Die grossen Vier konkurrieren um Platz eins

Kein Gewinner im Gerangel um RISC-Marktanteile in Sicht

26.03.1993

Der RISC-Markt hat sich - entgegen den Erwartungen einiger Hersteller - nicht ueber Drittanbieter entwickelt wie etwa das PC- Clone-Business, sondern die Akzente werden von den grossen Vier der Workstation-Szene gesetzt, von eben jenen Herstellern, die noch alles aus einer Hand bieten koennen: die Hardware, die Software, den Service. Nur Sun, HP, IBM und DEC sind nach Ansicht von IDC in der Lage, die fuer Forschung und Entwicklung im RISC-Bereich erforderlichen Investitionen zu taetigen, die auf modernsten RISC- Prozessoren basierenden Systeme zur Marktreife zu bringen und diese dann auch erfolgreich selbst zu vertreiben.

Die Voraussetzungen dafuer, dass RISC-Systeme in absehbarer Zeit den Desktop dominieren werden, sieht IDC als nicht gegeben. Momentan seien die Preisunterschiede zwischen PCs und Workstations ein entscheidender Differenzierungsfaktor; was die weitere Entwicklung angehe, so rutschten die Preise bei Workstations und PCs parallel nach unten. Ueberdies stelle die Verbindung der Prozessorplattformen zu bestimmten Betriebssystemen eine technische Barriere dar. Urteilt ein IDC-Analyst: "Einen General- Purpose-RISC-Markt, in dem sich die Grenzen zwischen PC und Workstation, zwischen RISC- und Intel-Plattformen verwischen, wird es so lange nicht geben, wie Workstations unter Unix oder Unix- Derivaten und PCs unter DOS/Windows oder OS/2 laufen."

Allerdings, so IDC, koennte Windows NT, die Neuentwicklung von Microsoft, einen Vorstoss in Richtung General-Purpose-RISC im Client-Server-Umfeld bedeuten, schliesslich sei es der Softwareriese Microsoft gewesen, der mit DOS und Windows den Desktop-Standard gesetzt habe und der nun versuche, den Markt der verteilten, vernetzten Systeme von unten aufzurollen.

Zur Zeit aber wuerden Workstations vorwiegend noch fuer Stand-alone- Applikationen gekauft, speziell im technisch-wissenschaftlichen Bereich. Ein weiterer Impuls koennte laut IDC von Multimedia- Anwendungen ausgehen. Hier sei jedoch die Entwicklung der Beziehungen zwischen IBM, Apple und Motorola zu beobachten. Hersteller und Plattform Es gibt sechs Gruppierungen von Herstellern, die spezielle RISC- Chips unterstuetzen: DEC Alpha (Digital, Kubota, Olivetti), IBM Power (IBM, Apple, Motorola, CSF Thomson, Wang, Bull), HP PRO (Precision RISC Organisation), Sparc International (Sun Sparc), ACE-Konsortium (Mips Computer RX000) sowie 88 Open (Motorola 88000).

Digital Alpha: Mit der Entwicklung des Alpha-Chips hat der Minicomputer-Marktfuehrer sein Engagement als Technologie- getriebener Hersteller erneuert, ja bekraeftigt. Ende der 80er Jahre sah es einmal so aus, als wuerde der Produzent der legendaeren Rechnerfamilien PDP und VAX bei RISC auf fremde Technologie zurueckgreifen, eingekauft von dem RISC-Pionier Mips.

Dass man sich dann doch fuer die Alpha-Entwicklung in Eigenregie entschied, koennte sich nach Ansicht von Marktbeobachtern als schwere Hypothek erweisen: Findet Digital keine Alpha-Abnehmer, steht es schlecht um den ewigen Zweiten in der amerikanischen DV- Industrie.

