Kolumne

"Kann Baan sich neu erfinden?"

14.01.2000
Christoph Witte, Chefredakteur CW

Zwei Dinge beeinflussen die Entscheidung eines Anwenders für einen ERP-Anbieter am stärksten: seine Verlässlichkeit und seine Zukunftsfähigkeit.

In beiden Bereichen hat sich Baan in den vergangenen zwei Jahren nicht gerade hervorgetan: Zunächst waren da im Frühjahr 1998 die undurchsichtigen Transaktionen der Gebrüder Baan, die zu ihrem Rückzug aus dem operativen Geschäft führten. Aber mit dem familienfremden CEO Tom Tinsley wurde es nicht besser. Unter seiner Ägide schrieben die Holländer zum ersten Mal rote Zahlen. Allerdings waren die Weichen schon vor Tinsleys Engagement falsch gestellt worden.

Die Kurve vom mittelständisch orientierten PPS- (Triton) zum ERP-Komplettanbieter hat Baan noch problemlos genommen. Die Holländer wuchsen schneller als der ohnehin rasant expandierende Markt. Als man dann noch Boeing als Großkunden gewinnen konnte, war klar, dass Baan auch für Großunternehmen als Softwarelieferant in Frage kam.

Beim nächsten Evolutionsschritt - vom Backend-ERP-Anbieter zum Softwarehaus, das auch mit Front-Office- und Data-Warehouse-Produkten reüssieren kann - geriet Baan ins Stolpern. Beispielsweise dauerte die Integration der Produkte von Aurum, einem Ende 1997 übernommenen CRM-Anbieter, viel zu lange. Offenbar hatten die Holländer schon damals noch vom Wachstum überdeckte Probleme, die eine zügige Integration zugekaufter Produkte in das eigene Portfolio verhinderten. So begannen Anwender bereits 1997, über fehlerhafte Software und mangelhaften Service und Support zu klagen. Sie bekamen den Eindruck, dem Softwarehaus gehe es nur um das Lizenzgeschäft, ein Verdacht, der sich im April 1998 erhärtete, als die Bilanzierungspraktiken der Gebrüder Baan bekannt wurden.

Während Baan sich mit unzufriedenen Kunden und Integrationsaufgaben befassen musste, hatten die Konkurrenten genügend Zeit, sich neu aufzustellen. Und jetzt, geschwächt durch den Y2K-Investitionsstau der Anwender, die finanziellen Probleme und den erneuten Vertrauensverlust - ausgelöst durch den Rücktritt von Firmenchefin Mary Coleman -, hat Baan die schlechtesten Karten unter den ERP-Anbietern. Es ist fraglich, ob das Unternehmen die nächste Hürde nehmen kann.