Thema der Woche

Kauflust und Kauffrust liegen im Internet dicht beieinander

03.04.1998

Das Internet konkurriert mit vielen klassischen Vertriebsformen. Es muß daher handfeste Vorzüge bieten, wenn die Unternehmenspolitik im großen Maßstab auf dieses Medium umsatteln soll. Produkte schnell zu finden wäre ein solcher Vorteil. "Für langes Herumsuchen im Netz haben IT-Beschaffer keine Zeit", mahnt Harald Summa vom Electronic Commerce Forum (ECO) in Köln. Kaum jemandem ist damit geholfen, über Suchmaschinen oder Gelbe Seiten ans Ziel zu kommen. Denn das Angebot insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen ist alles andere als professionell präsentiert: Zwar seien mittlerweile die meisten von ihnen im Netz, aber für Summa gleichen ihre Homepages bloßen Plakaten, die dem Besucher keine Interaktion erlauben. Die Verbände müßten ihre Mitglieder hier besser aufklären und zu mehr Kreativität aufrufen, aber sie wissen oft selbst nicht ausreichend Bescheid.

Ebenso ist die routinemäßige Suche nach Bezugsquellen im Internet laut Michael Rotert, Geschäftsführer von Xlink, wenig erfolgversprechend, da es an Internet-Grossisten mangelt. Etwas besser ist es hingegen um die Präsenz von Direktanbietern bestellt. Ihr ältester Vertreter ist hierzulande die Firma Transtec aus Tübingen. Seit 18 Jahren betreibt das Unternehmen sein Geschäft ohne Zwischenhändler und ist im Internet mit einem transparenten Angebot an Hard- und Software vertreten. IT-Beschaffer können online auf die Transtec-Datenbank zugreifen und dabei Preise, technische Informationen sowie die Lagerbestände einsehen, was Rückschlüsse auf die Lieferzeiten zuläßt.

Andere IT-Lieferanten wie die Dell Computer Corp. haben laut Michael Rebstock, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Darmstadt, ihren Vertrieb so aufgebaut, daß Interessenten detaillierte Produktinformationen abrufen, Hardware individuell konfigurieren und online bestellen können. Zugleich wollen solche Direktanbieter den Kunden jedoch binden, also gerade davon abhalten, nach Belieben Lieferanten und Dienstleister zu wechseln. Sie versuchen dies beispielsweise, indem sie wichtigen Abnehmern eine eigene, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Web-Site einrichten sowie Rabatte geben. Das ist durchaus im Sinne des Kunden. Er kann sich bei Bedarf auf die ausgehandelten Konditionen berufen und erhält Produkte mit vorher vereinbarten Konfigurationen. Solche Internet-Geschäfte dürften deshalb künftig mehr Anklang finden. Mit einer durchgängigen Preistransparenz über die Web-Sites aller Anbieter hinweg ist hingegen kaum zu rechnen.

Weitere Anlaufpunkte für IT-Beschaffer sind virtuelle Marktplätze und Einkauf-Malls, in denen Anbieter gegen eine monatliche Gebühr einen Platz oder Link reservieren. Die Produktpalette reicht vom Adapter bis zur Zahnpasta. Ein Beispiel ist Shoppingservice. com der Frankfurter Faust Multimedia. Der Dienst bietet 15 verschiedene Online-Shops an. Laut Inhaber Uwe Faust laufen die Hard- und Softwareläden seit Januar 1997 und verzeichnen monatlich eine Steigerung der Zugriffszahlen um zehn Prozent. Auch manche Hersteller schalten ihre Angebote direkt, um ihre Händler zu umgehen.

Einen Bauchladen voller Produkte hat auch Shop. de aus Bergisch-Gladbach zu bieten. Inhaber Martin Orth begann 1997 in einem zweiten Anlauf. Gegenwärtig verzeichnet der Dienst täglich etwa 1500 Zugriffe auf die Homepage. IT-Beschaffer können zwischen 600 Produkten von Hardwareherstellern wählen, von denen allerdings nur 44 ein Warenkorbsystem für die Online-Bestellung unterhalten. Die Zugriffe lassen sich nicht näher nach Art und Größe der Unternehmen, privater oder gewerblicher Suche klassifizieren. Daher läßt sich hier, wie auch bei anderen Marktplätzen und Malls, nicht endgültig sagen, welche Bedeutung derartige Sites für die IT-Beschaffer haben.