Doch das Alpha-Geschaeft laesst sich gut an. Drei Hersteller (Kubota, Cray und Olivetti) haben sich bereits zu einer Zusammenarbeit mit Digital entschlossen - noch keine Entwarnung, aber auch kein Grund, einen Katzenjammer bei den DEC-Oberen vorauszusagen. Kubota ist im Workstation-Markt mit den High-end- Titan-Graphic-Workstations vertreten. Der italienische Bueromaschinen-Multi Olivetti verfolgt eine flexible Strategie und hat kurz nach Einfuehrung seiner ARC-kompatiblen Rechner die Kooperation mit DEC beim Alpha-Chip bekanntgegeben.

IDC fuehrt den Anfangsserfolg von Alpha auf die nach wie vor starke Position Digitals im Lager der technisch-wissenschaftlichen Anwender zurueck, die langjaehrige Erfahrungen mit den VAX-Produkten des Herstellers haben. Digital sollte deshalb in der Lage sein, eine Reihe von weiteren Herstellern hinter sich zu bringen.

IBM Power: Eine nicht nur zahlenmaessig starke Gruppe von Herstellern hat sich um IBM geschart und arbeitet an weiteren Implementationen der Power-Serie. Big Blue hat Vertriebsvereinbarungen mit Wang und Bull auf OEM-Basis geschlossen, waehrend Motorola, CSF Thomson und Apple an neuen Designs zukuenftiger Workstations arbeiten.

Der Markt fuer blaue RISC-Rechner auf der Basis des Power-Chips hatte 1991 eine Wachstumsrate von 135 Prozent. Knapp ueber 10 000 dieser Systeme wurden als Workstations oder Workstation-Server in Europa verkauft. Gemessen an den Absatzzahlen der Wettbewerber fuer den RISC-Nachzuegler IBM ist das gewiss ein Achtungserfolg, aber das Wachstum fiel geringer aus, als Branchen-Insider - einschliesslich IBM selbst - nach der Einfuehrung der RS/6000-Serie angenommen hatten.

Die OEM-Geschaefte, vor allem mit Wang, verliefen dagegen enttaeuschend, was unter anderem zum Rueckzug von IBM aus dem Vertrag mit dem Minicomputer-Anbieter gefuehrt hat und in der Folge den Niedergang Wangs beschleunigte.

IDC schaetzt, dass sich die Stueckzahlen signifikant erhoehen werden, wenn Single-Chip-Implementationen des Power-Chips in groesserem Umfang verfuegbar sind. Schubkraft fuer den RISC-Absatz wird den Marktforschern zufolge auch von der Kooperation zwischen IBM und Apple auf dem Multimedia-Sektor ausgehen - jedoch nicht vor 1995.

Hewlett-Packard: Die Precision RISC Organisation (PRO), zu der neben HP Hitachi, Mitsubishi, Hughes, Oki, Yokogawa, Prime, Convex und Sequioa gehoeren, ist eine unabhaengige Gruppe von Herstellern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, HPs Precision-Architecture (PA) zu promoten. IDC erwartet, dass zu diesen asiatischen und amerikanischen Herstellern auch einige Europaeer stossen werden.

Die Gruendung der PRO-Allianz unterstreicht den Willen des DEC-Erzrivalen HP, die Marktpenetration von RISC-Rechnern nach der Precision Architecture ueber Drittanbieter zu erhoehen. 1991 wurden in Europa 7200 PA- Systeme abgesetzt.

Sparc: Der Sparc-Architektur von Sun Microsystems haben sich Amdahl, Arix, Cray, Daewoo, Fujitsu, Hyundai, ICL, Solbourne, Tatung, Toshiba und Xerox verschrieben. Sun ist RISC-Marktfuehrer und erzielt im Geschaeft mit Sparc-Systemen Gewinne, die weit ueber dem Branchendurchschnitt liegen. Durch Konzentration auf den kommerziellen Bereich wollen die kalifornischen Senkrechtstarter ihren Vorsprung bei RISC- Systemen so lange wie moeglich verteidigen. Mit den im November 1992 angekuendigten Systemen der "Sparccenter-2000"-Serie koennte ihnen das gelingen, darin sind sich nahezu alle Marktbeobachter einig.

