge, die er in dieser Zeit erhielt, habe er durch private Kontakte erlangt.

Auch Brenner ist überzeugt, dass die Zeiten für Freiberufler noch härter werden. Der Existenzgründungsberater beobachtet, dass zunehmend Hochschulabsolventen auf den Markt drängen, die derzeit keinen Job finden. Zwar fehle denen die Berufs- und Projekterfahrung, aber es könnte für sie die einzige Möglichkeit sein, im IT-Bereich Fuß zu fassen. Darüber hinaus vergrößere sich die Zahl der Computerspezialisten zwischen 50 und 60 Jahren, die ins Projektgeschäft einsteigen wollten. Von ihren Arbeitgebern gegen Abfindung freigestellt, versuchen diese nun, Aufträge zu bekommen - ein neues Angestelltenverhältnis zu finden ist für die meisten derzeit ohnehin nicht möglich.

RechtstippsDas Risiko für Freiberufler, von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Scheinselbständige eingestuft zu werden, hat sich nach Meinung des Bremer Rechtsanwalts Benno Grunewald erhöht. So seien Freiberufler durch die derzeit ungünstige Auftragslage gezwungen, möglichst lange für ein Unternehmen zu arbeiten, das heißt auch Folgeprojekte anzunehmen. Die BfA "vermutet" jedoch bei einem Selbständigen, der länger als ein Jahr für die gleiche Firma tätig ist und keinen Mitarbeiter beschäftigt, den Status eines rentenversicherten Selbständigen. Gelingt es der Anstalt, dem Freiberufler die Scheinselbständigkeit nachzuweisen, wird sie vom Unternehmen rückwirkend die Versicherungsbeiträge von maximal vier Jahren fordern. Aber auch der Freiberufler bleibt nicht unbehelligt: Von ihm kann das Unternehmen drei Monatsbeiträge zurückholen. Droht die BfA, dem Freiberufler seinen Status zu entziehen, gibt es für ihn beispielsweise die Möglichkeit, einen Mitarbeiter einzustellen. Für diesen muss der Selbständige monatlich 326 Euro Mindestgehalt plus rund 170 Euro Versicherungsbeiträge berappen. Verglichen mit der 430-Euro-Zahlung an die BfA, die für den Freiberufler nutzlos sei, könnte die Einstellung eines Mitarbeiters laut Grunewald das geringere Übel sein.

Immer mehr Unternehmensberatungen fordern zudem ihre Selbständigen auf, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Denn oft sind diese nicht in der Lage, für Regressforderungen der Firmen aufzukommen, und die wenigsten haben Direktverträge mit ihren Auftraggebern. Laut Grunewald kann sich dadurch nicht nur das Unternehmen, sondern auch der Freiberufler absichern.

Die Klausel Wettbewerbsverbot, wonach ein freier Mitarbeiter innerhalb von sechs Monaten bis zu zwei Jahren keinen Folgevertrag mit der gleichen Firma abschließen darf, taucht ebenfalls häufiger in den einschlägigen Verträgen auf. Bislang gab es dazu aber nur Entscheidungen der Landesgerichte. Die Klausel tilgen zu lassen, war in der Vergangenheit möglich, dürfte jetzt aber nur den wenigsten Freiberuflern gelingen. Hinzu kommt, dass das Wettbewerbsverbot unter bestimmten Voraussetzungen nicht wirksam ist. Deshalb sollten Freiberufler ihre Verträge vorher prüfen lassen.