Beliebt und zukunftsweisend sind regionale Einrichtungen wie etwa die "Einkaufs-Mall Bodensee" (emb. net) mit Geschäftssitz an der Universität in Sankt Gallen. Sie besteht seit 1995 und führt derzeit die Banner von 1000 kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für ECO-Vertreter Summa ist diese Ausrichtung nach dem Motto "Think global, act local" prinzipiell erfolgversprechend. Es sei allerdings wichtig, konsumorientierte Privatkunden und Unternehmen unterschiedlich anzusprechen. Außerdem dürfe die Werbung über andere Medien nicht vernachlässigt werden.

Wenn regionale und überregionale Marktplätze auf Dauer bestehen sollen, müssen sie sich laut Summa spezialisieren, um IT-Beschaffern eine kompakte und hochwertige Informationsquelle zu bieten. Diesen Weg ist Software. de gegangen, ein Service der Münchner Axis Information Systems GmbH und der Nomina GmbH Informations- und Marketing Services, von der die Isis-Datenbanken stammen. Der Dienst bietet laut Geschäftsführer Stefan Morschheuser Unternehmen seit einem Jahr etwa 10000 nach Anwendungsgebieten geordnete Softwareprodukte, von denen 1500 detailliert beschrieben sind. Es dominieren betriebswirtschaftliche Lösungen. Treiber, Shareware oder Spiele finden sich nicht im Sortiment. Ferner stehen dem Besucher ein Dienst mit 5000 Firmenadressen sowie ein Verzeichnis von etwa 1000 Projekten zur Verfügung. Hinzu kommen eine spezielle Rubrik zum Thema "Jahr 2000", ein kostenloses Test-Center für Software sowie seit kurzem eine Hardwarebörse.

Inserenten buchen ein sogenanntes Softwareprofil, mit dem ihre Produkte verschlagwortet, vorgestellt und mit einem Link versehen werden. Für den IT-Beschaffer gibt es Kontaktformulare, in denen er seine Wünsche eingeben kann. Momentan registriert der Betreiber 4000 bis 5000 Pageviews am Tag. Aus den Formularen läßt sich erkennen, daß Großunternehmen, mittelständische Firmen wie auch Berater auf diesem Wege Software suchen. Die Inserenten berichten, daß dabei mittlerweile qualifizierte Kontakte zustande kommen.

Es sind somit nur wenige Anbieter, die heute schon den Mut haben, ihre Produkte über das Internet zu vermarkten. Die Einrichtung gar von E-Commerce-Anwendungen wie Messaging, EDI, Fax und Groupware scheuen diese Unternehmen noch. Derartige Produkte haben zudem oft Schwachstellen wie die mangelhafte Anbindung von Web-Filialen an unternehmenskritische Anwendungen und die unvollständige Integration der Buchhaltung. Eine Studie der International Data Corp. (IDC) ergab, daß erst 25 Prozent aller Firmen diese Möglichkeit des Online-Handels nutzen.

Die geringsten Berührungsängste seitens der Suchenden im Netz hat die Finanzwelt. Sie unterhält schon seit Jahren elektronische Geschäftsverbindungen und baut nun ihre Kontakte aus. Ein Beispiel liefert die Dresdner Bank. Hier ordert die Abteilung IT-Beschaffung unter Leitung von Thomas Bühler in zunehmenden Maße Equipment über das Internet, da sich auf diese Weise Verwaltungsabläufe reduzieren lassen. Allerdings verkehren die Einkäufer über das Web nur mit bestimmten Herstellern, mit denen zuvor Rahmenverträge geschlossen wurden.