Die Auslieferungen von Sparc-basierenden Workstations in Europa erreichten nach IDC-Angaben im Jahr 1991 ein Wachstum von 44 Prozent auf knapp 52 000 Systeme, 50 000 davon wurden allein von Sun verkauft.

ACE und 88 Open: Voreilig warben die Gruender der ACE-Gruppe (Advanced Computing Environment) um den RISC-Vorkaempfer Mips Computer im Fruehjahr 1991 fuer einheitliche Schnittstellen bei der RISC-Architektur. Der Workstation-Anwender werde von Unvertraeglichkeiten nichts mehr spueren. Doch wenig spaeter kam der Daempfer: Compaq stieg aus, Digital widmete sich ganz der eigenen Alpha-Entwicklung (siehe oben). Mit dem Ausgang der RISC- Konkurrenz duerfte ACE nach Meinung von IDC nicht mehr viel zu tun haben, so bedauerlich das aus Anwendersicht sei.

Im Kampf um Marktanteile spielt auch die Gruppe 88 Open kaum eine Rolle. Ihr blieb von Anfang an die Unterstuetzung bedeutender RISC- Akteure versagt.

Noch ist im Workstation-Markt freilich nichts entschieden. Selbst die oft hochgelobte Sparc-Architektur von Sun kann nicht als De- facto-Standard gelten, dazu ist der Druck zu gross, den die konkurrierenden Lager ausueben. Nach Ansicht von Fachleuten duerfte es auf einen Kampf jeder gegen jeden unter den grossen Vier hinauslaufen. Sun, HP, IBM und Digital werden dabei die gleichen Chancen eingeraeumt, wobei anerkannt werden muss, dass Marktfuehrer Sun mit der November-Ankuendigung ein ueberraschender Coup gelungen ist.

Der Gesamtmarkt fuer RISC-basierende Systeme, dies jedenfalls das Fazit der Analysten von IDC, wird in den naechsten Jahren konstant wachsen - staerker als der Mainframe-Markt sowieso, aber auch schneller als der PC-Sektor. Der RISC-Markt ist seit 1989 jaehrlich im Durchschnitt um 114 Prozent gewachsen, waehrend CISC eine Abnahme von elf Prozent pro Jahr hinnehmen musste. 1991 wurden in Deutschland 39 500 Workstations abgesetzt, 1992 rechnet IDC mit knapp 52 000 Einheiten. Auf das Jahr 1996 hochgerechnet, schaetzt IDC das Wachstum auf jaehrlich 38 Prozent im Durchschnitt.

*Der Beitrag ist der CW-Schwesterpublikation edv-Aspekte Nr. 1 vom Januar 1993 entnommen.

Hersteller und Plattform

Es gibt sechs Gruppierungen von Herstellern, die spezielle RISC-Chips unterstuetzen:

- DEC Alpha (Digital, Kubota, Olivetti),

- IBM Power (IBM, Apple, Motorola, CSF Thomson, Wang, Bull),

- HP PRO (Precision RISC Organsiation),

- Sparc International (Sun Sparc),

- ACE-Konsortium (Mips Computer RX000) sowie

- 88 Open (Motorola 88000)

Abb.1: RISC versus CISC im Workstation- und Server-Markt 1991

Der RISC-Markt ist seit 1989 jaehrlich im Durchschnitt um 114 Prozent gewachsen, waehrend CISC eine Abnahme von elf Prozent pro Jahr hinnehmen musste. Quelle: cw

Abb.2: RISC-Auslieferungen nach Plattformen auf dem europaeischen Workstation-Markt

1991 wurden in Deutschland 39 500 Workstations abgesetzt, 1992 rechnet IDC mit knapp 52 000 Einheiten. Auf das Jahr 1996 hochgerechnet, schaetzt IDC das Wachstum auf jaehrlich 38 Prozent im Durchschnitt. Quelle: cw