IT im Handel/Der Mut zur (Bestellungs-)Lücke wird belohnt

Katalog im Extranet macht den Schuhhandel flexibler

08.05.1998

Das Schuhhaus Lötters ist ein Familienunternehmen. Seit 1953 am Markt, ging das Geschäft 1988 vom Vater auf den Sohn über. Lötters-Schuhe, an exponierter Lage in einem Kölner Vorort angesiedelt und traditionell mit einem Sortiment für den gehobenen Anspruch, beschäftigt neun Mitarbeiter und hat in den zurückliegenden 40 Jahren stets nach altbewährter Praxis Ware per Erstorder für eine Saison im voraus eingekauft. Rund 80 Prozent seiner Ware hat Lötters traditionell so erworben. Die Kollektion für Herbst und Winter etwa im März auf Messen, in Schuhmustercentren oder durch Vertreterbesuche. Das heißt, das Schuhhaus kaufte ein halbes Jahr, bevor es die Ware im Regal hatte.

Was früher wenig Probleme gemacht hatte, wurde seit einigen Jahren zusehends schwieriger. Immer schnellere und kurzlebigere Modetrends und somit kürzere Produktlebenszyklen machen die traditionelle Praxis des Schuheinkaufs riskant. Das im September letzten Jahres in Betrieb genommene Schuhordersystem Esos war eine willkommene Alternative, denn das System stellte in Aussicht, die Erstorder reduzieren, gleichzeitig kurzfristiger auf aktuelle Modetrends reagieren und Sortimentslücken durch kurzfristige Bestellung über das neue System schließen zu können.

Als Teilnehmer autorisieren ließ sich Lötters über die Düsseldorfer EBG-Data, die Esos bundesweit exklusiv vertreibt und unterstützt. EBG-Data hat auch die Software installiert. Das Schuhhaus greift heute per Windows-95-PC und ISDN-Karte über Microsofts Browser "Internet Explorer" auf Esos zu. Des weiteren besteht eine Schnittstelle zum branchenspezifischen Warenwirtschaftssystem "Sepp Vision".

Nach Abschluß des Nutzungsvertrags bekam das Schuhhaus die zur Teilnahme erforderliche International Location Number (ILN). Für die Möglichkeit, heute seine Ware direkt via Internet beim Hersteller einkaufen zu können, fallen für Lötters in der Startphase keine Gebühren an.

Nach weiteren Vorteilen befragt, nennt der Inhaber die Möglichkeit, rasch Standardware nachordern zu können. Jetzt kann er jederzeit sehen, was welche Firmen auf Lager haben und schnell nachliefern können. "Dies bedeutet für uns ein geringeres Warenrisiko. Außerdem haben wir dadurch teilweise weniger vom Hersteller eingeleitete Preissenkungen und eine geringere Kapitalbindung am Lager", erklärt Lötters. Außerdem könne er jetzt bestellen, wann immer seine Zeit es erlaube. Er habe den Einkauf in die Abendstunden verlegt, was früher unmöglich war, weil in den Verkaufsabteilungen der Schuhhersteller dann kaum jemand zu erreichen war.

Das Schuhhaus Lötters ist einer von derzeit über hundert Schuhfachhändlern, die Esos nutzen. Bestellen könne man heute bereits bei den wichtigsten Schuhfabrikanten, darunter Lieferanten wie Peter Kaiser, Lloyd, Ara, Rieker, Elefanten, Marc und Salamander. Auf Industrieseite sollen bereits rund 30 Prozent der im deutschen Markt vertretenen Hersteller ihre Ware via Esos anbieten.

Wenngleich Lötters seine wichtigsten Lieferanten als Anbieter im elektronischen Katalog des Systems vertreten weiß, wünscht er sich, daß die Schuhfabrikanten noch mehr tun. Immerhin biete sich ihnen ein extrem schneller Vertriebskanal, und außerdem bräuchten sie weniger Ordner und Prospekte zu erstellen, was viel Geld spare. Einigen der schon teilnehmenden Schuhfabrikanten rät Lötters, ihr elektronisches Angebot besser zu pflegen und auch und gerade die aktuelle Fabrikation im elektronischen Katalog darzustellen.

Esos wurde auf der CeBIT ´98 mit dem "Silber Award" des vom Bundeswirtschaftsministerium und dem "Forum Info 2000" ausgeschriebenen Wettbewerbs "Geschäftsbeziehungen des Mittelstandes in den weltweiten Infor- mationsnetzen" ausgezeichnet. Entwickelt hat es die Harbinger GmbH, ein Karlsruher Anbie- ter, der auch für den Netzbetrieb sorgt. Zentrale Netzdienste sollen das System permanent verfügbar und sicher machen. Den Administrationspart erledigt EBG-Data.

