Kapitalerhoehung um 2,2 Billionen Lire geplant Kursrutsch zeigt: Boerse hat das Vertrauen in Olivetti verloren

15.09.1995

MUENCHEN (CW/IDG) - Vor etwa zwei Monaten machte Olivetti-Chef Carlo De Benedetti den Boersianern fuer 1995 Hoffnung auf ein ausgeglichenes Ergebnis vor Steuern. Analysten vermuteten, dass sich das Versprechen nur ueber eine Kapitalerhoehung einloesen laesst, die nun auch angekuendigt wurde. Dies und Spekulationen ueber eine neue Krise liessen den Aktienkurs auf das niedrigste Niveau seit 1993 fallen. Ende letzter Woche wurde der Handel an den Boersen in Mailand und Frankfurt ausgesetzt.

"Bad news" haben bei den Olivetti-Aktien einen Kursrutsch ausgeloest, der nahezu in den freien Fall ueberging. An der Mailaender Boerse sackte die Notierung der Stammaktien am letzten August-Tag erstmals seit 1993 auf ein historisches Tief von 1380 Lire pro Anteilsschein. Am Montag dieser Woche notierte das Olivetti-Papier in Mailand zum Handelsschluss bei 1288 Lire.

Verantwortlich dafuer waren anfangs schlechte Nachrichten von der Piemonter Metallarbeiter-Gewerkschaft FIOM-CGIL, deren Einschaetzung zufolge dem italienische Computerhersteller ein erneutes Tief bevorsteht. "Alle Signale, die wir von dem Unternehmen erhielten, liessen uns zu dem Schluss kommen, dass die Krise auf keinen Fall vorbei ist", erklaert Gewerkschaftsboss Giorgio Cremaschi. "Olivetti verliert staendig an Marktanteilen."

Nach Dataquest-Analysen musste Olivetti im PC-Geschaeft, das etwa 20 Prozent des Umsatzes ausmacht, tatsaechlich Federn lassen. So besass der italienische Hersteller 1994 rund sechs Prozent des europaeischen PC-Markts und lag damit in der Anbieterrangliste an vierter Stelle. Im ersten Quartal 1995 rutschte das Unternehmen aus Ivrea nach Stueckzahlen auf Platz zehn ab (3,2 Prozent Marktanteil). "Alle grossen Unternehmen haben in den letzten Jahren versucht, ihre Marktposition im Kerngeschaeft zu verbessern; Olivetti ist den umgekehrten Weg gegangen", kritisiert der Gewerkschaftsfuehrer.

"Die Firma befindet sich in einer dramatischen Lage", aeussert sich auch ein Mailaender Boersenexperte, der ungenannt bleiben will. "Wenn Olivetti keine Kapitalerhoehung realisiert, werden die Schulden zum Jahresende rund zwei Billionen Lire (etwa 1,7 Milliarden Mark) betragen." Zum einen druecke die Italiener ein Schuldenberg, zum anderen benoetige die Mobilfunk-Tochter Omnitel dringend finanziellen Beistand, aeusserten die Branchenbeobachter zu Beginn des Kursrutschs. Dass die Analysten damit sogar noch positiv schaetzten, zeigte das Halbjahresergebnis. Die Schulden beliefen sich nach den ersten sechs Monaten auf 2,01 Billionen Lire.

Anfangs war es nur ein Geruecht, dass Olivetti eine Kapitalerhoehung plane. Das Olivetti-Management reagierte noch vor kurzem mit einer Meldung an die Presse, wonach ein solcher Schritt vom Vorstand weder vorgeschlagen noch gebilligt sei. Nahrung erhielt die Vermutung der Analysten jedoch durch die Tatsache, dass De Benedetti die auf Sanierungen spezialisierte Mailaender Mediobanca besucht hat.

Die Aussicht auf eine Kapitalerhoehung hielt die Titel auf Abwaertskurs. Olivetti sah sich wohl letztlich gezwungen, eine Erklaerung abzugeben. Im Zuge der bevorstehenden Vorstandssitzung wurde die Olivetti-Aktie Ende letzter Woche an den Boersen in Mailand und Frankfurt am Main kurzfristig vom Handel suspendiert.

Mittlerweile gab De Benedetti bekannt, dass 2,257 Milliarden Stammaktien zum Nennwert von 1000 Lire ausgegeben werden sollen. Damit macht Olivetti einen Kapitalbedarf geltend, der die Eigenkapitalbasis (eine Billion Lire) deutlich uebersteigt. Die Genehmigung der Aktionaere wird auf der Hauptversammlung am 25. Oktober 1995 eingeholt.

Die Mittel sollen zur schnellen Umstrukturierung des Konzerns in ein Informatik- und Telekommunikationsunternehmen verwendet werden (siehe Seite 4, "Olivetti zerhackt . . ."). Investitionen seien vor allem im PC-Geschaeft, dem Multimedia-Bereich sowie in den Mobilfunkanbieter Omnitel geplant. Dem Umbau fallen den Plaenen zufolge auch 5000 Arbeitsplaetze zum Opfer. Nach Ansicht von Arbeitnehmervertreter Cremaschi verkraftet Olivetti weitere Stellenkuerzungen nicht mehr. In Italien sind es nur noch 15000 von ehemals 30000 Beschaeftigten. Weltweit hat Olivetti den Personalstand bereits von 58000 auf 33000 Mitarbeiter reduziert.

Analysten neigen mittlerweile zu Zynismus, geht es um die Restrukturierung des Computerkonzerns. "Das ist Olivettis letzter Walzer", zitiert das "Wall Street Journal" den Mailaender Analysten Alberto Rolla. Die Auguren wuerden ungeduldig und wollten endlich niedrigere Schulden und die Wende in die Gewinnzone sehen.

Im ersten Halbjahr 1995 betrug der Verlust vor Steuern 187,1 Milliarden Lire und war damit nahezu doppelt so hoch wie im Vorjahr (93,6 Milliarden Lire). Die Summe resultierte unter anderem aus einem ausserordentlichen Aufwand in Hoehe von 900 Milliarden Lire. Der Umsatz stieg um 15,3 Prozent auf 4,738 Billionen Lire (etwa 4,5 Milliarden Mark).