Die PDA-Vielfalt bleibt, aber Lösungen werden einfacher

Kein Königsweg durch den Mobile-Dschungel

06.09.2002
MÜNCHEN (wm) - Der Einsatz von Personal Digital Assistents (PDAs) gewinnt auch in Unternehmen an Bedeutung. Allerdings herrscht immer noch eine nahezu unüberschaubare Vielfalt an Plattformen und Anwendungsszenarien vor. Doch erste Standards zeichnen sich ab.

Mobile Computing steht derzeit hoch im Kurs. Die IT-Industrie erhofft sich vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Flaute vor allem von diesem Markt neue Impulse. Privatanwender und Unternehmen beschäftigen sich gleichermaßen mit dem Thema, wobei beim professionellen Einsatz zwei Motive im Vordergrund stehen: Einerseits erhoffen sich viele Anwender, statt Notebooks billigere Endgeräte einsetzen und ihre Kosten senken zu können. Andererseits ergeben sich durch die Handhelds eine Reihe von Möglichkeiten, um etwa Geschäftsprozesse zu vereinfachen, Lücken in der Datenerfassung zu schließen oder neue, geschäftsfördernde Anwendungsfelder zu eröffnen.

Die aktuellen Prognosen der Analysten sind trotz der zuletzt deutlichen Abkühlung in diesem Markt weiterhin optimistisch. So prognostiziert die IDC-Studie "Worldwide Mobile Middleware Forecast 2002-2006" ein weltweites Marktwachstum von 227 Millionen Dollar im Jahr 2001 auf 1,7 Milliarden Dollar 2006. Vor allem für Middleware-Anbieter dürfte sich das Geschäft lohnen, denn dieses Segment soll jährlich um nahezu 50 Prozent wachsen. IDC definiert mobile Middleware als Softwareplattform, die Server- und Client-Anwendungen einschließt und bestehende Software erweitert oder Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Anwendungen auf unterschiedlichen Geräten bietet.

Office- oder Branchenanwendungen

Der Mobile-Sektor ist unübersichtlich - zu vielfältig sind nach wie vor die möglichen Anwendungsszenarien sowie das nahezu unüberschaubare Angebot an Techniken und Lösungen. Das liegt auch daran, dass die IT-Branche es mit einer neuen Zielgruppe zu tun hat: Den meisten Waldarbeitern, Handwerkern oder Regalbestückern war der IT-Einsatz bisher fremd. Doch mit der Miniaturisierung der Geräte werden teils exotisch anmutende Projekte realisiert.

In den ersten Jahren des PDA-Booms dominierten die klassischen PIM-Anwendungen (PIM = Personal Information Manager) wie Kalender und Adressverwaltung. Der Integrationsaufwand in bestehende IT-Strukturen mit Notes oder Exchange hielt sich dabei in Grenzen, wenn Synchronisationslösungen von Herstellern wie Extended Systems oder Pumatech zum Einsatz kamen. Das Einbinden von "wilden PDAs", die entweder als private oder Abteilungsgeräte in Unternehmen auftauchen, zählt auch heute noch zu den vorrangigen Aufgaben der IT-Abteilungen.

E-Mail wurde vielfach als Killerapplikation für mobile Endgeräte ausgemacht. Tatsächlich gehört Mail inzwischen in vielen Unternehmen zum ersten Schritt einer Mobile-Strategie. Mittelfristig geht der Trend jedoch klar zu vertikalen, branchenspezifischen Anwendungen, die in die bestehenden Geschäftssysteme integriert sind. Genau hier werden meist auch die messbaren geschäftlichen Vorteile erwartet, die die Investitionen rechtfertigen sollen. Einen interessanten Unterschied in dieser Frage hat die Giga Information Group in einer Untersuchung zwischen US-amerikanischen und europäischen Unternehmen herausgefunden: US-Unternehmen bevorzugen etwa zur Hälfte "Personal-Productivity"-Anwendungen wie E-Mail, Kalender, Adressen, die andere Hälfte setzt auf vertikale Anwendungen, selten werden beide Welten gemischt. Unter den europäischen Befragten stufte nur ein Drittel vertikale Anwendungen als wichtiger ein.

Tequila-Ausfahrer als Marktforscher

Am stärksten hat sich der Mobil-Trend bisher in der Sales-Force-Automation (SFA) bemerkbar gemacht. In ihrer Studie "Mcommerce Trends Europe 2001" haben die Marktforscher von Datamonitor festgestellt, dass von 208 befragten Unternehmen 59 Prozent das Haupteinsatzgebiet für mobile Anwendungen im Vertrieb sehen. Im Vordergrund steht dabei, Bestellungen direkt verarbeiten zu können und Transaktionen schneller durchzuführen. Auch das mobile Abfragen von Warenbeständen und Aussagen über die Lieferbarkeit dienen der Verbesserung der Kundenbeziehungen.