Während der Schuhhändler Lötters zur Teilnahme einen Web-Browser, Internet-Zugang und einen Account braucht, gibt es für Schuhfabrikanten verschiedene technische Möglichkeiten der Beteiligung. Sie benötigen ein handelsübliches System für den Electronic Data Interchange (EDI) und einen Zugang entweder direkt zum Harbinger-Clearing-Center per asynchrone beziehungsweise bisynchrone Modem- oder ISDN-Leitung oder über eine X.400-Verbindung nebst Anschluß an ein handelsübliches VAN. Alternativ können sie auch ein X.400-Gateway nutzen - entweder als Message Transfer Agent (MTA) mit zugeordneter X.400-Postoffice-Funktionalität oder an ein solches MTA-Netzwerk angeschlossen. Schuhhersteller mit EDI-Ausrüstung benötigen somit keine neue Infrastruktur. Das Sy-stem steht aber auch Schuhfabrikanten offen, die bislang nicht via EDI kommunizieren. Diesen Herstellern werden die Bestellungen auf dem Faxweg zugesandt.

Für Händler und sonstige recherchierende Interessenten besteht die Backbone-Infrastruktur aus einer Verknüpfung von Internet-Diensten mit klassischen EDI-VAN-Services. Das Backbone auf der Kommunikationsseite zum Handel ist das Internet, wobei die Kommunikation im Rahmen einer geschlossenen Benutzergruppe (Extranet) erfolgt.

Grundlage: Neue Web-EDI-Technologie

Technische Grundlage des Esos-Systems ist die neue Web-EDI-Technologie von Harbinger. Auf deren Basis greifen die Händler per Browser auf das Bestellsystem zu, der Schuhfabrikant erhält die Daten im Edifact-Format. Die Basis des Systems ist eine zentrale Datenbank, die Harbinger im Auftrag von unterschiedlichen Herstellern aus der Schuhbranche betreibt. Der Händler meldet sich über den Web-EDI-Dienst am System an und erstellt seinen Warenkorb. Diesen übergibt er anschließend an das Harbinger-Clearing-Center, wo der Warenkorb im Zuge eines Split-Prozesses in seine Bestandteile zerlegt, danach in ein Branchenformat oder Edifact umgewandelt und auf herkömmlichem EDI-Weg verschickt wird.

Der Weg des Herstellers zum Katalog, etwa bei anstehenden Aktualisierungen des Artikelstamms oder Verfügbarkeitshinweisen, sieht so aus, daß er diese Meldungen auf seinem vorhandenen System in einem Branchenformat oder in Edifact erzeugt und über einen Konverter an den jeweiligen VAN-Dienstleister schickt. Von dort geht der Weg zu Esos, das die Inhalte regelmäßig auf den neuesten Stand bringt.

Bislang sind lediglich deutsche Fachhändler angeschlossen. Kollegen aus Frankreich und den Niederlanden sollen in Kürze folgen. Diese europaweite Ausrichtung war von Beginn an geplant und wird durch Unterstützung der Fachhändler in ihren Landessprachen praktiziert. Das System wurde zudem so entwickelt, daß neben Schuhen auch sortimentsnahe Produkte, etwa Artikel aus der Sport- und Lederwarenbranche, mitbestellt werden können.

Angeklickt

Um die Schuhbestellung für den Händler einfach zu machen, bietet das Extranet "Esos" die Möglichkeit der textorientierten Datenbankabfrage. Es erhält eine Übersicht aller Artikel eines gewünschten Typs mit Bildern, Preisen und Verfügbarkeit. Die angebotenen Artikel lassen sich nach typischen Ordnungskriterien wie Haupt- und Unterwarengruppe mit Auswahl per Mausklick suchen. Statt nach den ansonsten im Schuhhandel üblichen Nummernsystemen kann hierbei nach konkreten Warenbeschreibungen wie zum Beispiel "schwarze Herrenhalbschuhe" gesucht werden. Ist man fündig geworden, gibt man die gewünschte Menge ein und schickt die Bestellung online ab - egal ob man bei einem oder gleichzeitig bei mehreren Herstellern einkauft.

Manfred Schuhmacher, Girgis und Schuhmacher, Mainz.