Kaum Vermittlungschancen fuer aeltere Datenverarbeiter Jugendwahn und eine falsche Ausbildung beguenstigen dir Krise

11.06.1993

MUENCHEN (hk) - Innerhalb eines einzigen Jahres hat sich die Arbeitsmarktlage fuer DV-Profis dramatisch veraendert. Betroffen sind in erster Linie aeltere Mainframe-Spezialisten. Allerdings gibt es konkrete Versuche, dieser Berufsgruppe zu helfen.

Immer wieder geben kleine Hinweise Auskunft darueber, wie rauh das Klima mittlerweile auf dem bisher von Krisen verschont gebliebenen DV-Arbeitsmarkt geworden ist. So teilte unlaengst ein in Stuttgart ansaessiges US-Softwarehaus Mitarbeitern die Entlassung zum letztmoeglichen Kuendigungungstermin per Fax mit.

Ein Pfaelzer Unternehmer laesst den neueingestellten Mitarbeiter gleich im Arbeitsvertrag unterschreiben, dass er Weiterbildungskosten nach einem bestimmten Schluessel rueckerstatten muss, falls er fruehzeitig kuendigt. Besucht also der Systemspezialist eine einwoechige Schulung, muss er 36 Monate im Betrieb verbleiben, ansonsten darf er die Kursgebuehren seinem Chef zurueckzahlen.

Zeitbombe DV-Arbeitslosigkeit geht bald hoch

"Die Zeitbombe DV-Arbeitslosigkeit tickt". So drastisch formuliert Ralph Regitz die derzeitige Situation am DV- Arbeitsmarkt. Er geht im Moment von 50 000 bis 60 000 beschaeftigungslosen Computerexperten aus, mit rapide steigender Tendenz. Und diese Zeitbombe werde aus der Sicht des Koelner Personalberaters bald hochgehen, da es keine Anzeichen fuer eine Besserung gebe.

Regitz nennt zwei Gruende, die diesen Arbeitsmarkt so schlecht aussehen lassen. Zum einen herrsche in den Unternehmen ein "Jugendwahn". Vor allem international taetige Konzerne stellten nur ganz junge Mitarbeiter ein, aeltere, die jetzt in groesserer Anzahl von DV-Herstellern freigesetzt wuerden, haetten kaum Chancen unterzukommen. Zum anderen werde bei vielen Schulungsunternehmen falsch ausgebildet. Er kann nicht begreifen, dass weiterhin Umschueler fuer die Grossrechnerwelt trainiert werden: "Dieser Markt ist tot", also werde fuer die Arbeitslosigkeit gelernt.

Auch Renate Schuh-Eder kann den aelteren DV-Spezialisten dann wenig Hoffnung machen, wenn ihr Unternehmen sie sehr einseitig einsetzte. Allerdings bietet ihre Firma, die Beratungsgruppe Wirth i Partner, eine neue Dienstleistung an, die speziell auf arbeitslose Datenverarbeiter zugeschnitten ist.

In einem eineinhalbtaegigen Workshop erhalten arbeitslose Computer-Profis Informationen und Tips, um ihre Bewerbungschancen zu erhoehen. Das Programm enthaelt unter anderem eine Darstellung der Arbeitsmarktsituation, ein ausfuehrliches Bewerbungstraining sowie Hilfen zur Bewaeltigung der eigenen Situation - fuer rund 700 Mark.

Hoffnungen durch Gesetz zur Arbeitslosenfoerderung

Die Personalberaterin haelt diese Veranstaltung unter anderem deshalb fuer wichtig, weil viele Teilnehmer hier zum ersten Mal ein realistisches Bild von ihrer Person erhalten. Arbeitnehmer mogelten sich durch das Berufsleben, ohne je die eigenen Fehler kennenzulernen: "Selbst ein sehr gutes Zeugnis kann sich doch jeder vor dem Arbeitsgericht erstreiten".

Der Kurs soll den Teilnehmern helfen, ein realistisches Bild von sich zu bekommen. Jobs gebe es auch bei ihr keine. Jedoch versuche man mit Adressen, unter anderem von Selbstaendigen weiterzuhelfen, die sich mit Projektaquisition beschaeftigen und Spezialisten fuer die Realisierung dieser Arbeiten benoetigen.

Wie schwierig es ist, als aelterer DV-Spezialist unterzukommen, zeigen zwei Beispiele, die durchaus repraesentativen Charakter haben. Daniel Becker*, 41 Jahre alt, wurde bei CDI als MVS- Spezialist ausgebildet und ist seit einem Jahr arbeitslos. Obwohl er seinen Kurs mit sehr gut abschloss, zeigt der Lebenslauf des Ex- Geisteswissenschaftlers einige Unebenheiten, wie etwa zu haeufiges Jobwechseln, was heute jedem Bewerber zum Verhaengnis werden kann. "Selbst eine Scheidung wird als Minuspunkt ausgelegt", weiss Renate Schuh-Eder, da der Kandidat in "seiner Persoenlichkeit nicht stabil ist."

Auch Klaus Gaertner* ist Grossrechnerspezialist und naehert sich dem 50. Geburtstag. Sein Unternehmen im Koelner Raum wurde von einem hollaendischen Konzern gekauft, damit auch ein Grossteil der Datenverarbeitung ins benachbarte Ausland verlagert und damit sein Job ueberfluessig. Obwohl er eigenen Angaben zufolge bald 80 Bewerbungen losschickte, rechnet er sich so gut wie keine Chance mehr aus, den Wiedereinstieg zu schaffen.

Minimale Hoffnungen gibt es dennoch, und zwar ueber den Paragraphen 97 des Arbeitsfoerderungsgesetzes. Der besagt naemlich, dass bei Arbeitslosen ueber 55 Jahre das Arbeitsamt 50 bis 70 Prozent des Lohnes uebernimmt und das bis zu acht Jahren - fuer manchen Personalchef soll dies Einstellungsungskriterium sein: Halber Lohn fuer einen erfahrenen Profi. Allerdings sieht es nach Auskunft des Muenchner Arbeitsamtes mit der Umsetzung dieses Paragraphen schlecht aus, weil es sich um eine Kann-Bestimmung handelt - und bei leeren Staatskassen sei in diesem Fall nicht viel herauszuholen.

Hoffnungen koennen die beiden Berater Schuh-Eder und Regitz hoechstens den mobilen und flexiblen Datenverarbeitern machen. "Wer immer nur die Marmelade aufs Brot bekam mit Kantinenregelung, Pkw zur Privatnutzung, verschiedene Versicherungen und Altersversorgung, muss umdenken", prophezeit die bayerische Personalspezialistin. Es bleibe den Datenverarbeitern nichts anderes uebrig, als sich so gut wie moeglich zu verkaufen, lautet die Empfehlung aus dem Muenchner Arbeitsamt, "denn Jobs gibt es noch, wie der Stellenanteil der CW jede Woche zeigt".

*Name von der Redaktion veraendert