Es muss nicht immer Siemens sein

Karrierechancen im IT-Mittelstand entdecken

08.10.2002
Seit große Unternehmen durch Entlassungen für Schlagzeilen sorgen, werden die Kleineren zunehmend interessant. Sie locken vor allem mit familiärer Atmosphäre, guten Aufstiegsmöglichkeiten und kurzen, unkomplizierten Entscheidungswegen. Von Hiltrud Osterried

Personalnot macht erfinderisch. Deshalb riefen die Saxonia Systems AG und die Objectfab GmbH letztes Jahr einen Programmierwettbewerb ins Leben, um auf diese Weise erste Kontakte zu potenziellen Mitarbeitern zu knüpfen. In diesem Jahr findet der Java-Wettbewerb zum zweiten Mal statt - mit überwältigender Resonanz. Über 500 Programmiertalente kämpften um Titel und Ehre. So viele freie Stellen haben die beiden Dresdner Unternehmen, Saxonia mit 130 und Objectfab mit acht Mitarbeitern, natürlich nicht zu besetzen, wenngleich sie immer auf der Suche nach Spitzenkräften sind. Zehn Java-Entwickler und je zwei Mitarbeiter für die Bereiche IT-Services und Prozessberatung sucht derzeit Saxonia-Vorstand Andreas Mönch.

Marion Kayacan, Personalleiterin der Münchner Ixos Software AG, hebt vor allem die persönlichere Arbeitsatmosphäre sowie die höhere Flexibilität der Mittelständler hervor. Das Softwarehaus, das insgesamt 800 Beschäftigte zählt und einige interessante Stellen zu besetzen hat, pflegt die Kultur der offenen Türen: "Jeder Mitarbeiter kann einen Termin mit dem Vorstand vereinbaren. Das wäre bei einem Großkonzern kaum möglich." Zudem ziehen die kleineren Firmen nicht nur beim Gehalt, sondern auch bei den Sozialleistungen immer stärker mit den Großen gleich. So hat das Softwarehaus inzwischen eine betriebliche Altersversorgung, Kantinen an den verschiedenen Standorten und finanziert die Anfahrtskosten der Mitarbeiter zum Arbeitsplatz.

"Je kleiner das Unternehmen, desto mehr kann der einzelne Mitarbeiter bewirken. Auch die Verantwortung steigt", spricht Steffen Gemkow, Geschäftsführer des Acht-Personen-Betriebs Objectfab, aus eigener Erfahrung. Gerade diese Herausforderung habe ihn dazu bewogen, sich vor zwei Jahren selbständig zu machen.

Karriere ohne Führungsaufgabe

Normalerweise ist in deutschen Unternehmen Karriere gleichbedeutend mit Erklimmen der Hierarchieleiter und der Führung einer möglichst großen Abteilung. Nicht so bei dem Saarbrücker Software- und Beratungsunternehmen IDS Scheer, wo Karriere nicht unbedingt mit Führungsaufgaben einhergehen muss. Nicht das Erreichen von Positionen wird belohnt, sondern der Aufbau und die Erweiterung persönlicher Kompetenzen. So gibt es in der Entwicklung die Möglichkeit, dass ein hervorragender Software-Engineer, der Experte in einem Fachthema ist, Senior Manager wird, ohne Personalverantwortung zu übernehmen. "Der Aufstieg bei einem Mittelständler ist schneller möglich, weil alles flexibler und unbürokratischer gehandhabt wird", sagt Rosemarie Clarner, Personalchefin bei IDS Scheer. Das Software- und Beratungshaus unterzieht die Einsteiger nach zwei bis drei Jahren Betriebszugehörigkeit einer Potenzialanalyse. Danach werden den Mitarbeitern die verschiedenen Karrierewege aufgezeigt.

Doch der rasche Aufstieg und viel Geld sind nicht die alleinigen Anreize für Bewerber. "Wir waren nicht bereit, die Spitzengehälter zu zahlen, die nötig gewesen wären, um Spezialisten aus anderen Unternehmen zum Wechsel zu bewegen", berichtet beispielsweise Rüdiger Zeyen, Vorstandsvorsitzender der Conet Consulting AG in Hennef. Trotzdem habe er gutes Personal bekommen, das sich wohlfühle. "Wenn die Arbeitsinhalte und das Betriebsklima stimmen, kommt es auf die letzten 5000 Euro nicht an."

Inzwischen können aber auch viele IT-Mittelständler, was die Bezahlung anbetrifft, mit den Großen mithalten. Sie bieten ebenfalls Gehaltsmodelle mit fixen und variablen Anteilen. Und selbst kleinere Betriebe wie Conet mit rund 200 Mitarbeitern haben eine betriebliche Altersvorsorge eingeführt. Auch was die Karriereperspektiven angeht, etwa die Möglichkeit, neben der klassischen Linien- eine Fachlaufbahn einzuschlagen, brauchen sich die kleineren Unternehmen nicht zu verstecken.

