Kundenbindung via Internet

Kein Fang im Internetz der Werbetreibenden

28.02.1997

Von Norbert Boehnke*

Die Losung ist ausgegeben. Aus der passiven Couchpotato, die ihre Freizeit vorzugsweise leicht angetrunken vor der Glotze verbringt, wird der agile, smarte, sagenhaft mündige und vor allem (Gebühren-)zahlungskräftige Internet-Surfer, der seine Lebensfreude über das Anklicken hübscher Ikonen in total digitalen Cyber-Welten gewinnt. Jetzt muß die Menschheit nur noch dazu bereit sein, die reale Welt gegen eine virtuelle einzutauschen. Sie wird es jedoch eher nicht tun - und das ist gut so.

Abgesehen von einer relativ jungen, gebührengesponserten Zielgruppe, die das Internet im wesentlichen als Chat- und Fun-Ecke erlebt, statt wie gewünscht einzukaufen, sind deutsche Privatanwender kaum regelmäßig online. Dennoch bietet der PC in Kombination mit kundenorientierten Angeboten durchaus gute Möglichkeiten für die Marktkommunikation.

Was im Bereich neuer marktorientierter Medien getan werden mag, das Ergebnis ist immer nur so gut wie der Grad seiner freiwilligen Nutzung. Der Anwender ist Kunde und kein Mitarbeiter - der sich durch eine Anwendung kämpfen muß, um seinen Job zu behalten.

Er sitzt irgendwo da draußen, vielleicht in einer möblierten Studentenwohnung, vielleicht in einer Traumvilla. Der Anwender ist ungewöhnlich ehrlich - und radikal intolerant: Was nicht gefällt, wird für immer gemieden. Wer ihn aber als Partner behandelt, kann ihn als Kunden gewinnen.

Anfang 1996 haben private TV-Kanäle ihre Sendezeiten geändert. Volle Stunde, volles Programm - der Abendfilm startete also schon um 20 Uhr. Kaum ein Jahr später sind fast alle wieder beim 20-Uhr-15-Zyklus: Kaum ein Zuschauer hatte die Tagesschau um acht opfern wollen. Volle Stunde - voll daneben. Anwender haben eben ihre Gewohnheiten, und sie werden sich schwer einreden lassen, daß Internet-Surfer und Cyberspace zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben gehören.

Die VHS-Videokassette war seinerzeit gegenüber Grundigs Video 2000 und Sonys Betamax-Systemen technisch unterlegen, dennoch ist VHS der Standard geworden. Warum? Die Hersteller von Hardcore-Videos entschieden sich wohl aus Kostengründen damals für VHS als Datenträger ihrer Verleihfilme. Sie sorgten für den plötzlichen Run vieler braver Familienväter auf den eigenen Videorekorder - natürlich VHS-kompatibel. Je genauer die "Grundbedürfnisse" der Anwender getroffen werden, desto größer ist das Potential der Kundenbindungsmaßnahme.

Kaum hat der Anwender morgens ein Auge aufgetan, überhäufen ihn bereits Angebote aus dem Radiowecker. Das geht den ganzen Tag so weiter. Sei es über Plakatwände, Zeitungsanzeigen, Postwurfsendungen oder Fernsehspots. Wichtig ist es also, das eigene Angebot hervorzuheben. Der Anwender soll sich mit diesem intensiver als mit all den anderen befassen.

Das Problem mit der Anwenderakzeptanz

Neben dem Fernsehen ist Videotext das mit Abstand meistgenutzte elektronische Medium Europas. Anwender nutzen vertraute Medien. Eine Studie der "Wirtschaftswoche" zeigt, daß 98 Prozent der deutschen Haushalte regelmäßig Fernsehen und 52 Prozent Videotext nutzen, 47 Prozent per Kabelanschluß. 25 Prozent setzen privat einen PC ein, 17 Prozent verfügen über ein CD-ROM-Laufwerk, sechs Prozent besitzen ein Modem und vier Prozent einen Online-Account.

Viele behaupten, in zwei Jahren würden diese Zahlen ganz anders aussehen. Die Anwender sagen das nicht. 17 Prozent der Haushalte planen die zusätzliche Nutzung von Videotext - nur 15 Prozent wollen sich in absehbarer Zeit einen Online-Account zulegen, zwei Prozent bekunden grundsätzlichen Bedarf für interaktives Fernsehen ê la DF1.

