Der Markt der Betriebssysteme ist hart umkämpft:

Kann sich MS-DOS gegen seine Konkurrenten wehren?

14.04.1989

OS/2, Unix und jetzt auch das aus deutscher Softwareschmiede stammende L3 machen MS-DOS den Platz streitig. Hat MS-DOS gegen diese Betriebssysteme keine Chance oder wird MS-DOS seine Konkurrenten auch zukünftig aus dem Felde schlagen?

Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Betrachtung der Entwicklung notwendig. Steckte der PC vor zehn Jahren noch in den Kinderschuhen, ist er heute aus dem Geschäftsleben nicht mehr wegzudenken. Mit dem Siegeszug des PC wurden immer mehr Aufgaben im Büro automatisiert. Wiederkehrende Tätigkeiten, zeitaufwendige und rechenintensive Arbeiten wurden vom PC abgenommen und haben den Mitarbeitern erlaubt, die steigende Informationsflut zu bewältigen.

Der immer größer werdende Wettbewerb setzt zusätzlich eine schnelle Informationsbereitschaft voraus, die nur noch mit diesem Hilfsmittel zu realisieren ist.

Dabei war die Aufgabenstellung des PC anfangs Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, von Datenbanken und Warenwirtschaftssystemen war keine Rede. Erst allmählich wurden Unternehmensanwendungen wie Finanzbuchhaltung, Lohn und Gehalt, Auftragsabwicklung und ähnliches verfügbar. Heute ist Anwendungssoftware für fast jede Branche erhältlich. Die enorme Verbreitung der PCs hat jedoch auch seine Schwächen aufgezeigt. Die Vertrautheit der Anwender mit dem Computer hat zu einer größeren Vielfalt von individuellen Programmen geführt. Die Losgelöstheit von organisatorischen, auch DV-Abteilungs-Sachzwängen führte zu einer Flut von Insellösungen mit unterschiedlich aktuellen Datenbeständen und Programmen. So sind fast alle Unternehmen heute auf der Suche nach Lösungen, diese individuelle Vielfalt in eine organisatorische Einheit einzubinden.

MS-DOS führte zum Siegeszug des PCs

Wie wird diese Lösung aussehen? Auch diese Frage läßt sich nur mit einem Blick auf die Vergangenheit und einer Extrapolation in die Zukunft beantworten. Ohne den Erfolg von Apple schmälern zu wollen, ist der Siegeszug des PC untrennbar mit dem Intel-Prozessor und dem Betriebssystem MS-DOS verbunden. Dabei bestimmt das Betriebssystem als Bindeglied zwischen Anwendungssoftware und Hardware die Leistungsfähigkeit der Gesamtlösung. Bevor MS-DOS auf den Markt kam, verwalteten PC-Betriebssysteme einen Hauptspeicher von 64 KB. Mit dem Intel 8088 konnte ein Megabyte Hauptspeicher adressiert werden, eine Größenordnung, die Zum damaligen Zeitpunkt eine Sensation war. Mit der Einführung von MS-DOS und dem nutzbaren Hauptspeicher von 640 KB war alle Welt überzeugt, daß dies für die nächsten zehn Jahre ausreichen würde. Die Software-Entwickler mußten endlich bei der Programmierung nicht mehr auf die einzelnen KBs achten, sondern konnten sich frei entfalten.

Diese 640-KB-Begrenzung ist sicherlich für Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, für Einzelplatzanwendungen und single-tasking heute noch ausreichend, nicht jedoch für komplexe Anwendungen und die Einbindung zu einer organisatorischen Einheit.

MS-DOS selbst hat sich im Verlauf der Zeit weiterentwickelt - von 360 KB externer Speicherunterstützung bis zu 32 MB und Netzwerkfähigkeit. Gegen diese Entwicklung war jedoch der Fortschritt auf der Hardwareseite bei Intel eine Revolution.

Der Intel 8088 als 16-Bit-Rechner war die Basis für MS-DOS. Heute gibt es den 32-Bit-Rechner 80386, dessen Leistung 25mal größer ist, der den 4000fachen Hauptspeicher und einen virtuellen Adreßbereich adressieren kann, der 64millionenmal den des 8088 übertrifft. Der Adreßbereich von 64 Terabyte bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß eine Ausgabe aller Bücher, die seit der Erfindung der Druckkunst durch Gutenberg gedruckt worden sind, in diesem Adreßbereich gespeichert werden könnte. In seiner Rechenleistung übertrifft der 80386 eine mittlere IBM 370, die in den siebziger Jahren noch als zentrale Datenverarbeitung in größeren Unternehmen eingesetzt wurde. Mit der in der Hardware vorgesehenen virtuellen Speicherverwaltung ist es erstmals komfortabel möglich, auf PC-Ebene mehrere Programme und Anwender gleichzeitig zu unterstützen.