Doch es geht nicht mehr nur um das Optimieren bestehender Prozesse, wie Jürgen Müller, Vice President Sales des Mobile-Middleware-Spezialisten Ianywhere erklärt. Die Sybase-Tochter, führender Anbieter bei mobilen Datenbanken, hat mit Kunden ganz neue Wege beschritten, so etwa mit dem mexikanischen Spirituosen-Hersteller Jose Cuervo. Dessen Fahrer arbeiten mit Palm-OS-basierenden Geräten von Symbol, um in den Supermärkten den Abverkauf der eigenen Tequila-Marke und den der Konkurrenten zu erfassen. Mit Hilfe seiner Ausfahrer kann Jose Cuervo nun seine eigene Marktforschung betreiben und möglicherweise schneller auf Veränderungen reagieren.

So unterschiedlich die Anwendungsszenarien derzeit sind, so vielfältig sind auch die Technologien, Plattformen und Geräte. Von industrieweiten Standards ist man jedoch noch weit entfernt. Diese Situation erschwert nicht nur den Anbietern das Verkaufen von Hardware und Software, sondern auch den Anwendern die Entscheidungsfindung - und sie führt zu Fehlentwicklungen. So hätten viele Anwender nicht verstanden, wie man mobile Applikationen entwickeln muss, meint etwa Rob Veitch von Ianywhere. Statt auf vertraute Design-Prinzipien zu bauen, seien vor allem in Europa Web-basierende oder WAP-Frontends entwickelt worden. Dieser Trend habe sich als nicht praxistauglich erwiesen und sei mittlerweile abgeflaut.

Eine weitere Grundsatzfrage ist die nach der Flexibilität einer mobilen Plattform. Anwender von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware beispielsweise könnten durchaus bei ihren Hauslieferanten SAP oder Siebel bleiben und müssten keine offene Middleware implementieren. Denn die großen Hersteller bieten längst die Anbindung von mobilen Endgeräten in Form von Lösungen wie "Mysap Mobile Business" oder "Siebel 7 Mobile Solutions".

Die Praxistauglichkeit dieser herstellerspezifischen Ansätze stellt Wolf Kunert, Director Marketing und Sales bei Winlinx, allerdings in Frage. Das Unternehmen, das unter anderem die Weltwirtschaftsgipfel in Davos und New York mit WLAN-Handhelds (WLAN = drahtloses Funknetz) ausgestattet hat, implementiert individuelle Lösungen, die auf unterschiedliche Anforderungen zugeschnitten sind.

Anwender wollen Individualität

"Die optimale Mobile-Anwendung muss on- und offline laufen, beliebig anpassbar und für jedes User-Interface optimierbar sein", so Kunert. "Diesen Spagat hat aber noch keiner geschafft." Es fehle an den dazu notwendigen Standards. Hinzu kommt, dass auch von den Unternehmen, die Mobile-Projekte in Auftrag geben, vielfach Individualität gefordert wird. So wollen sich viele Anwender im Außendienst mit eigenständigen Anwendungen - etwa mit der 3D-Darstellung von Produkten - von der Konkurrenz abheben.

Immerhin wurde mittlerweile trotz der Vielfalt am Markt ein Minimum an Standardisierung erreicht. Middleware-Anbieter wie Ianywhere, Extended Systems, Xcellenet oder Synchrologic bieten entsprechende Building Blocks an, die einfach zu integrieren sind kundenspezifische Erweiterungen werden darauf aufgesetzt. Zu beachten ist dabei laut Kunert, dass jeder dieser Hersteller besondere Stärken hat, die mit der jeweiligen Herkunft zu tun haben - bei Extended Systems sind es beispielsweise ausgefeilte Synchronisationsverfahren für PIM.

Winlinx unterscheidet bei mobilen Lösungen zwei Kategorien "Office" und "Field" und richtet seine Projekte daran aus: Office deckt den konventionellen Bereich PIM und E-Mail ab und wird in der Regel durch die IT-Abteilung betreut. Field erstreckt sich auf ERP-, CRM- und SFA-Anwendungen und fällt in der Regel in die Zuständigkeit der Fachabteilungen.