Betrachtet man die Medien des Anwenders in Hinblick auf Reichweite, Anwenderakzeptanz und Eignung als Kundenbindungsinstrument im einzelnen, kann man folgendes feststellen: Das Fernsehen mit einer Reichweite von 98 Prozent zeichnet sich durch eine sehr hohe Anwenderakzeptanz aus.

Der Grund: bezahlbare Gebühren und einfache Handhabung. Doch kostenbedingt sind die Werbezeiten extrem kurz und allgemein gefaßt, bestenfalls als Auslöser für eine einmalige Folgeaktion des Kunden geeignet. Kundenbindung ist praktisch nicht möglich.

Obwohl die Reichweite von Videotext nur noch bei 52 Prozent liegt, besitzt auch dieses Medium eine hohe Anwenderakzeptanz. Videotext ist einfach zu handhaben, kostenlos, tagesaktuell und sehr informativ. So ziemlich jede Information, die der durchschnittliche Verbraucher benötigt, ist aktuell verfügbar und wird unter anderem von Medienprofis großer Verlage professionell getextet. Es ist als Kundenbindungsinstrument gut geeignet zum Beispiel für Versandhäuser und Banken, die sehr zeitnah Sonderaktionen beziehungsweise Geldmarktkurse publizieren wollen. Jede Information läßt sich bundesweit im Minutentakt verbreiten und zeitgleich empfangen.

Durch Anknüpfung einer Videotextseite an einen Werbespot bestehen sehr gute Möglichkeiten, Zusatzinformationen kostengünstig mitzuliefern. Größte Nachteile sind die rudimentäre Datenaufbereitung, die flache, langsame Navigation und die fehlende Speicherbarkeit der Information.

Mit 17 Prozent liegt die Anwenderakzeptanz der CD-ROM schon deutlich niedriger. Ist eine neue Scheibe zwar zunächst sehr interessant - da kostenlos, performant und voll multimedial gestaltbar -, läßt ihr Reiz, sobald die enthaltenen Informationen bekannt und damit alt sind, in der Regel stark nach. Solange die CD-ROM im Laufwerk des Anwenders bleibt, ist das Kundenbindungspotential der Scheibe also sehr gut, wandert sie jedoch ins Archiv, tendiert dieser Wert gegen Null. Als Hybridmedium in Verbindung mit Online-Daten und tagesaktueller Information hat die CD-ROM allerdings eine große Zukunft.

Entgegen allen Prognosen liegt die Reichweite von Online-Diensten erst bei vier Prozent. Nach mühevoller Installation des Modems und anschließendem Erhalt der ersten 12000 Yahoo-Treffer samt der folgenden dreistelligen Telefonrechnung erleben das große Anfangsinteresse und die erhebliche Investitionsbereitschaft in vielen Haushalten ein jähes Ende. Die Branche zählt unverdrossen nicht die nach zwei Monaten noch aktiven echten Anwender, sondern die verkauften Starter-Pakete.

Das Rennen im kommerziellen Bereich machen Offline-Browser, die nach Art eines Agenten täglich aktuelle Informationen auf den PC des Anwenders übertragen und dann lokal abgerufen werden können. Das Internet als anarchisches Netz eignet sich in seiner reinsten Form sowenig als Kundenbindungsinstrument wie eine Papierflut im Briefkasten. Die Natur - und der Erfolg - des Internet liegen in der Tatsache begründet, daß es eben niemandem gehört und es folglich auch kein Anbieter mit Beschlag belegen kann.

Hochinteressant werden Online-Dienste für die Kundenbindung, sobald sie mit einer beim Kunden bereits installierten Softwarekomponente interagieren. Diese ist idealerweise eine individuell anpaßbare Erlebniswelt auf dem PC des Anwenders, die möglichst kostenfrei durch immer neue aktuelle Inhalte aus einem Netz gespeist, aktualisiert und aktiviert wird. Die meisten Anwender nutzen heute nichtinteraktive Medien, nur eine Minderheit nimmt Online-Dienste in Anspruch. Vielleicht ändert sich dies in Zukunft.