Wichtige Praxiserfahrung

In großen Unternehmen heißen die Hierarchiestufen beispielsweise Mitarbeiter, Teamleiter, Teilprojektleiter, Projektleiter, Bereichsleiter und Abteilungsleiter. Die Mittelständler sind flacher organisiert, aber ab einer bestimmten Größe kommen auch sie nicht mehr ohne Positionsabstufungen aus. Beispielsweise finden sich in einer Softwareschmiede im Bereich Entwicklung Software-Engineer, Senior Software-Engineer, Manager, Senior Manager und Director.

Da in den vergangenen Jahren im IT-Bereich Personalknappheit herrschte, ergriffen viele Mittelständler Eigeninitiative und bildeten ihre Mitarbeiter selbst aus. Saxonia etwa stellte viele Studienabbrecher ein und qualifizierte sie über ein eigenes Bildungsinstitut. "Von zehn Arbeitsmonaten pro Jahr entfielen ein bis zwei auf die Fortbildung. Das bedeutete eine enorme Kostenbelastung, die wir uns jetzt nicht mehr leisten können", berichtet Vorstand Mönch.

Das ist auch gar nicht mehr nötig. Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern ist auch für Mittelständler viel einfacher geworden. "Die Zahl der Bewerbungen ist rapide angestiegen", beobachtet Ixos-Personalleiterin Kayacan, die allein im Mai 700 Anschreiben erhielt. Inzwischen besetzt die Grasbrunner Softwareschmiede 70 Prozent der Stellen über das Internet oder durch die Vermittlung von Ixos-Mitarbeitern. Auf diese Weise spart sich das Unternehmen Investitionen in Anzeigen oder Personalberater.

Wie sieht der ideale Kandidat für die Mittelständler aus? Neben der entsprechenden fachlichen Qualifikation steht bei den kleineren Firmen vor allem Kontaktfreudigkeit und Teamgeist im Vordergrund. Schlechte Nachrichten gibt es allerdings für Quereinsteiger: Viele Firmen nutzen die Gunst der Stunde und stellen am liebsten junge Kandidaten ein, die zwei bis drei Jahre Berufserfahrung mitbringen. Sie sollen möglichst nach kurzer Einarbeitszeit sofort produktiv arbeiten können. Trotzdem sollten auch andere IT-Profis ihr Glück bei kleineren Firmen suchen. "Wir sind gewohnt, bei den Bewerbern genauer hinzuschauen und haben keine so festen Raster wie große Unternehmen", sagt Saxonia-Vorstand Mönch. Ein Hochschulstudium sei wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich. Auch talentierte Autodidakten, die engagiert arbeiten, hätten bei dem Dresdner Unternehmen eine Chance.

Flexibilität, flache Hierarchien, Aufstiegschanchen sind Vorteile des Mittelstands, die auch Wilfried Hölzer von der Gewerkschaft Verdi sieht. Besonders in wirtschaftlich rosigen Zeiten sind die Kleineren sehr bemüht, den Mitarbeitern in puncto Arbeitsumfeld- und bedingungen entgegenzukommen, beobachtet Hölzer. Doch das Arbeiten in einem mittelständischen Unternehmen kann auch Schattenseiten haben.

Wildwestmanieren in der Krise

"Die Politik der offenen Türen ändert sich schnell, sobald es den Firmen schlechter geht", warnt der Gewerkschafter. Dann herrschten plötzlich Wildwestmanieren, Mitarbeiter würden kontrolliert oder vom Informationsfluss abgeschnitten. Anders als in großen Unternehmen, die oft einen Betriebsrat haben, ständen die Betroffenen bei kleineren Firmen in Krisensituationen alleine da.

Aus Hölzers Sicht lohnt sich der Einstieg in den Mittelstand vor allem für diejenigen, die sich in flachen Hierarchien wohl fühlen. Allerdings sollten die IT-Experten da-rauf achten, dass sie sich nicht zu sehr auf einen kleinen Technikbereich spezialisieren. Dieser könne sich zu einer Sackgasse entwickeln und einen gewünschten Arbeitge-berwechsel erschweren.

Unsicherer als in einem Großunternehmen ist aber auch die Arbeit im Mittelstand nicht. Einiges spricht dafür, dass kleinere IT-Unternehmen die schlimmste Pleitewelle schon hinter sich haben. "Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen verzeichnet die IT-Branche in Deutschland ein Wachstum, wenn auch nur von ein bis zwei Prozent", erklärt Rudolf Gallist, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands VSI.

Vor allem die Bereiche Software und Services, in denen der Mittelstand traditionell stark sei, sorgten dafür, dass überhaupt noch Steigerungsraten erreicht werden. Auch als Arbeitgeber könnten die Kleineren durchaus mit den Großen mithalten. Allerdings sollte man sich genauestens über das Marktumfeld, die Kundenbasis und die Erfolgsaussichten des potenziellen Brötchengebers informieren.