In der Praxis nicht immer online

Zu den Grundsatzthemen beim Mobile-Computing gehört auch die Frage nach Online- und Offline-Funktionen. Zu viele Hoffnungen wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen des Mobilfunkbooms in allgegenwärtige Netzverfügbarkeit und permanenten Online-Betrieb gesetzt. Serveranwendungen mit Browser-basierenden Frontends am Client, die eine ständige Internet-Verbindung erfordern, haben sich aber als unbrauchbar erwiesen. Auf eine eigenständige Logik und Datenhaltung am Endgerät ist nicht zu verzichten. Mittlerweile geht die Branche davon aus, dass der Zugriff auf Netze von unterwegs auf längere Sicht ein Unsicherheitsfaktor sein wird. Ausgeglichen werden solche Defizite durch ausgefeilte Synchronisationstechniken. Hier, und nicht in der Netztechnik, liegen in den nächsten Jahren die Herausforderungen des mobilen Computings.

Oft übersehen werden auch die immensen Kosten für den Datentransfer. Winlinx setzt daher auf neuartige Softwareprodukte, die wie ein Least Cost Router automatisch aus WLAN, GPRS, GSM und anderen Funkdiensten die billigste verfügbare Variante wählen. Zusätzlich definieren viele Firmen benutzerspezifische Datenkontingente, die nicht überschritten werden dürfen. Voraussetzung dafür sind entsprechende Mess- und Analysetools.

Besserer RoI durch Branchenanwendungen

Auch die Bedeutung der Dateneingabe beim Einsatz von mobilen Endgeräten darf nicht übersehen werden. Das Scheitern von WAP hängt nicht zuletzt mit Unzulänglichkeiten auf diesem Gebiet zusammen. PDAs bieten mittlerweile eine Reihe von Eingabemöglichkeiten, von der virtuellen Tastatur bis zur Handschriftenerkennung, die Bedienung ist aber nicht immer intuitiv. Die Erfahrung habe gezeigt, so Kunert, dass bei mobilen Anwendungen ein deutlich höherer Perfektionsgrad erreicht werden müsse als beim PC. Ansonsten gingen die Außendienstmitarbeiter mit Zettel und Bleistift zum Kunden und gäben die Daten hinterher ein.

Als schwierig gilt nach wie vor die exakte Bewertung der Wirtschaftlichkeit von mobilen Technologien. Giga hat den Return on Investment (RoI) von E-Mail-Lösungen sowie erweiterter Enterprise-Lösungen untersucht. Allein die E-Mail-Funktion lohnt sich laut Giga-Analyst Ken Smiley: Die Sparquote liege in einem Dreijahreszeitraum bei 50 Prozent. Wurden solche Lösungen noch um Business-Anwendungen erweitert, konnte der ROI um 90 bis 100 Prozent gesteigert werden.

Giga hält bei der Wahl einer Mobile-Plattform die größtmögliche Flexibilität für den entscheidenden Faktor. Eine möglichst breite Anzahl an Hardware, Netzwerken und Anwendungen müssen unterstützt werden. Von Bedeutung sei zudem die Verfügbarkeit verschiedenartiger Tools, die man zur Erweiterung der Plattform benötigt.

Die Anwender sehen sich bei solchen Projekten mit einer Vielzahl von grundsätzlichen Entscheidungen konfrontiert. Die erste ist, welches Betriebssystem die Endgeräte nutzen sollen - derzeit geht es dabei um Pocket PC, Palm, Symbian oder Java. Obwohl Palm OS noch immer das marktführende Betriebssystem ist, entscheiden sich vor allem Unternehmen immer häufiger für Microsofts Pocket PC.

Wurde die Plattformentscheidung getroffen, geht es darum, die Entwicklungs-Tools und die Middleware zu finden, die das System erweitern. Auf dieser Ebene werden verschiedene Basisfunktionen bereitgestellt wie Synchronisierung, PIM-Funktionen, Datenbankzugriff, das Management von Geräten oder die Verteilung von Software. Die Middleware muss die gewählten Gerätetypen unterstützen, wobei die meisten Produkte hier sehr flexibel sind. Als weiteres Kriterium kommt hinzu, dass die Programmiersprachen und Tools genutzt werden können, die ein Unternehmen bevorzugt, also etwa Java/J2ME (Java 2 Micro Edition), Windows CE oder das neue .NET Compact Framework.

Die meisten Giga-Kunden wollen laut Smiley vermeiden, dass ihre Anwendungen gerätespezifische Eigenheiten unterstützen, weil dadurch der Anpassungsbedarf steigt. Native Anwendungen, die auf das Gerätebetriebssystem zugeschnitten sind, sind nur dann notwendig, wenn die Leistung des Handhelds voll ausgenutzt werden soll. Ein Beispiel wären große Datenbankanwendungen, die etwa für den Pocket PC in Visual C++ geschrieben werden.

