Kein Ende des Linux-Trends

24.11.2005
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
12.400 Besucher kamen 2005 zur Linuxworld, 2400 weniger als im Vorjahr.
12.400 Besucher kamen 2005 zur Linuxworld, 2400 weniger als im Vorjahr.

Solche Erfolgsmeldungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Linux zwar deutlich über die einstige Web-Nische hinaus ausgebreitet hat, keineswegs aber zu einer radikalen Änderung der IT-Strukturen führt. "Linux und Open Source sind zwar heute Mainstream", meint Frank Hoberg, Geschäftsführer des Groupware-Spezialisten Open-Xchange, "aber die Firmen können nicht ihre gesamte IT auf Open Source umstellen, und sie wollen es auch gar nicht." Demzufolge müssten sich neue Anwendungen "möglichst reibungslos in die bestehende Landschaft einfügen". Dabei hätten jene Anwendungen die besten Chancen am Markt, "die verschiedene Welten unterstützen, die modular, flexibel und standardkonform sind".

Mehr als Open Source

Das Angebot an Linux-fähigen Programmen ist gewaltig, inzwischen doppelt so groß wie für jede beliebige Unix-Distribution. Es handelt sich aber weitgehend um proprietäre Entwicklungen. Open-Source-Software hat zurzeit offenkundig nur dort eine Chance, wo es um Infrastrukturtechnik vom Betriebssystem über Datenbanken und Entwicklungswerkzeuge bis zu Middleware (Samba, Jboss etc.) geht - oder um Fachanwendungen, die mit einem überschaubaren Set von Features ausgestattet sind und/oder nicht häufig erneuert werden müssen. Open-Source-CRM passt in dieses Feld, nicht aber zum Beispiel das meistens branchenspezifisch ausgeprägte und dauernden gesetzlichen Änderungen ausgesetzte ERP.

Wichtige Anwendungen fehlen

Das Programmangebot für Linux zeigt inzwischen ausgeprägte Merkmale: Trotz seiner Fülle fehlen einige Anwendungen, die in Industrie und Verwaltung sehr verbreitet sind. So gibt es keine Linux-fähige Version des hierzulande wichtigsten CAD-Programms, "Catia". Eine Linux-Schnittstelle für das Datev-Finanzbuchhaltungssystem existiert ebenfalls nicht. Und auf kommunaler Ebene setzen Einschränkungen der Bundesdruckerei beim neuen Reisepass die Verwendung von Windows voraus.

Linux hat also noch mit etlichen Defiziten und Hinderungsgründen zu kämpfen. Mit einem aber haben die durchweg stark auf Technik fixierten Open-Source-Freunde offenbar nicht gerechnet: Auf Anwenderseite herrscht Rechtsunsicherheit. Bei einer Umfrage unter Mitgliedern der IBM-Anwendervereinigung Guide Share Europe (GSE) gaben zwei Drittel der Befragten an, ungeklärte Rechtfragen um Linux hätten schon Entscheidungen beeinflusst.

Gleichwohl weiß Thomas Uhl, Vorsitzender des Linux-Arbeitskreises in der GSE, dass "fast jeder IBM-Anwender schon mit Linux experimentiert hat". Die IT-Spezialisten tun es einfach, weil juristische Bewertungen dem Alltag immer hinterherhinken. Uhl: "Erst kommt die Technik, dann das Recht." Einer unbeschwerten Entwicklung ist das gleichwohl nicht förderlich.

Allerdings gibt es auch für Linux-Anbieter Hemmnisse. Das Fehlen von Risikokapital hält Uhl, der hauptberuflich die Geschäfte des Stuttgart-Korntaler Unternehmens Millenux leitet, beispielsweise für hinderlich. Dabei hat sich in Deutschland - nicht zuletzt durch die Nachfrage der öffentlichen Hand - eine Gruppe kleiner bis mittelständischer Linux-Dienstleister herausgebildet, die sehr viel Know-how besitzen, leistungsfähig sind und gute geschäftliche Perspektiven haben.

Vom Main zum Rhein

Nach sechs Jahren zieht die Linuxworld vom Frankfurter zum Kölner Messegelände um. Der neue Messeort soll, so die Hoffnung der Veranstalter, ein größeres Besucherpotenzial erschließen. Die Zielgruppe besteht stärker als bisher aus Unternehmen. Denn zur Begründung des Ortswechsels wird angeführt, dass Nordrhein-Westfalen das Bundesland mit der höchsten Unternehmensdichte in Deutschland ist. Zudem habe NRW in den letzten Jahren durchweg die nach Hessen zweitstärkste Besuchergruppe auf der Linuxworld gestellt. Die in Frankfurt parallel zum Treffen der Open-Source-Interessierten veranstaltete Banken- und Versicherungsmesse EBIF wird nicht nach Köln umziehen. Ob es dort eine andere Parallelmesse geben wird, ist noch nicht entschieden. Die nächste Linuxworld ist auf 14. bis 16. November 2006 angesetzt.

Doch die Wachstumsmöglichkeiten, die eine ständig größere Linux-Anwenderschaft bietet, können sie nicht in vollem Umfang abschöpfen. Dazu müssten sie den Personalstamm erheblich vergrößern. Vor diesem Schritt schrecken sie aber noch zurück. Nur zu gut erinnert sich jedermann, dass zur Jahrtausendwende Firmen wie ID-Pro, Innominate und auch Suse Bankrott gingen oder in große Schwierigkeiten gerieten, nachdem sie in der Hoffnung auf das große Dienstleistungsgeschäft zahlreiche Mitarbeiter eingestellt hatten.

Dass es auch Alternativen zu Venture Capital gibt, hat das Arnsberger Unternehmen Gonicus bewiesen: An ihm hat die Becom Informationssysteme GmbH aus dem nahe gelegenen Schwerte, einer der größten IBM-Partner in Deutschland, für einen nicht genannten Betrag eine Minderheitsbeteiligung erworben. Gonicus betreut nun als offizieller Partner sämtliche Linux-Projekte von Becom. Sieben Linux-Spezialisten wechseln von Becom zu Gonicus, das jetzt mit 30 Linux-Spezialisten auch eher "an größere Aufträge kommen" möchte, wirbt Gonicus-Geschäftsführer Alfred Schröder.