Boston-Consulting-Studie zum Online-Handel in den USA

Kein direkter Weg zum Kunden

29.06.2001
MÜNCHEN (CW) -Nach dem ersten kräftigen Shake-out unter den Dotcoms zeigt eine Studie zur Situation des Online-Handels der Boston Consulting Group (BCG) mit dem Titel "The State of Online Retailing 4.0", dass der Online-Handel in den USA die schweren Zeiten zur Konsolidierung nutzen konnte.

Insgesamt wuchs der Umsatz im Online-Handel in Nordamerika von 26,7 Milliarden Dollar im Jahr 1999 auf 44,5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr, was einem Zuwachs von 66 Prozent entspricht. Auch im laufenden Jahr sollen die Einnahmen laut BCG-Studie noch einmal um 46 Prozent zulegen. Dabei entfällt der Löwenanteil des Umsatzes auf Reisen, gefolgt von Hard- und Software. Trotz der schönen Wachstumszahlen stellt die BCG-Studie aber fest, dass der Anteil des E-Commerce am Gesamtumsatz der US-Wirtschaft 2000 nur verschwindend geringe 1,7 Prozent ausmacht. Und: Der Umsatz der einzelnen Unternehmen übersteigt in den seltensten Fällen eine Milliarde Dollar.

Rentabilität schwankt nochDie von den Verfassern als maßgeblich für die Rentabilität angesehene Marke von zehn Prozent Anteil am Gesamtumsatz in einem bestimmten Marktsegment wurde letztes Jahr in den Bereichen Computer, Reisen und Bücher erreicht. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchdringung des Marktes nennen die Verfasser drei Kriterien: einen hohen Informationsbedarf, zweitens dürfen die gehandelten Produkte, wie beispielsweise Bekleidung, keine direkte Begutachtung durch den Kunden erfordern, und drittens sollten die angebotenen Waren nicht Güter des täglichen Bedarfs sein, die einfacher im Supermarkt um die Ecke zu erstehen sind.

Die Akteure auf dem elektronischen Markt lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Zum einen die reinen Online-Händler, dann so genannte stationäre Händler, also der traditionelle Einzelhandel, welche Web-Business auf der Basis eines bestehenden Offline-Handels betreiben, und Versandhäuser. Letztere bringen nach Ansicht der BCG-Experten aufgrund ihrer bestehenden Vertriebs- und Kundenstrukturen beste Voraussetzungen für eine Marktdominanz im Internet-Geschäft mit. Von den Versandhäusern sind bereits 72 Prozent in der Lage, im Internet profitabel zu arbeiten, während stationäre (43 Prozent) und vor allem rein Web-basierte Händler (27 Prozent) noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

Insgesamt beliefen sich die Betriebsverluste im amerikanischen Online-Handel 2000 auf rund 5,6 Milliarden Dollar vor Steuern, also 13 Prozent des Umsatzes gegenüber 19 Prozent im Vorjahr. Zwar konnten Web-basierte Händler ihre Verluste im Vergleich zu 1999 halbieren, kommen aber mit Verlusten von immerhin 94 Prozent des Umsatzes noch nicht wirklich über ein Nullsummenspiel hinaus. Auch die stationären Anbieter konnten ihre Verluste von 67 auf 36 Prozent reduzieren, während allein die Versandhäuser Gewinne in Höhe von zwölf Prozent erzielten. Die Web-basierten Händler haben mit durchschnittlich um 50 Prozent höheren Kosten als Versandhäuser und traditionelle Händler zu kämpfen. Sowohl die teure Kundenakquisition als auch die schlecht ausgebauten Vertriebswege sind Widrigkeiten, die sie mit den stationären Händlern teilen, bei denen sie jedoch nicht in so hohem Ausmaß auftreten. So hat der Web-basierte Händler beispielsweise pro verkaufte Einheit Kosten in Höhe von 73 Prozent des Umsatzes, der stationäre von 60 Prozent und der Versandhändler von 48 Prozent zu tragen (siehe Grafik).

Drei Kriterien für HändlerFür die Etablierung auf dem Markt haben die BCG-Autoren drei Linien ausgemacht, an denen entlang der Online-Händler sein Geschäft zu entwickeln hat, nämlich Relationship-Marketing, der Aufbau des Web-Auftritts und die Kundenbetreuung. Sie werfen den Unternehmen allerdings vor, dass viele Web-basierte Händler mit ihrem Relationship-Marketing nicht über das Frühstadium des undifferenzierten Massen-Marketings hinauskommen. Die Studie weist jedoch daraufhin, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die Zukunft der Web-basierten Händler in Nischenmärkten liege. Diese stellen die Mehrheit der 27 Prozent profitabel arbeitenden reinen Online-Händler. Aber auch die stationären Händler tun sich, verglichen mit den Versandhäusern, schwer, online gute Ergebnisse zu erzielen. Besonders die nahtlose Verbindung von Offline- und Online-Handel ist bei vielen noch verbesserungswürdig.

Weiterhin gute AussichtenWas die Aussichten des Warenhandels im Internet angeht, geben sich die Autoren der BCG-Studie optimistisch. Die Nachfrage im Internet werde weiterhin stark wachsen. So haben in den letzten drei Monaten des Jahres 2000 bereits ein Drittel aller US-Bürger Waren im Internet gekauft, wobei hier die Ausgaben der Konsumenten noch weit entfernt sind von denen im klassischen "Brick-and-Mortar"-Handel. Aber jeder Fünfte gibt an, bis 2005 wenigstens die Hälfte seines Konsums im Internet bestreiten zu wollen. Da sich die dort nachgefragten Güter zunehmend mit denen des Massenkonsums decken, würden etablierte Offline-Händler auch immer größere Bedeutung im E-Business erlangen. Schließlich genössen sie aufgrund ihrer bereits im traditionellen Handel etablierten Namen großes Kundenvertrauen. Dennoch erfordere das Customer-Relationship-Marketing bei vielen Händlern noch einiges an Verbesserungen, beispielsweise hätten lediglich 36 Prozent der untersuchten Firmen bis dato CRM-Software installiert.

Wahrscheinlich werde es künftig vermehrt zu Partnerschaften zwischen Herstellern und Händlern kommen. Die frühere Theorie, nach der mittels des Internet der Kontakt zwischen Kunde und Hersteller sich ohne das Zwischenglied Händler gestalten werde, sehen die Autoren als widerlegt an. Ebenfalls auf weiteres Wachstum lasse die Breitbandtechnologie hoffen, über die bis Ende 2001 bis zu zwölf Millionen US-amerikanische Haushalte verfügen sollen. Hiervon verspricht man sich eine Steigerung des "Online-Erlebnisses", was sich in wachsenden Kundenzahlen niederschlagen soll, wohingegen dem M-Commerce mittels WAP keine große Zukunft beschieden sein werde, da kaum jemand eine Schrankwand an der Straßenecke erstehen wolle.

Im Gegensatz zu früheren Studien der BCG zum Online-Handel berücksichtigt die aktuelle Auflage den Bereich Finanzen und Börse nicht mehr, da dieser sich unabhängig vom übrigen Geschehen auf dem elektronischen Markt entwickle. Finanzdienstleistungen im Allgemeinen und der Börsenhandel im Besonderen werden auch weiterhin den größten Anteil am Online-Handel ausmachen, der Online-Börsenhandel erbrachte im Jahr 2000 allein 19 Prozent des gesamten Börsenumsatzes.

Abb: New Economy in der Kostenfalle

Nach wie vor sind für reine Web-Shops die Markterschließungskosten am höchsten. Quelle: BCG