Change-Management

Karriere nach dem Outsourcing

11.07.2013
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Lagert ein Unternehmen seine IT-Abteilung an einen Dienstleister aus, sind die Ängste groß: Vom Standort über die Aufgaben bis zum Vorgesetzten kann sich alles ändern. Dass ein Wechsel auch Chancen bietet, zeigen vier Beispiele.
Chance oder Krise? Wenn Unternehmen ganze Abteilungen auslagern, herrscht erst mal erhebliche Unsicherheit bei den Betroffenen.
Chance oder Krise? Wenn Unternehmen ganze Abteilungen auslagern, herrscht erst mal erhebliche Unsicherheit bei den Betroffenen.
Foto: bluedesign - Fotolia.com

Unrühmliche Outsourcing-Beispiele gibt es genug: 2005 lagerte z.B. Siemens seine Handy-Sparte mit über 3000 Mitarbeitern an den taiwanischen Elektronikhersteller BenQ aus, was nur ein Jahr später in dessen Insolvenz mündete. Seitdem gehen viele Firmen vorsichtiger an eine Auslagerung heran, beobachtet Michael Riermeier. Als Geschäftsführer der Beratung "Raum für Führung" begleitet er Change- und Restrukturierungsvorhaben und weiß um den "schmerzlichen Prozess", den Outsourcing für die Betroffenen bedeutet: "Die Menschen sehen sich als Verfügungsmasse. Sie haben sich einst oft bewusst entschieden, für einen IT-Anwender zu arbeiten, und werden nun doch gezwungen, zu einem IT-Dienstleister zu wechseln." Ziel müsste stattdessen sein, dass die ausgelagerten Mitarbeiter die neue Situation als Chance begreifen, sich in einem anderen Umfeld weiterzuentwickeln. Wie dies gelingen kann, zeigte eine Diskussionsrunde der COMPUTERWOCHE mit IT-Profis, die in den vergangenen Jahren an einen IT-Dienstleister ausgelagert wurden.

Eine Frage der Einstellung

Jürgen Hach (36) wechselte 2011 mit über 1000 Kollegen von Eon IT zu HP. Dort hat er als Account IT Architect eine neue Rolle erhalten: Er vermittelt zwischen der Technik und den Anforderungen des Kunden. Mit Adidas hat er auch einen neuen Kunden bekommen.
Jürgen Hach (36) wechselte 2011 mit über 1000 Kollegen von Eon IT zu HP. Dort hat er als Account IT Architect eine neue Rolle erhalten: Er vermittelt zwischen der Technik und den Anforderungen des Kunden. Mit Adidas hat er auch einen neuen Kunden bekommen.

Jörg Eggers und Jürgen Hach, heute beide bei Hewlett-Packard, arbeiteten für Eon IT in München. Eggers verantwortete den Betrieb der Web-Applikationen in Zentraleuropa, Hach war als Projektleiter und technischer Berater im Bereich Handelssysteme tätig. Als sich der Eon-Vorstand 2009 entschloss, die IT-Infrastruktur an Dienstleister auszulagern, waren viele IT-Mitarbeiter verunsichert. 2011 wechselten über 1200 Beschäftigte von Eon IT zu HP und T-Systems. Auch Hach brauchte einige Zeit, um die Ankündigung zu verdauen: "Zuerst war ich emotional aufgewühlt. Man ist sich unsicher, wie es beruflich weitergeht. Und die Durststrecke, bis der Outsourcing-Deal in die Tat umgesetzt wurde, war mit eineinhalb Jahren sehr lang. Zum Schluss habe ich mich auf den neuen Arbeitgeber gefreut."

Jörg Eggers (43) verantwortete den Betrieb der Web-Applikationen von Eon in Zentraleuropa. Heute arbeitet der Diplominformatiker bei HP in einer fachlichen Rolle, als Innovation-Manager und Chief Technology Officer für mittelständische Kunden.
Jörg Eggers (43) verantwortete den Betrieb der Web-Applikationen von Eon in Zentraleuropa. Heute arbeitet der Diplominformatiker bei HP in einer fachlichen Rolle, als Innovation-Manager und Chief Technology Officer für mittelständische Kunden.

Auch in der Abteilung von Jörg Eggers war die Stimmung anfangs schlecht, zumal die Mitarbeiter wenig Spielraum hatten: entweder zum neuen Arbeitgeber wechseln oder kündigen und sich eine neue Stelle suchen. Eggers konnte das Outsourcing aus technischen Gründen nachvollziehen, da das Investitionsvolumen für den Web-Bereich zu begrenzt war, als dass man innovative Schritte etwa in Richtung Cloud- Services hätte unternehmen können. Ihm wurde schnell klar, dass er die Auslagerung akzeptieren und seine innere Einstellung ändern musste: "Eine Outsourcing-Entscheidung ist keine Bewertung der Mitarbeiter. Darum soll man nicht sagen: ,Ich werde ausgelagert`, sondern ,Ich bewerbe mich bei einer neuen Firma`. So kann man in einer Auslagerung Herausforderungen und Chancen sehen statt nur die Risiken."

