Karriere an der Universität: Viel Freiraum und keine Kleiderordnung

10.10.2002
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Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Internationale Forschungsteams, spannende Projekte und viel Freiraum - das verspricht zumindest eine akademische Karriere in der Informatik. Mittlerweile bieten Förderprogramme und Junior-Professuren gute Chancen für talentierte Absolventen.

"Die Aufgaben an der Universität sind interessant, die Mitarbeiter in den Forschungsteams haben viel Freiraum und anschließend jede Menge Perspektiven." So optimistisch beschreibt Manfred Broy, Informatikprofessor an der TU München, die Möglichkeiten einer Promotion. Allerdings haben nur die besten Absolventen die Chance, innerhalb einer Forschungsgruppe einen Doktortitel zu erwerben. "Eine gute Diplomarbeit stellt ein Indiz für eine gute Promotion dar", meint der Münchner Professor für Software und Systems Engineering. Außerdem sollten die Bewerber neben eigenen Ideen Spaß an der Informatik und soziale Kompetenzen mitbringen. "Bei uns ist Teamarbeit gefragt", erläutert Broy. "Allerdings bin ich vorsichtig, wenn ein Bewerber die Promotion nur als Mosaikstein für seine Karriere sieht. Ich wähle solche Leute aus, die an der Sache interessiert sind."

Alexander Pretschner
Alexander Pretschner

Alexander Pretschner schaffte das TU-Auswahlverfahren und promoviert seit 1999 bei Professor Broy. "Geld sollte keine große Rolle bei der Entscheidung spielen. Dafür sind Leute gefragt, die schräg denken können und gerne eigenartige Ideen entwickeln", so seine Beschreibung des idealen Nachwuchswissenschaftlers für das Fach Informatik. Allerdings kommt den Informatikern das so genannte Ingenieursprivileg bei der Bezahlung zugute: Während ihre Kollegen aus anderen Fakultäten höchstens auf eine halbe BAT-IIa-Stelle hoffen können, gibt es für Diplominformatiker mit Promotionswunsch grundsätzlich eine ganze BAT-IIa-Stelle.

Der 27-Jährige möchte seine Doktorarbeit, in der er sich mit Testverfahren für sicherheitskritische Systeme beschäftigt, im kommenden Jahr abschließen. "Nach dem Informatikdiplom in Aachen hatte ich erstmal genug von theoretischen Forschungsprojekten. Bloß keine Theorie mehr, dachte ich mir damals." Mit einem Fullbright-Stipendium ausgestattet, ging er für ein Jahr in die USA. Für seinen Master-Abschluss an der Universität in Kansas widmete sich Pretschner den praktischen Fragen des Fachs und entwickelte ein Programm zur Personalisierung von Suchmaschinen. Aber auch mit der praktischen Arbeit an einem konkreten Projekt war der Informatiker nicht ganz zufrieden. Nur: Was bewog den studierten Informatiker Mitte 1999, also zu den Boomzeiten der New Economy, eine Promotion zu beginnen?

Theorie und Praxis verbinden

"Ich fand die Idee klasse, fürs Lernen Geld zu bekommen", erzählt Pretschner über seine Motivation, sich für eine Promotionsstelle zu bewerben und nicht dem Lockruf der Industrie zu folgen. "Ich hätte in Aachen promovieren können, doch München bot mir die ideale Mischung aus Informatik und Stadt", so der Doktorand pragmatisch. Für Pretschner ist die Zusammenarbeit in einem wissenschaftlichen Team besonders wichtig. "Ich habe viele Gestaltungsmöglichkeiten und kann selbständig arbeiten. Für mich bietet die Universität viel Freiraum, den ich in der Industrie vermutlich nicht im gleichen Umfang hätte," erläutert er seine Motivation.