MS-DOS nutzt die Leistungsfähigkeit dieses Prozessors bei weitem nicht aus, es ist, als ob ein Radfahrer eine dreistufige Autobahn benutzt.

MS-DOS hat den PC groß gemacht

MS-DOS hat aber auch Stärken

Es ist der Industriestandard und der hat den PC groß gemacht. Immerhin ist dieses Betriebssystem weltweit auf über 20 Millionen Arbeitsplatzrechnern installiert, und mehr als 100 000 Anwendungsprogramme laufen darunter. Die Unternehmen haben für den Softwaremarkt Milliarden von DM ausgegeben, und diese Investition kann nicht durch eine noch so gute Neuentwicklung weggeworfen werden.

Geschaffen für den PC-Anfang, kann MS-DOS jedoch heute nicht mehr mit der Hardware-Entwicklung mithalten. Die meisten Software-Entwickler fühlen sich eingeengt durch die 64-K-Segmente und die 640-KB-Hauptspeicherrestriktion, benutzen es aber weiter, weil der Markt es verlangt.

Bereits heute, aber noch mehr im Büro von morgen, werden komplexe Lösungen im Vordergrund stehen, bei denen der Zugriff mehrerer Benutzer auf die gleichen Daten, wie Bestand, Verkäufe und Lieferungen, verlangt wird. Aus den heute bestellenden Insellösungen werden Abteilungslösungen in Großunternehmen beziehungsweise Unternehmenslösungen in Klein- und Mittelbetrieben Darüber hinaus ist unsere tägliche Arbeit geprägt von ständigen Unterbrechungen, die den schnellen Zugriff auf verschiedene Programme verlangen. Die Forderungen für zukünftige Lösungen gehen daher in Richtung Multiuser-, Multitasking-Fähigkeit, eine Anforderung, die der 80386 hardwaremäßig erfüllt.

Löst OS/2 MS-DOS ab

Die Frage lautet also nicht, überlebt MS-DOS, denn diese Antwort ist eindeutig Ja, sondern gibt es eine Lösung, die MS-DOS und den Funktionsumfang der neuen Prozessortechnologie 80386, 80486 und so weiter vereint?

Schaffen die oben genannten Betriebssysteme oder vielleicht sogar die PC-Netze hier Abhilfe?

Löst OS/2 MS-DOS ab?

Betrachten Sie die Eigenschaften von OS/2. Das Single-user-Betriebssystem OS/2 ist entwickelt für der 80286, der mit der Verfügbarkeit des 80386 bereits veraltet ist. Der Adreßbereich des Hauptspeichers beträgt 16 MB. Gemessen an den 640 KB von MS-DOS sicherlich eine enorme Verbesserung, mittelfristig aber garantiert wieder eine Restriktion. Bereits heute sind 1-MB-Chips verfügbar, 4 MB stehen kurz vor der Tür und 16-MB- beziehungsweise 64-MB-Chips sind der Entwicklung und sicherlich in den nächsten zwei bis drei Jahren auf dem Markt.

In dieser Zeitschrift erschien in Oktober eine Aussage über die Weiterentwicklung der PCs, die ein DEC-Manager anläßlich einer Präsentation bei Ford, USA, machte. Der DEC-Manager Vertrat die Auffassung, daß zum Preis eines 1987 gefertigten PCs mit 1-MB-Hauptspeicher und 20-MB-externem Speicher im Jahre 2000 ein PC mit 50-MB-Hauptspeicher und 200 MB externem Speicher zu haben sein wird.

Und daß zum vierfachen Preis (13 000 Dollar) dann ein PC 600 MB Hauptspeicher und 4 GB externem Speicher zu bekommen Man kann sich sicherlich über die Größenordnung und über den Zeitpunkt streiten, sicher ist aber, daß die oben erwähnte 16-MB-Hauptspeicher-Begrenzung in einer ähnlich kurzen Zeit wie die 640 KB unter MS DOS zu einer echten Restriktion für Software-Entwickler werden wird.