Die Stolpersteine

Elf Jahre nach der Auslagerung des IT-Systemhauses der Schmidt Bank an Accenture ist Markus Grimm (40) für 180 Mitarbeiter verantwortlich. Der Director Technology ist für zwei Rechenzentren und die Infrastruktur-Outsourcing-Services in Kronberg, Hof, Prag und Warschau zuständig.
Elf Jahre nach der Auslagerung des IT-Systemhauses der Schmidt Bank an Accenture ist Markus Grimm (40) für 180 Mitarbeiter verantwortlich. Der Director Technology ist für zwei Rechenzentren und die Infrastruktur-Outsourcing-Services in Kronberg, Hof, Prag und Warschau zuständig.

Auch wenn die Einstellung stimmt, kann der Weg ins neue Unternehmen holprig sein. Die 139 Mitarbeiter des Systemhauses der Schmidt Bank in Hof mussten sich 2002 mit Accenture als neuem Arbeitgeber arrangieren. Zwar blieben die Aufgaben anfangs weitgehend unverändert, das Systemhaus betrieb weiter das Bankensystem "Kordoba" und bot Kreditinstituten IT-Services an. Dann erweiterte sich das Kunden- und Servicespektrum, der Wechsel vom Familienbetrieb zum international tätigen IT-Dienstleister veränderte das Arbeiten tiefgreifend. Markus Grimm, Director Technology bei Accenture und unter anderem Leiter des Rechenzentrums in Hof, erinnert sich: "Wir sind damals selbstbewusst zu Accenture gewechselt, da wir wussten, dass wir mit unseren Skills punkten konnten. Dennoch war es ein Riesenschritt vom lokalen zum internationalen, interdisziplinären und virtuellen Zusammenarbeiten. Auch die Art, sich mit Kollegen auszutauschen, veränderte sich etwa durch Collaboration-Tools sehr stark." Schon banale Dinge wie nicht ausreichende Englischkenntnisse erschwerten die Zusammenarbeit mit Kollegen in Indien, den USA oder auf den Philippinen. "Nach einer zweijährigen Übergangsphase hat das Gros der Mitarbeiter den Wechsel aber gut gemeistert", so das Fazit des Accenture-Managers.

Erst Auszubildender, dann Systemadministrator, heute mit 27 Jahren Projektleiter und IT-Berater mit Schwerpunkt Storage und Infrastruktur: Sebastian Hassel hat die Chancen genutzt, die sich ihm nach dem Outsourcing der Dräger-IT an den internationalen IT-Dienstleister Capgemini im Jahr 2004 eröffneten.
Erst Auszubildender, dann Systemadministrator, heute mit 27 Jahren Projektleiter und IT-Berater mit Schwerpunkt Storage und Infrastruktur: Sebastian Hassel hat die Chancen genutzt, die sich ihm nach dem Outsourcing der Dräger-IT an den internationalen IT-Dienstleister Capgemini im Jahr 2004 eröffneten.

Sebastian Hassel absolvierte gerade seine Ausbildung zum Fachinformatiker bei Dräger in Lübeck, als sein Arbeitgeber die IT vor neun Jahren an den IT-Dienstleister Capgemini auslagerte. Der Betriebsübergang beeinträchtigte seine Ausbildung nicht, auch am Standort Lübeck konnte er bleiben. Dennoch war es ein großer Schritt vom Familienbetrieb zum großen IT-Dienstleister, so Hassel im Rückblick: "Für die älteren Kollegen war es schon eine Umstellung, dass sich bei Capgemini alle duzten. Durch die größeren Strukturen mussten wir außerdem umdenken: Jetzt war es nicht mehr möglich, Dinge per Zuruf oder auf dem kleinen Dienstweg zu klären." Mit den Kunden musste jetzt fast immer standortübergreifend gearbeitet werden, außerdem fiel es den neuen Mitarbeitern nicht immer leicht, die richtigen Ansprechpartner im Konzern zu finden und Berührungsängste mit unbekannten Tools abzubauen.

Ob der Wechsel schnell gelingt, ist nicht nur eine Frage von Strukturen und Arbeitsweisen, sondern auch der Technik, hat Outsourcing-Berater Riermeier beobachtet: "Die Transformation vom Anwender- zum IT-Dienstleistungsunternehmen wird vor allem dann mühsam und langwierig, wenn der Professionalisierungsgrad der IT beim Anwender nicht hoch war."

Die Rolle der Chefs

Michael Riermeier, Raum für Führung: "Je größer die Veränderung, desto stärker blicken die Mitarbeiter auf ihren direkten Vorgesetzten. Er muss Orientierung geben."
Michael Riermeier, Raum für Führung: "Je größer die Veränderung, desto stärker blicken die Mitarbeiter auf ihren direkten Vorgesetzten. Er muss Orientierung geben."

