Hochschule Bremen: Internationaler Frauenstudiengang Informatik

Karriereschmiede for girls only

03.11.2000
Von VON Kathi
Fachbereichsdekan Günther Dey freute sich: "Auf jeden der 30 Studienplätzegab es mehr als drei Bewerberinnen." Der "Internationale Frauenstudiengang Informatik", der mit dem Wintersemester 1999/2000 an der Hochschule Bremen erstmals gestartet wurde, erlebte einen überraschend großen Andrang.

Die sieben traditionsreichen US-amerikanischen Frauen-Unis erleben jedes Semester erneut großen Zulauf - sie stellen bisher Ausnahmefälle von erfolgreichen Frauenstudiengängen dar. Vor allem sind sie Eliteschmieden mit fulminanten Studiengebühren; Studentinnen wie Hillary Clinton oder Madeleine Albright, die hier ihre Karrieren starteten, werden gerne zitiert. Doch die Hochschule Bremen scheut den Vergleich nicht. Informatikangebote nur für Frauen sind auch an den Women´s Colleges in den Staaten durchaus nicht die Regel. Dem beruflichen Aufstieg von Hightech-Spezialistinnen stehen "in der Wachstumsbranche der Zukunft", wie es Renate Meyer-Braun, Frauenbeauftragte der Hochschule Bremen nennt, hierzulande keine größeren Hürden im Weg als im Silicon Valley.

Studiengänge nur für Frauen anzubieten ist allerdings kein einfach zu realisierendes Unterfangen. An der Gesamthochschule Paderborn kam ein männerfreier Studiengang in Elektrotechnik mangels Interesses überhaupt nicht zustande. Der Studiengang für Wirtschaftsingenieurinnen, der erfolgreich seit 1997 in Wilhelmshaven angeboten wird, könnte, so Manfred Siegle, Initiator des Studiengangs, durchaus noch Zulauf vertragen, und für ein "girls only" im Bereich Mikro- und Feinwerktechnik fand sich an der Fachhochschule Aalen nicht eine einzige Studentin. "Nach der ersten Werberunde", so Dekan Dey, sah es auch in Bremen ähnlich aus. Die Internationale Fachtagung "Informatikerin - Chance für die Zukunft" im Mai verlieh dem Anliegen der Hochschule dann noch einmal den richtigen Schwung. 92 Interessentinnen aus dem gesamten Bundesgebiet bewarben sich an der norddeutschen Bildungsstätte.

"Botschafter" sollen Mädchen begeistern

Angesichts des hartnäckigen Irrglaubens, Frauen und Technik würden nicht zueinander passen, ist besonderes Engagement gefragt, um Mädchen für eine Zukunft in der Hightech-Branche zu erwärmen. Immerhin stellen sie mit 53 Prozent die Mehrheit der Schulabgänger mit Hochschulreife. Doch nur 17 Prozent derjenigen, die sich 2000 in Deutschland für einen IT-Beruf entschieden haben, sind Frauen. Ein Jahr zuvor waren es noch 23 Prozent. Bei Studentinnen ist nach Aussagen von Gabriele Winker, Arbeits- und Sozialwissenschaftlerin an der Fachhochschule Furtwangen, der Anteil in vergleichbaren Studiengängen mit 13 Prozent sogar noch geringer. Im Vergleich zu anderen Ländern schneidet Deutschland bei der Frauenquote schlecht ab: In Indien stellen Frauen etwa 30 Prozent aller Studenten der Informatik. Jenseits von Eliteschulen liegen auch an den Unis in Großbritannien, Irland oder Spanien die Frauenanteile bei der Informatik zwischen 20 und 30 Prozent.

Die in der Initiative "D21" engagierten Mitgliedsfirmen wie Alcatel, Hewlett-Packard oder Siemens haben bereits verstanden, dass sie sehr viel früher ansetzen müssen, um das große, noch verborgene Arbeitsmarktpotenzial zu erschließen. So will D21 mehr als 1300 "Botschafter" an Realschulen und Gymnasien schicken, um Mädchen für technische Ausbildungen zu begeistern und mit Vorurteilen aufzuräumen. Ähnliches versucht auch das AdaLovelace-Projekt, das in Rheinland-Pfalz Schülerinnen zum Umgang mit Computern ermutigt. Auf dem Dortmunder Campus startete im Sommer erneut die Schnupper-Uni, ein fünftägiges Probestudium in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern sowie der Informatik für Mädchen der 11., 12. und 13. Klassen. Bundesweit gibt es inzwischen Initiativen wie die bundesweite Aktion "Frauen ans Netz", die kostenlose Einstiegs- und Praxiskurse in Sachen Internet ermöglicht. Unter dem Kürzel "Lea-Net" werden Lehrerinnen

online Weiterbildung und Erfahrungsaustausch angeboten. "Lizzy-Net" richtet sich an 14- bis 18-Jährige und motiviert sie, sich mit IT-Berufen auseinander zu setzen.

