Kaufen - Gebrauchen - Wegwerfen?

01.10.1976

Günter Neugebauer Geschäftsführer der Gesellschaft für Methodensoftware GmbH & Co., Dortmund

Soll der Anwender künftig eingefahrene, jedoch veraltete und schwach dokumentierte, Anwendungssysteme analog dem Auto nach dem Motto "Kaufen - Gebrauchen - Wegwerfen" behandeln - wie kürzlich bei der GMD-Tagung über neue Software-Technologien von einem Gast vorgeschlagen?

Die vielerorts und zu Recht beklagte Unwirtschaftlichkeit vorhandener Systeme, über deren Lauffähigkeit und Existenz Genugtuung gemischt mit Unbehagen herrscht, ist die Folge jenes bekannten hohen Wartungs- und Pflegeaufwandes, der mangelhafte Dokumentation kennzeichnet. Die Crux besteht darin, daß die gegenwärtig existierenden Software-Technologien sich meist der Entwicklung von neuen EDV-Anwendungssystemen widmen. Das Hauptproblem ist jedoch in der Verwaltung der existierenden Systeme zu suchen. Die Sorge vor dem Dualismus zweier Systemzustände, nämlich den über eine Software-Technologie neu entwickelten im Vergleich zu den im Einsatz befindlichen, ist verständlich.

Unsere bisherigen Erfahrungen mit Software für computergestützte Programm-Umstellung - Entwicklung und Pflege - zeigen eine beachtliche Akzeptanzbereitschaft der Anwender. Wenn somit die "Bewältigung der Vergangenheit" als lösbar angesehen werden kann, so sollte die Frage der Wiederverwendbarkeit von Anwendungssoftware unter anderen als den bisherigen Kriterien betrachtet werden: Wir sind der Meinung, daß erst eine allgemein verwendbare und akzeptierte Software-Technologie die Voraussetzung für die Wiederverwendbarkeit von Anwendungssystemen schafft. Die Frage Huhn oder Ei ist damit beantwortet. Es ergibt sich von selbst, daß dann das Problem des Wegwerfens von vorhandener zugunsten neuer, flexibler und dem Anwenderprofil entsprechender Anwendungssysteme eine andere Fragestellung erhält. Wenn ein Anwendungssystem nach software-technologischen Prinzipien konstruiert wurde, ist das Problem des Adaptionsaufwandes und der Akzeptanz lösbar. Der Casus belli des leidgeprüften Anwenders gegenüber dem vielversprechenden Software-Lieferanten entbehrt dann weitgehendst seiner Grundlage.

Emotionelle und betriebswirtschaftlich-organisatorische Akzeptanzprobleme treten immer dann auf, wenn die Investition einer Software Technologie als Methode hohe Direktkosten erfordert, ihre Einführung sich über einen langen Zeitraum erstrecken muß und sichtbare Wirtschaftlichkeitserfolge erst allmählich eintreten.

In vielen Fällen werden soziale Konflikte zwischen EDV-Management und Mitarbeitern programmiert. Selbst progressive und leistungsbewußte Organisatoren und Programmierer akzeptieren meist nur dann eine neue Methode, wenn ihre individuelle Leistungsfähigkeit Impulse erhält. Damit wird eine neue Dimension der Anforderung an eine Software-Technologie deutlich, die Notwendigkeit eines Erfolges nicht erst in Monaten und Jahren für das Unternehmen, sondern kurzfristig für den Mitarbeiter selbst, für sein Tagesgeschäft, seine Kreativität, sein Erfolgserlebnis. Mit wissenschaftlichen Theorien, Ausbildungszeiträumen von Wochen, Lernprozessen von Monaten wird die Akzeptanz verhindert.

Viele EDV-Anwender verfügen über Normen und Richtlinien, wenige über maschinelle Hilfsmittel wie Generatoren, ganz wenige über geschlossene, computergestützte Systeme, mit denen etwa die Umstellung vorhandener sowie die Entwicklung neuer Systeme realisiert und gleichzeitig systemkonform überwacht werden kann, Ein software-technologisches System, das diesen Funktionen gerecht werden soll, muß sich. Jedoch die Forderung gefallen lassen, daß bereits getätigte Investitionen und vorhandene Methoden nicht dem Vergangenheitsmüll anheimzufallen haben. Diese Investitionen in einem einzuführenden Gesamtsystem zu adaptieren, bedeutet eine weitere Grundforderung. Die Realisierung erscheint uns nur dann möglich, wenn ein solches Methoden-System in einer semantischen. also sprachlichen Lösung entwickelt wurde. Sie bedeutet nämlich die Freiheit, benutzerindividuelle Adaptionsmöglichkeiten anzubieten und nichtformatierte Systembeschreibungen einzusetzen. Der Vorteil liegt u. a. in der Minimierung der Formularanzahl, die wiederum benutzerindividuell gestaltet werden kann. Die "Konfiguration" des System bedeutet somit Erhöhung der Akzeptanz und Reduzierung des Einführungsaufwandes insbesondere dann, wenn ein gemeinsames Pilotprojekt vorangegangen ist, dessen Ergebnisse "anfaßbar" sind. Der Lernvorgang entzieht sich bei einer solchen Vorgehensweise der pseudo-wissenschaftlichen Attitüde, gegen die EDV-Mitarbeiter erfahrungsgemäß ohnehin mauern. Wenn dann noch das System die Transportabilität der Logik in die Fachabteilungen bewirkt, wird Software-Technologie zum Handwerkszeug.