Wird heute eine Kundenbindungsmaßnahme geplant, muß die Ansprache des Rezipienten permanent sein. Damit er sich angesprochen fühlt, muß sein Interesse genau auf dieses eine Angebot unter Millionen anderen im Internet gelenkt werden. Nicht die eigenen Interessen des Anbieters dürfen im Vordergrund stehen - die des Kunden sollen es sein. Er möchte seinen persönlichen Nutzen sehen. Wenn die Kunden Informationen über Produkte und Dienstleistungen verstehen, unterstützen diese auch die Kaufentscheidung - und nur dann.

Aus der Sicht der Massenartikelanbieter ist in den Online-Diensten nur ein Bruchteil der potentiellen Klientel überhaupt mit PCs präsent. An alle, die keinen Online-Anschluß haben, verschickt man am besten eine CD-ROM oder eine Diskette, um sie zu erreichen. Den wenigen, die bereits einen Online-Anschluß haben, stellt man eine CD-ROM oder eine Diskette zur Verfügung, die den Zugriff auf Online-Informationen ermöglicht. Die darauf enthaltene Information muß stets aktuell sein, damit sie, auch wiederholt, abgerufen wird.

Deshalb müssen täglich neue Informationen in die auf der CD enthaltenen Software eingebunden werden. Optimal sind CD-ROMs mit Software, die sich über das Internet oder einen anderen Online-Dienst ständig aktualisieren läßt. Experten in Sachen Information und Unterhaltung sind gefragt, um täglich Neues in das Internet zu stellen, das der Anwender auf seinen Rechner laden kann. Ohne professionelle Unterstützung ist es sehr fraglich, ob es gelingt, Kunden durch das Internet zu binden. Es sei denn, es handelt sich um Informationen, die sie unbedingt benötigen und die nur im Internet bereitstehen.

Allen, die das Internet als Werkzeug für Kundenbindung einsetzen, sei geraten, auch an Alternativen zu denken. Welche denkbar sind, soll ein Beispiel aus dem Verlagswesen zeigen:

Alle Abonnenten erhalten ein Paket, das aus einer CD-ROM mit Informationen über Verlag und Titel und einer PC-Steckkarte zum Anschluß an das TV-Antennenkabel besteht. Nach der Installation auf dem heimischen Rechner bietet die CD-ROM die Möglichkeit, entweder die Verlagsinfos zu lesen oder in das ebenfalls enthaltene Modul "persönliche News" einzusteigen. Hier kann der Kunde seine individuellen Interessengebiete definieren.

Es stehen Informationen zur Verfügung, die einerseits regelmäßig im Videotext der deutschen Sender ausgestrahlt und andererseits entweder auf der mitversandten CD-ROM liegen oder auf angemieteten Videotextseiten ausgestrahlt werden. Der Kunde definiert sein Abfrageprofil nach Rubrik, Wunsch und Infoquelle.

Immer wenn der Nutzer seinen PC einschaltet, läuft - vorausgesetzt, die mitgelieferte CD-ROM ist eingelegt - folgendes ab: Eine von der CD-ROM installierte Datenbank auf der Kundenfestplatte steuert im Hintergrund automatisch einen TV-Tuner auf der Steckkarte an. Er gibt den Befehl, nacheinander alle TV-Sender einzustellen und die Informationen entsprechend des Profils aus den Videotextseiten auszulesen. Die Daten werden in die Datenbank transferiert und anschließend automatisch von einem Browser in vorbereiteten Masken auf dem Bildschirm grafisch aufbereitet und dargestellt.

Diese Alternative eröffnet also über die CD-ROM hinausgehende Informationsquellen. Der Verlag kann täglich einen attraktiven Content bereitstellen und den Kunden gleichzeitig für das angekoppelte Angebot interessieren. Diese Idee könnte durchaus zu einer kundennahen, kostengünstigen Alternative zum Internet werden.

Angeklickt

Entgegen allen mit Superlativen angereicherten Erfolgsmeldungen über das Internet scheint das "Netz der Netze" keineswegs überragend bei den Anwendern anzukommen. Das Interesse erlahmt nach dem Erstgebrauch schnell. Um es lebendig zu erhalten, bietet sich das - ansonsten als Instrument zur Kundenbindung auch nicht gerade empfehlenswerte - Medium CD-ROM an. Dieses legt die technische Basis für das Updaten ständig aktualisierter Informationen. Und die wiederum könnten aus dem Internet kommen - oder aus einer ebenfalls recht betagten Quelle: Videotext.

*Norbert Boehnke ist Geschäftsführer der Hypermedia GmbH in München.