Männerstudium

Doch selbst wenn Mädchen an den Schulen naturwissenschaftliche und technische Leistungskurse belegen, ein entsprechendes Studium kommt für sie selten in Frage. Ingenieurausbildungen, konstatierten denn auch die Initiatoren des Bremer Frauenstudiengangs, sind seit Jahrzehnten immer nur auf Männer zugeschnitten. "In diesen männlichen Studiengängen", so Anna Müller vom Frauenbüro, "geht es vorrangig um die technische Optimierung und Kontrolle aller technischen Facetten und Funktionen unter dem Motto ‚Schneller, höher, weiter und besser‘. Für Frauen ist Technik eher etwas Pragmatisches, ein Hilfsmittel für konkrete Anwendungen." Frauen, so die Bremer Informatik-Wissenschaftler, seien stärker an Zusammenhängen interessiert, sie fragten nach Auswirkungen der Technik auf Gesellschaft und Umwelt. Stark verschulte Ingenieurstudien mit immensem Lernaufwand erfüllten die Erwartungen von Frauen nach mehr interdisziplinären, sozialen und

sprachlichen Inhalten nicht. Auch die Angst, als Einzelkämpferin bestehen zu müssen oder als Minderheit "ständig herausgepickt oder mit diskriminierenden Beispielen konfrontiert zu werden", wie es die Sozialpsychologin an der Uni Hannover Axeli Knapp beschreibt, halte junge Frauen davon ab, sich für ein herkömmliches Technikstudium zu entscheiden.

Wider die Vorurteile

Im ersten "Internationalen Frauenstudiengang Informatik" ist die Stimmung wesentlich entspannter. Dennoch trifft die Feststellung, dass es Frauen in speziellen Studiengängen einfacher haben, auch wieder nur die halbe Wahrheit. Denn besonders die Männer in Parallelstudiengängen bezweifeln, dass Frauen dieselben Leistungen wie sie erbringen müssen. Studentinnen, die sich an der Fachhochschule in Wilhelmshaven zu Wirtschaftsingenieuren ausbilden ließen, mussten lernen, mit Vorurteilen wie "Pudding-Studium" oder "Lesben-Haufen" umzugehen. Unternehmen, die Absolventinnen von Frauenstudiengängen als minder qualifiziert betrachten, gibt es nach Einschätzung Bremer Organisatoren dagegen zunehmend weniger. Hightech-Frauen sind auch als Führungskräfte aufgrund ihrer analytischen, kommunikativen und sozialen Fähigkeiten sehr gefragt.

Bis dahin haben die 30 jungen Frauen des "Internationalen Frauenstudiengangs Informatik" an der Hochschule Bremen noch ein Stück des Weges vor sich. Vorgesehen sind acht Semester, drei davon wird das Grundstudium dauern, bei dem sie den selbstbewussten Umgang mit dem Computer erlernen und Einblicke in Projekt- und Gruppenarbeit erhalten sollen. Die Dozenten haben sich vorgenommen, vieles virtuell zu vermitteln. Im Hauptstudium geht es dann auch um Rechnernetze, Netzadministration und Projekt-Management. Besonders zugkräftig, schätzen die Studienorganisatoren, sind der geplante Auslandsaufenthalt und das Praktikum im fünften und sechsten Semester. Wenn die Studentinnen die Hochschule nach vier Jahren verlassen, sind sie Diplom-Informatikerinnen. "Auf sie wartet die Wirtschaft schon ganz ungeduldig", ist sich Dekan Dey sicher.

Welchen schwierigen Stand sie allerdings dann - ob mit oder ohne männerfreie Ausbildung - in Unternehmen der IT-Branche haben könnten, verdeutlicht ein jüngstes Beispiel aus dem Silicon Valley. Männliche Softwareingenieure, die sich mit Wasserpistolen durchs Büro jagen, sich in jeder freien Minute bei Tischfußball messen oder in den Arbeitspausen mit Legosteinen Burgen bauen, führen nach einem Beitrag des US-Magazins "Wired News" dazu, dass sich Frauen dort unwohl und zum Teil deplatziert fühlen. Im Dokumentarfilm "Valley of the Boys" zeichnet Monika Kushuf, Ingenieurin beim Softwareentwickler Intuit, ein Bild von der männerdominierten Arbeitskultur in Hightech-Unternehmen wie Apple, Electronic Arts und Sun Microsystems und beschreibt die damit verbundenen Irritationen für weibliche IT-Experten.

Wenig flexible Arbeitgeber

Auch hierzulande sind Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder die Münchener Comet Computer, die im Jahr 2000 bereits zum zweiten Mal den E-Quality-Preis der deutschen Wirtschaft für ihre Bemühungen um Chancengleichheit im Unternehmen erhielten, noch selten genug. Besonders dem wohl größten Problem - eine unzureichende Arbeitszeitflexibilisierung - stellen sich viele Firmen nur zögerlich. Da 50 bis 70 Stunden Arbeit in der Woche besonders für Frauen mit Kindern nicht vereinbar sind, reagieren inzwischen einige händeringend nach IT-Fachleuten suchende Unternehmen mit Wickeltischen in Nähe des Arbeitsplatzes oder indem sie Tagesmütter für ihre Mitarbeiterinnen engagieren - Angebote, die übrigens auch von Männern in den Unternehmen gern in Anspruch genommen werden.

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.