lnnovative Industrien - sie nehmen viel und geben wenig:

Kaum neue Jobs durch Neue Techniken

03.08.1984

Jobkiller zu sein, hängt als Ruf den Neuen Technologien beharrlich an. Statistische Zahlenspielerei über die wirtschafts- und soziopolitische Entwicklung trägt kontinuierlich zur allgemeinen Verwirrung bei. Zweifellos werden zusätzliche Plätze für Arbeitskräfte entstehen, allerdings jedoch, wie eine Studie der Stanford University ausweist, nur in dem nicht repräsentativen Industriebereich der "High-Tech"-Produktion.

Die "Neuen Technologien" wie Mikroelektronik, Computertechnik oder Robotik werden von interessierter Seite immer wieder gern als Quellen zahlreicher neuer Beschäftigungsmöglichkeiten angepriesen; allenfalls bei sehr kurzsichtiger Betrachtungsweise, so wird eingeräumt, könne man ihnen "arbeitsplatzvernichtende" Wirkungen zuschreiben; doch so eine Betrachtung sei eben nicht zulässig.

Es scheint jedoch ebenfalls nicht zulässig, blind den Prophezeiungen der Schöne-Neue-Welt-Prognostiker zu vertrauen. Dies belegt eine neue Untersuchung aus dem "Institute for Research on Educational Finance and Governance", das der "School of Education" der Stanford University angehört. Denn, um das Resultat zusammenzufassen, technische Innovationen werden eben doch in zunehmendem Maß Arbeitskräfte um ihre derzeitige Beschäftigung bringen. Wobei jene Unternehmen, die sich mit der Produktion der einschlägigen "High-Tech"-Maschinerien und -Systeme befassen, selbst nur eine verschwindende Zahl von Leuten beschäftigen. Personen, von denen wiederum bloß ein kleiner Teil mehr als nur simple berufliche Fertigkeiten aufweisen muß.

Kaum Technik-Berufe

Die Studie der beiden Stanford-Autoren Prof. Henry M. Levin und Russel W. Rumberger betrachtet die Szenerie der ökonomischen und technischen Umwälzungen in der Folge der Neuen Technologien nicht bloß auf einer simplen kurzfristigen Basis, sondern sie befaßt sich mit den bis 1995 erkennbaren Trends. Dabei kommt sie zu dem Schluß, noch keine sechs Prozent aller in den USA bis dahin neu geschaffenen Stellen entfielen auf technische Berufe. Umgekehrt wiederum gehörten jene zehn Berufe, bei denen bis 1995 die stärkste Zunahme an Stellen erwartet werde, allesamt dem nicht-technischen Bereich an. Von ihnen sollen zudem lediglich zwei, nämlich Unterrichts- und Pflegeberufe, überhaupt eine höhere Ausbildung erforderlich machen.

Zahlen-Verwirrspiel

Henry M. Levin, ein Fachmann für Bildungs- und Wirtschaftsfragen, kommt zusammen mit Rumberger zu dem Schluß, Fortschritte der Technik würden in den nächsten Jahren für die meisten Arbeitnehmer das Qualifikationsniveau ihrer Tätigkeit eher senken als heben. Ein Trend, für den bei den deutschen Gewerkschaften übrigens das Schlagwort von der automationsbedingten "Dequalifikation" der Berufe in Gebrauch ist.

Die beiden Autoren stützen die Erkenntnisse ihrer Untersuchung, die übrigens auch Verantwortliche jener Städte und Regionen nachdenklich machen dürfte, die heute noch intensiv um neue Industrien mit technisch anspruchsvollen Produkten werben, auf Daten des amerikanischen "Bureau of Labor Statistics", der "National Science Foundation" und des "Institute for Economical Analysis" der Universität New York. Und indem die Autoren die umfangreichen Zahlenkolonnen durchleuchteten (vermutlich mit Hilfe eines Computers), gewannen sie die Einsicht, in der Öffentlichkeit würden bei der Diskussion der Vor-und Nachteile der Neuen Technologien häufig Prozentwerte und absolute Zahlen durcheinandergeworfen, was notgedrungen falsche Schlüsse nahelege.

So war bereits bei den bis 1995 zusätzlich entstehenden Jobs die Rede davon, daß lediglich sechs Prozent von ihnen mit technischen Berufen zu tun haben werden; aber eben diese sechs Prozent erscheinen unter einem anderen Blickwinkel als eine Zunahme von nicht weniger als 46 Prozent jener Beschäftigungen, die auf neuen Technologien basieren.

Wie Prozentwerte die Sicht auf die wahren Proportionen eines Problems verstellen können, zeigen auch die folgenen Zahlen: Bis 1995 dürften rund 710 000 neue Sekretärinnen, 770 000 neue Kassierer und 780 000 neue Hauswarte und Aufsichtspersonen benötigt werden; zusammen also mehr als 2,2 Millionen Arbeitskräfte, Das aber sind mehr als vierzigmal soviel wie die rund 53 000 Computer-Servicetechniker, die in der gleichen Zeit neu hinzukommen müssen: ihre Zahl fällt kaum ins Gewicht.

Beim Blick ins vermeintlich bessere High-Tech-Morgen lassen sich manche auch von unbewiesenen Annahmen blenden: Sie assoziieren automatisch etwa hochqualitative Technik und anspruchsvolle Berufsbilder - aber das, so Levin und Rumberger, entspräche nicht der Realität. Die meisten Tätigkeiten in innovativen Industrien spielten sich in Büros und im Produktionsbereich ab; und zwar an Arbeitsplätzen, die weit unterdurchschnittliche Gehälter erbringen und für die man bestimmt keine höhere Ausbildung vorweisen muß.

Allround-Ausbildung

Alles in allem beschäftigt die Elektronik- und Computerindustrie der neuen Studie zufolge nur knapp ein Sechstel aller US-Arbeitnehmer, die Produzenten "sonstiger" technischer Produkte bereits mitgezählt. Von diesem Sechstel wiederum benötigt bloß ein Viertel für den Job eine bessere Ausbildung. Das sind natürlich Relationen, die zu denken geben ...

Andererseits wäre es falsch, betonen Levin und Rumberger, technische und wissenschaftliche Ausbildungsgänge als tote Gleise anzusehen und auf andere Berufswege auszuweichen. Verfehlt sei jedoch, meinen die Fachleute, den Nachwuchs mit purem, eng umgrenzten Spezialisten-Wissen auszustatten; es sei vielmehr nötig, eine breitgefächerte Ausbildung anzustreben, die auch später viele Möglichkeiten biete, in neuen Schulungen das rasch wechselnde Spezialwissen für unterschiedliche Berufssparten draufzusatteln.

Boom mit zwei Seiten

Abschließend sei nicht verschwiegen, daß die Levin-Rumberger-Studie inzwischen auch Kritiker gefunden hat; Stimmen aus dem "Silicon Valley", wie das britische Wissenschafts-Blatt "New Scientist" aufmerksam notierte, die zum einen an den Zahlen des "Bureau of Labour Statistics" herummäkelten: Eben jene Behörde sei ja gerade in Sachen Technologie bekannt für schlechte Arbeit ...

Und außerdem, so heißt es bei den Kritikern, ignoriere die Arbeit der beiden Stanfordianer völlig den Einfluß, den der aktuelle Technik-Boom auf die Wirtschaft insgesamt habe.

Doch ob dieser Einfluß größer ist als jener, den beispielsweise hohe Zinsen und Staatsdefizite ausüben? Man überschätzt nun einmal gern sein eigenes Steckenpferd ...