Für Bühler ist das Internet daher primär ein Medium zur Ablaufunterstützung und erst in zweiter Linie für die Informationsgewinnung: "Es bestimmt nicht die Unternehmensstrategie, sondern dient als Hilfsmittel für ihre Ausgestaltung. "Die Beschaffung ist darauf abgestellt, die DV-Struktur der Dresdner Bank aus technischen und kaufmännischen Gründen so homogen wie möglich zu belassen. Daher sollen über das Internet weniger neue Kontakte aufgebaut als vielmehr die bisherigen unterstützt werden. Denkbar wäre es aber, so Bühler, zu einem späteren Zeitpunkt Ausschreibungen über das Internet zu machen.

Ist die Beschaffung via Web bei der Dresdner Bank bereits etabliert, berichten mittelständische Anwender von administrativen Problemen beim Internet-Handel. Eine Abteilung für IT-Beschaffung muß dort die Auftragsabwicklung häufig der Einkaufsabteilung überlassen. Jede Bestellung im Internet muß dementsprechend intern nochmals erfaßt und übermittelt werden. Dabei kann es zu Irritationen zwischen den Abteilungen kommen, wenn Bestellung und Auftragsabwicklung unkorrekt erfolgen.

Einen anderen Weg, um bestimmte Märkte gezielt abzudecken, haben manche Anbieter und IT-Abteilungen mit virtuellen Zusammenschlüssen beschritten. Ihr Aufbau ist einem Extranet vergleichbar, in dem Unternehmen in geschlossenen, aber jederzeit erweiterbaren Benutzergruppen miteinander kommunizieren. Neben den direkten Zulieferern können bei Bedarf auch weitere Dienstleister vom Apotheker bis zum Zahnarzt an Bord geholt werden. In den USA entwickelte die General Electric Information Services (GEIS) auf diese Weise ein sogenanntes "Trading Process Network" zwischen 20 Industriekonzernen und ihren Dienstleistern.

In Deutschland hat ECO-Vertreter Summa in einem vergleichbaren Projekt die zentrale Einkaufsorganisation eines Großunternehmens, dessen Namen er nicht nennen darf, mit seinen 1200 regionalen Händlern ins Internet gebracht. Letztere müssen für die Web-Präsenz in dem Verbund eine Gebühr bezahlen. Sie können diese Ausgaben aber wieder hereinholen, indem sie ihrerseits Verträge mit lokalen Dienstleistern schließen und deren Angebote ins Netz stellen. Mittlerweile wird in diesem Verbund über eine Milliarde Mark umgesetzt. Summa rät Unternehmen und IT-Herstellern, ihr Augenmerk auf solche Gruppen zu richten und dem eigenen Angebot einen Verweis auf regionale Dienstleister hinzuzufügen.

In welcher Form sich das Internet schließlich auch als Handelsplattform etablieren wird, ein Problem bleibt: die große Distanz zwischen Anbieter und Kunde. Selbst ein Telefonat schafft mehr Nähe und Vertrauen als das Netz. Hinzu kommt, daß sich das Online-Angebot nur schwer auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen läßt. Voraussetzung dafür wären zuverlässige digitale Signaturen und Verschlüsselungstechniken. Solange diese nicht allgemein verfügbar und einfach zu nutzen sind, bleibt für Klaus Birkenbihl, stellvertretender Institutsleiter des GMD-Forschungszentrums Informationstechnik GmbH in Sankt Augustin, das Internet "ein Medium, das neu ist und erst noch um Vertrauen werben muß". Eine Hilfe wären spezielle, heute noch nicht existierende Dienstleister, die für Unternehmen die Web-Präsenz der Anbieter und die Verläßlichkeit der angebotenen Informationen auswerten und qualifizieren. Ein solcher Anlaufpunkt könnte zum Beispiel eine Art elektronische "Stiftung Warentest" oder Schufa sein. Bis dahin bleibt IT-Beschaffern auf ihrer Suche nach neuen Produkten und Dienstleistern nichts anderes übrig, als ihr Glück selbst zu versuchen.