Neben unterschiedlichen Forschungsprojekten gehören für den Doktoranden auch Kurse und Übungen für Studierende dazu. "Das ist eine gute Erfahrung. Als Student dachte ich immer, die Assistenten müssen in der Lage sein, jede Frage zu beantworten, und war enttäuscht, wenn sie es nicht konnten. Heute weiß ich, dass es einfach unmöglich ist", gibt er rückblickend zu. Wie es nach der Promotion weitergeht, das hat er noch nicht endgültig entschieden. Seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt schätzt er als gut ein. "Viele Doktoranden wechseln anschließend zu den Firmen, mit denen wir hier am Lehrstuhl kooperieren, oder gründen direkt aus der Universität heraus eigene Firmen." Allerdings schließt er nicht aus, weiter an der Uni zu bleiben.

Nachdem sich die Industrie vor einiger Zeit lautstark beklagte, dass der qualifizierte Nachwuchs fehle, plagen so manchen Dekan einer Informatik-Fakultät ähnliche Sorgen, denn in den nächsten fünf bis zehn Jahren verlassen altersbedingt viele Professoren die Hochschulen. Der Fakultätentag Informatik errechnete aufgrund einer Befragung, dass in den kommenden fünf Jahren rund 110 Informatik-Lehrstühle neu besetzt werden müssen, der wissenschaftliche Nachwuchs allerdings nicht im gleichen Umfang zur Verfügung stehe, zumal die Wirtschaft oft attraktivere Gehälter zahlt. Da die USA mit ähnlichen Schwierigkeiten ringen, lief dort bereits 1999 ein Förderprogramm an.

Alternative für Habilitation

In Deutschland soll der "Aktionsplan Informatik" in einer fünfjährigen Förderphase mehr Absolventen für eine akademische Karriere begeistern. In einem Sonderprogramm stellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Mittel zur Verfügung, um gezielt promovierte Informatiker zu fördern. Außerdem möchte die DFG Absolventen, die erfolgreich im Ausland an Forschungsprojekten arbeiten, wieder zurück an deutsche Hochschulen locken. Hierzu stellte sie aus dem Emmy-Noether-Programm fünf Millionen Euro bereit.

Das Emmy-Noether-Programm fördert bereits seit Mitte 1999 Nachwuchswissenschaftler aller Fachrichtungen. Stipendiaten können für maximal sechs Jahre finanziell unterstützt werden. Das Programm sieht in der ersten Phase einen zweijährigen Auslandsaufenthalt für Forschungszwecke vor, die anschließend durch eine bis zu vierjährigen Forschungstätigkeit an einer Hochschule im Inland ergänzt wird. In der zweiten Phase leiten die Geförderten eigenverantwortlich eine eigene Nachwuchsgruppe und qualifizieren sich durch zusätzliche Lehraufgaben für eine Berufung zum ordentlichen Hochschullehrer.

Anfang dieses Jahres startete das Sonderprogramm Informatik in seine erste Ausschreibungsrunde, und die Resonanz auf das international angelegte Programm war groß. Für die Vorrunde bewarben sich 77 Interessenten, von denen es 36 zum Vorstellungsgespräch schafften. Nach der dritten Auswahlrunde im Oktober fördert die DFG maximal 25 Bewerber für die kommenden fünf Jahre. Das Förderprogramm der DFG wird insgesamt drei Mal ausgeschrieben, und zwar noch 2003 und 2004. Talentierte Informatiker können sich für die erste Auswahlrunde für das Förderjahr 2003 ab Ende Oktober dieses Jahres bewerben.

Die DFG möchte mit dem Emmy-Noether-Programm jungen Wissenschaftlern eine Möglichkeit eröffnen, sich ohne langwierige Habilitation für die Aufgaben eines Hochschullehrers zu qualifizieren. "Wir wollten mit unserem Programm für die Informatik eine Alternative zur Habilitation schaffen", erklärt Gerit Sonntag, Fachreferentin für Informatik bei der DFG.

