FDP zieht den Kürzeren

Kein Digitalministerium in Sicht

09.11.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
In den Verhandlungen über eine mögliche Ampelkoalition ist das Thema Digitalministerium wohl vom Tisch. Offenbar konnte sich die FDP mit ihren Forderungen nicht durchsetzen.
Eigentlich müsste die Digitalisierung von Staat und Verwaltung endlich Fahrt aufnehmen. Aber viele Projekte dümpeln in Schleichfahrt vor sich hin.
Eigentlich müsste die Digitalisierung von Staat und Verwaltung endlich Fahrt aufnehmen. Aber viele Projekte dümpeln in Schleichfahrt vor sich hin.
Foto: Sergey Lavrentev - shutterstock.com

Dass die Digitalisierung in Deutschland mehr Fahrt aufnehmen muss, darüber ist man sich bei der SPD, den Grünen und der FDP grundsätzlich einig. Wie das in einer möglichen Ampelkoalition organisiert werden soll, darüber gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Als einzige der drei Parteien hatten die Liberalen in ihrem Wahlprogramm ein dediziertes Digitalministerium in der kommenden Bundesregierung anvisiert. Doch dieses Wahlversprechen wird die FDP nach aktuellem Stand der Koalitionsverhandlungen kaum halten können.

Das "Handelsblatt" berichtet, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach kein eigenständiges Digitalministerium geben werde, und beruft sich dabei auf mehrere mit den Koalitionsverhandlungen vertraute Personen. Die FDP befinde sich mit ihrer Forderung "auf dem Rückzug", habe ein Unterhändler durchblicken lassen. Grund dafür ist dem Vernehmen nach der mit dem Aufbau eines neuen Ministeriums verbundene Aufwand. Das gilt in erster Linie für organisatorische Fragen: Bestehende Ressorts müssten Kompetenzen abgeben, die an anderer Stelle neu zu bündeln wären. Laufende Digitalisierungsprojekte einzelner Ministerien wie beispielsweise die Elektronische Patientenakte (EPA) aus dem Ressort Gesundheit müssten neu zugeordnet werden.

Statt mit einem zentralen Ministerium soll die Digitalpolitik anders geregelt werden. Dafür sind offenbar unterschiedliche Modelle im Gespräch. Beispielsweise könnte ein Ministerium wie beispielsweise das Wirtschafts- und Energieressort mit der Zuständigkeit für Digitales aufgewertet werden. Andere Modelle sehen vor, eine Art Bundesminister mit besonderen Aufgaben zu installieren, oder einen Staatsminister-Posten für Digitales im Kanzleramt einzurichten.

Wer darf wem wie reinreden

Egal wie so eine Rolle in der künftigen Regierung definiert wird - das Kompetenzgerangel dürfte in jedem Fall weitergehen. Die zentrale Frage, wie so ein Digital-Staatssekretär oder ein Chief Digital Officer im Kanzleramt, den SPD-Kanzleranwärter Olaf Scholz vor der Wahl ins Spiel gebracht hatte, Einfluss auf die Digitalisierungsprojekte anderer Ministerien nehmen kann, bleibt bis dato unbeantwortet. Dabei sollten gerade die Erfahrungen der vergangenen Jahre den Ampelparteien Mahnung genug sein. Schon in der abgelaufenen Legislaturperiode gab es mit Dorothee Bär von der CSU eine Staatsekretärin für Digitale Angelegenheiten, und Kanzleramtschef Helge Braun von der CDU sollte die Digitalisierung federführend voranbringen. Passiert ist jedoch wenig.

Dorothee Bär von der CSU sollte als Staatsministerin die Digitalisierung voranbringen - getan hat sich wenig.
Dorothee Bär von der CSU sollte als Staatsministerin die Digitalisierung voranbringen - getan hat sich wenig.
Foto: Tobias Koch

Das monieren vor allem die Wirtschaftsverbände. "Ich wünsche mir von den künftigen Regierungsparteien mehr Mut und Innovationskraft, um auch politische Strukturen an der Stelle neu zu denken und den dringend benötigten digitalpolitischen Relaunch in Deutschland anzustoßen", sagte Anfang November Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender von eco - Verband der Internetwirtschaft e.V. Strategisch relevante digitalpolitische Aufgaben in einem Digitalressort mit klarem Auftrag zu bündeln, sei nach wie vor die beste Lösung, um das Querschnittsthema der digitalen Transformation konsistent politisch zu steuern. "Die bestehenden Strukturen, bei denen die Kompetenzen für die Digitalisierung auf verschiedene Ressorts und Ministerien verteilt sind, haben sich als nicht effizient erwiesen", kritisierte Süme.

Es fehlt der Wille - Digitalisierung ausgebremst

Es gehe beim Digitalministerium nicht darum, einen schwerfälligen Beamtenapparat aufzubauen, der alles was mit dem Begriff "digital" in Verbindung steht, absorbiert. "Vielmehr sollten die Koalitionspartner eine durchsetzungsstarke und reaktionsfähige Organisation schaffen, die zentrale Fragen der Digitalisierung strategisch und stringent angeht und darüber hinaus einen Rahmen für eine agile und dynamische Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft setzt", forderte der Internet-Lobbyist.

"Die künftige Regierung sollte der Digitalisierung einen politischen Kopf in einem starken Digitalministerium und einen festen Platz am Kabinettstisch geben", verlangte Bitkom-Präsident Achim Berg. Auch der Cheflobbyist der ITK-Wirtschaft kritisiert den schleichenden Abschied vom Digitalministerium. "In der Digitalpolitik hat es der Bundesregierung in den vergangenen Legislaturperioden an Entschlossenheit und dem unbedingten Willen gefehlt. Die Erkenntnis war da, aber es haperte bei der Umsetzung", sagt Berg und sieht die Gründe auch im politischen System. "Föderalismus, erstarrte Strukturen und Kompetenz-Wirrwarr zwischen den Ministerien bremsen uns aus. Künftig muss die Digitalisierung bundesweit und ressortübergreifend vorangetrieben werden."

Politik hat wenig Ahnung von Digitalisierung

Der IT-Lobby-Verband warnte die kommende Bundesregierung davor, noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu verspielen. Die Deutschen würden der Digitalpolitik nur ein durchwachsenes Zeugnis ausstellen, hieß es unter Berufung auf eine eigene Umfrage unter mehr als 1.000 Wahlberechtigten hierzulande. Demzufolge seien fast drei Viertel der Bevölkerung der Ansicht, dass Deutschlands Politikerinnen und Politiker zu wenig Ahnung von der Digitalisierung haben. Nicht einmal die Hälfte (43 Prozent) glaube, dass die Politik in der Lage sei, die Digitalisierung voranzubringen und zu gestalten. Und lediglich drei von zehn (28 Prozent) attestierten der Politik eine klare Strategie bei dieser Aufgabe. "In der Bevölkerung herrscht berechtigte Unzufriedenheit, was die politische Strategie und das Tempo der Digitalisierung angeht", kommentierte Bitkom-Präsident Berg diese Zahlen.