Um sich im neuen, in der Regel größeren Unternehmen zurechtzufinden, brauchen die übernommenen Mitarbeiter zahlreiche Informationen. Ob HP, Accenture oder Capgemini, alle Firmen begleiteten die Betriebsübergänge wie gesetzlich vorgeschrieben mit Schulungen, gerne in Form von Webinaren. In einer Schlüsselfunktion sieht Berater Riermeier aber die Führungskräfte, die vom alten zum neuen Arbeitgeber wechseln: "Je größer die Veränderung, desto stärker blicken die Mitarbeiter auf ihren direkten Vorgesetzten. Er muss Orientierung geben. Je schneller sich die Führungskraft in der neuen Welt zurechtfindet, desto schneller gelingt allen der Wechsel." Accenture stellte den übernommenen Abteilungsleitern sechs Monate einen internen Coach zur Seite, der ihrem Profil entsprach. Berater Riermeier empfiehlt Führungskräften, neue Abläufe immer wieder zu wiederholen. Menschliches Verhalten sei auf Dauer und Kontinuität ausgerichtet. Laut Wissenschaftlern seien 3000 Wiederholungen nötig, damit ein Mensch eine Bewegung als "natürlich" wahrnehme.

Im Video: Der Chef als Vorbild

Die Rolle der Kommunikation

Der Mitarbeitertypus, der sich nach einem Übergang am besten entwickelt, ist nach den Erfahrungen von Riermeier aufgeschlossen, neugierig und aktiv. Letztere Eigenschaft sollte auch den eigenen Kommunikationsstil kennzeichnen, darin waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Dazu HP-Mann Eggers: "Kommunizieren ist nach dem Outsourcing sehr wichtig. Technisch versierte Administratoren, die mit zielorientierter Kommunikation ihre Probleme haben, tun sich darum schwerer, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Zwar wird kein Druck auf sie ausgeübt, aber ihre Arbeit verändert sich immer mehr. Einfache Tätigkeiten wie einen Reboot macht der Offshore-Kollege in Indien, und der Administrator in Deutschland muss Tätigkeiten vorbereiten und kontrollieren." Dem konnte sich Accenture-Manager Markus Grimm nur anschließen: "Der Typus des verschlossenen IT-Profis muss lernen zu kommunizieren. Er kann sich nicht mehr hinter Standards verstecken, da bereits heute viele dieser Tätigkeiten in Offshore-Länder abwandern. Die Herausforderung und Kunst von Führung besteht darin, das hierarchisch geprägte Kommunikationsverhalten aufzubrechen und die Mitarbeiter zur teamübergreifenden Zusammenarbeit zu ermutigen. Tools alleine helfen da nicht weiter."

Die neuen Karrierechancen

Ob die eigene Karriere nach dem Outsourcing stagniert oder erst in Schwung kommt, hängt nicht nur am neuen Arbeitgeber, sondern auch an der eigenen Aktivität. Sebastian Hassel, der sich nach Abschluss seiner Ausbildung bei Capgemini binnen weniger Jahre vom Systemadministrator zum IT-Berater weiterentwickelte, wusste, dass Weiterbildung anfangs eine Holschuld war: "Wer sich verändern wollte, konnte sich verändern. Ich war motiviert, über den Tellerrand hinauszuschauen, und bin heute zufrieden, da ich mehr Perspektiven habe. Es gibt aber auch Kollegen, die seit 30 Jahren Administratoren sind und es bleiben wollen."

Im Video: Karriere nach dem Outsourcing

Auch Jürgen Hach nutzte die Open-Door-Policy seines neuen Arbeitgebers HP: "Sie ermöglicht es, aktiv auch auf den nächsthöheren Vorgesetzten zuzugehen, wenn man sich weiterentwickeln will." Heute fühlt sich Hach "sehr wohl", weil er neue Aufgaben bekommen hat und in einem neuen Umfeld arbeitet. Bei Eon IT war Hach technischer Berater und fachlicher Teamleiter im Bereich Handelssysteme, bei HP ist er heute als Account IT Architect das Bindeglied zwischen der Technik und den Anforderungen des Kunden Adidas. Deckte er früher nur den Non-SAP-Bereich ab, beschäftigt er sich jetzt auch mit Webhosting, Online-Shops und künftig zudem mit SAP-Anwendungen.

Im Video: Outsourcing aus der Sicht des IT-Profis

Für Markus Grimm haben sich die Karrierechancen nach dem Wechsel von der Schmidt Bank zu Accenture potenziert: "Ich hatte keinen Masterplan in Sachen Karriere. Meine Entwicklung vom fachlichen Leiter eines fünfköpfigen Teams über den Team- und Budgetverantwortlichen für 50 Mitarbeiter bis zu meiner heutigen europäischen Rolle, in der ich für 180 Mitarbeiter in Kronberg, Hof, Prag und Warschau verantwortlich bin, verlief organisch. Ich wurde immer gefragt, ob ich mir den nächsten Schritt zutraue, und wurde vom Accenture- Management auch dazu ermutigt." Der Aufstieg gelang aber nur, weil Grimm sich auf das Beraterleben mit allen Konsequenzen einließ: Er war sechs Jahre kaum vor Ort in Hof tätig, sondern arbeitete in Projekten in München.