Das neue Hochschulrahmengesetz (HRG) bietet jungen Nachwuchswissenschaftlern eine weitere Möglichkeit, sich ohne Habilitation für eine Berufung zu qualifizieren. Die Junior-Professur gehört zu den zentralen Änderungen des Gesetzes, das Mitte August in Kraft trat. Bis 2010 soll die Habilitation endgültig überflüssig werden. "Die Junior-Professur ist die optimale Lösung", meint Oliver Vornberger, Professor für Informatik an der Universität Osnabrück. "Die Habilitation war immer ein deutscher Sonderweg, der losgelöst von den wirklichen Anforderungen des Lebens existierte und heute keine Chance mehr hat. Jetzt wird klar gestellt, dass Forschung auch das Ziel hat, Studenten auszubilden."

Junior-Professoren gefragt

Christoph Meinel, Lehrstuhlinhaber an der Universität Trier und gleichzeitig Direktor des Instituts für Telematik, steht den neuen Möglichkeiten einer Junior-Professur eher skeptisch gegenüber. "Den Junior-Professoren fehlt die schützende Hand. Sie müssen mit allen Aufgaben eines Professors klarkommen, Promotionen betreuen und innerhalb der Universität um Ressourcen kämpfen." Allerdings gibt es in der Informatik schon heute eine ganze Reihe von Professoren, die aufgrund ihrer Kenntnisse und ohne Habilitation einen Lehrstuhl erhalten haben.

Positionen für Junior-Professoren sind nach dem neuen HRG auf sechs Jahre beschränkt. In dieser Zeit übernehmen die promovierten Wissenschaftler bereits eigenverantwortlich Lehrveranstaltungen und leiten die Forschung eines eigenen Nachwuchsteams. Nach den ersten drei Jahren findet eine Zwischenevaluation statt. Während ihrer Tätigkeit als Junior-Professoren können sie sich jederzeit um einen ordentlichen Lehrstuhl bewerben.

"Der Reiz liegt gerade im selbstverantwortlichen Arbeiten", meint Wolfgang Henhapl, Prodekan an der TU Darmstadt und Professor für Praktische Informatik. Er ist vom neuen Konzept angetan. In Darmstadt haben die ersten beiden Junior-Professoren das Berufungsverfahren bereits abgeschlossen und starten zum Wintersemester.

Schlechte Bezahlung?

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt pro Junior-Professur durchschnittlich 60000 Euro für die Sachausstattung zur Verfügung und möchte in der Anfangsphase 3000 Junior-Professoren fördern. Detlef Schmid, Dekan an der TU Karlsruhe, bemängelt die in seinen Augen schlechte Bezahlung der Junior-Professoren. "Sie sollen zum Lohn eines Facharbeiters wie ein Professor arbeiten und eigene Forschungsvorhaben umsetzen", kritisiert Schmid. Für Vornberger von der Uni Osnabrück überwiegen dagegen die Vorteile des neuen Konzepts. Die Kritik seiner Kollegen über die schlechte Bezahlung der Professoren an den Universitäten kann er nicht verstehen.

"Ein C3- oder C4-Gehalt liegt deutlich über den normalen Gehältern, die in der Industrie gezahlt werden. Ich halte die Professorenvergütung für angemessen, besonders wenn ich mir die Sonderrechte und Privilegien ansehe." Dazu gehöre beispielsweise ein Forschungs-Freisemester in den USA. "Davon können die Kollegen in der Wirtschaft in den meisten Fällen nur träumen", so Vornberger. "Manche vergleichen das Gehalt gerne mit den Topverdienern in der Wirtschaft und vergessen dabei, dass dort nur die wenigsten solche Positionen erreichen."

Mit den steigenden Studentenzahlen schwinden auch die Nachwuchssorgen. Außerdem weiß Alexander Pretschner noch von einem ganz anderen Vorteil einer Universitätslaufbahn zu berichten: "Was natürlich auch noch für die Uni als Arbeitsplatz spricht: Es gibt hier keine Kleiderordnung."