OS/2 integriert DOS nur mangelhaft

Bietet OS/2 dafür eine vernünftige MS-DOS-lntegration? Auch diese Frage kann nur mit Nein beantwortet werden, denn MS-DOS-Programme laufen nur in der sogenannten Kompatibilitätsbox. Diese unterstützt dabei nicht einmal die 640-KB-Hauptspeicher in vollem Umfang, und es sind nur sogenannte "well behaved programs" lauffähig, das heißt, Programme, die sich an die MS-DOS-Konventionen halten. Und leider tun dies nur die wenigsten. Darüber hinaus läuft diese Kompatibilitätsbox nur im Vordergrund, Multitasking unter DOS ist also nicht möglich. Ein sinnvoller Einsatz von OS/2 bedeutet damit, daß neue Programme zu schreiben sind und die bestehenden nicht weiter verwendet werden können. Sollte eine solche Investition für eine veraltete Prozessorgeneration noch gemacht werden? Der Markt wird es zeigen, die bisherige Verbreitung spricht eine deutliche Sprache.

Unix könnte ein Ausweg aus der MS-DOS-lnsellösung sein. Die erste Frage, die man sich dabei jedoch stellen muß, ist: Welche Unix-Version? Inzwischen gibt es verschiedene 80386-Portierungen von Unix und darüber hinaus verschiedene Ansäte, MS-DOS-Software in diese Welt einzubringen .

Aber die Integration entspricht bei weitem nicht den Anforderungen und dem vollen Investitionsschutz für die DOS-Software. Sollte es Unix gelingen, einen Standard zu setzen, MS-DOS-Programme und PCs voll zu integrieren, anwenderfreundlich zu werden, dann hat es eine Chance langfristig eine Ergänzung zu werden.

Sind die PC-Netze die Lösung?

Bei ihrer Einführung waren sie die einzige sinnvolle Alternative, aus den PC-Inseln einen Informationsverbund bei Beibehaltung der getätigten Investitionen in Hard- und Software zu machen. Die Restriktionen des PC-Netzes sind jedoch augenscheinlich. Die geforderten Multitasking-Eigenschaften sind nicht vorhanden, die MS-DOS-Limitationen bleiben voll bestehen, und der Begriff Datenschutz, der beim PC keine Rolle spielte, ist nun plötzlich ein wichtiges Thema geworden. Je nach Einsatzgebiet sind die PC-Netze eine sinnvolle Ergänzung, jedoch zu einem relativ hohen Preis.

L3 unterstützt den 80386 in allen Bereichen

L3, die Alternative zu MS-DOS?

Soll nun ausgerechnet ein Betriebssystem, das dazu noch aus einer deutschen Softwareschmiede kommt, eine Alternative zu den amerikanischen Errungenschaften sein?

Als ein echtes 80386-Betriebssystem nützt es diesen Prozessor voll aus und ist multiuser-, multitaskingfähig. 2000 Prozesse mit einem, Adreßraum von jeweils 4 GB, ein virtueller Adreßbereich von 64 GB, ein Datenraumgröße von 1 GB, wobei ein Prozeß bis zu 16 383 Datenräume verwaltet, eine virtuelle Speicherverwaltung mit einer Seitengröße von 4 KB, wie durch die Memory Management Unit des Intel 80386 unter stützt, sind Leistungsmerkmale die auch zukünftig keine Restriktionen darstellen werden. Der wesentliche Vorteil dieses Betriebssystems ist jedoch die MS-DOS-Integration. Was bedeutet dabei Integration unter L3? L3 unterscheidet nicht nach DOS und eigenen Tasks, sondern erlaubt jeder Task, nach Belieben zwischen DOS- und L3-Modus hin- und herzuschalten und unter MS-DOS auch die L3-Systemleistungen zu nutzen. Damit gewinnt L3 die gesamte Palette der DOS-Applikationen und die DOS-Welt eine mächtige Arbeitsumgebung. Damit ist L3 eines der ganz wenigen Betriebssysteme, das die Eigenschaften

- volle MS-DOS-Integration

- multi-user, multi-tasking

- volle 80386-Unterstützung vereint.

Der wesentliche Nachteil von L3 ist vielleicht, daß es von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), einer Großforschungseinrichtung des Bundes, also in Deutschland, entwickelt wurde und nicht aus dem Mutterland der PC-Software, den USA, stammt. Oder sollte sich erstmals ein Betriebssystem aus deutschen Landen durchsetzen?

*Dipl.-Kfm. Bernd Stehle ist bei der ERGOS GmbH Siegburg, tätig.