J2ME-Anwendungen versprechen hier eine große Flexibilität, weil sie auf verschiedenen Plattformen laufen. Allerdings sieht Smiley das Java-Versprechen "Write once, run anywhere" noch nicht eingelöst. Anwendungen, die etwa für den "Blackberry"-E-Mail-Pager von RIM geschrieben würden, liefen nicht immer auf anderen Geräten, vielfach seien Anpassungen nötig. Außerdem seien noch wenige Java-Enterprise-Anwendungen zu finden, mehr als 90 Prozent der derzeitigen J2ME-Programme seien Spiele.

Endgerätemarkt bleibt unberechenbar

In Sachen Ausgereiftheit nehmen sich nach Giga-Einschätzung J2ME und die aktuelle CE-.NET-Plattform nichts. Das Interesse in Unternehmen an CE .NET ist allerdings groß, auf der Seite der Consumer-Anwendungen überwiegt derzeit Java. Die bekannten Performance-Probleme von Java gegenüber nativen Anwendungen erachtet Smiley auf mobilen Geräten als wenig relevant, solange sie sauber programmiert sind. Als potenzielle Bremsen ergeben sich hier andere Faktoren, etwa Netzwerkverbindungen, Caching (Zwischenspeichern) von Daten oder Hintergrundprozesse.

Die für den gesamten Mobile-Sektor charakteristische Unübersichtlichkeit, die Vielzahl an Geräten, Standards und Software wird nach Einschätzung von Smiley auch in den nächsten Jahren anhalten. Das liegt vor allem daran, dass ständig neue Gerätetypen auf den Markt kommen. Es gebe derzeit keine Anzeichen, dass sich ein universeller Handheld- oder Smartphone-Typ herauskristallisiere, der für jeden Einsatzzweck geeignet ist. Ein gutes Beispiel für die Unberechenbarkeit des Marktes ist die junge Erfolgsgeschichte des Blackberry-Mail-PDAs. Zumindest in den USA hat sich dieser spezielle Handheld-Typ im Windschatten der großen PDA-Plattformen als beliebtes Kommunikationsgerät in Unternehmen etabliert.

Und auch der emotionale Faktor darf als treibende Kraft im Mobile-Segment nicht unterschätzt werden. Aus seiner langjährigen Projekterfahrung mit unterschiedlichsten Plattformen zieht etwa Kunert das Resümee, dass die Attraktivität eines bestimmten PDAs sehr oft ausschlaggebend ist bei der Entscheidung für eine mobile Strategie.

Qual der Wahl

Bei der Planung einer Mobile-Strategie rückt als erstes das Betriebssystem der Endgeräte in den Blickpunkt. Die wichtigsten sind derzeit Pocket PC, Palm OS, Symbian und Java. Wichtig ist dabei auch die Frage, ob spezielle Endgeräte mit dem favorisierten System verfügbar sind. Vor allem für Pocket PC und Palm OS gibt es unzählige Sonderformen, die beispielsweise stoß- und wasserfest sein können.

Die nächste Entscheidung hängt unmittelbar mit der ersten zusammen: Für die Verbindung zu den Backend-Systemen werden Entwicklungs-Tools und Middleware benötigt. Werden dabei die Geräte in vollem Umfang unterstützt, und wenn ja, welche Funktionalität ist für die gewünschten Anwendungen am wichtigsten? Flexibilität ist hier auch noch aus einem anderem Grund gefragt: Beim Einstieg in das Mobile-Computing beschränken sich viele Unternehmen zunächst auf generische "Office"-Funktionen wie Adressen und Kalender und eventuelle E-Mail. Die Middleware sollte aber bereits darauf ausgelegt sein, für spätere Erweiterungen vertikale, branchenspezifische Anwendungen zu unterstützen.

Bei Entwicklungs-Tools legen die meisten Unternehmen zudem Wert darauf, dass sie sich in Unternehmensstandards wie Java oder die Microsoft-Plattform integrieren. Plattformunabhängigkeit versprechen sowohl die Java 2 Micro Edition (j2ME) als auch Microsofts .NET Compact Framework. Allerdings müssen die Anwender bei beiden noch mit Einschränkungen rechnen. In der Praxis herrschen weiterhin die auf die jeweiligen Geräte maßgeschneiderten Anwendungen vor.

Abb: Aufbau einer mobilen Infrastruktur

Mobile Anwendungen sind in der Regel sehr individuell - wie auch die eingesetzten Geräte. Für die Infrastruktur gibt es jedoch bewährte Schemata. Quelle: Winlinx