SDN: Technik und Praxisrelevanz

Kampf um die Kontrolle

01.10.2013
Von 
Bernd Reder ist freier Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Technologien, Netzwerke und IT in München.

Vorteile von SDN

Ulrich Hamm, Cisco: "Der Eindruck, dass SDN mit OpenFlow gleichzusetzen sei, ist schlichtweg falsch."
Ulrich Hamm, Cisco: "Der Eindruck, dass SDN mit OpenFlow gleichzusetzen sei, ist schlichtweg falsch."
Foto: Cisco

Gleich, ob OpenFlow oder ein anderes SDN-Protokoll zum Zuge kommt, hat Software Defined Networking aus Sicht seiner Protagonisten etliche Vorteile:

  • Der Controller ist kein geschlossenes System, sondern kann von Netzwerkfachleuten programmiert und somit an spezielle Anforderungen angepasst werden.

  • Es lassen sich unterschiedliche Netzwerk-Systeme von einer zentralen Stelle aus steuern. Das gilt für physische Switches und Router bis hin zu virtualisierten Switches (vSwitches), WLAN-Access-Points und WAN-Optimierungssysteme.

  • Anwendungen und neue Netzwerkdienste können innerhalb von Stunden bereitgestellt werden. Derzeit erfordert dies oft mehrere Tage oder gar Monate. Bei SDN wird die Implementierung neuer Services über die Einträge in den Flow Tables gesteuert. Auf diese Weise lassen sich auch Quality-of-Service-Merkmale und VLAN-Konfigurationen festlegen.

  • Service-Definitionen müssen nicht mehr auf physikalische Netzwerk-Ports "gemappt" werden. Das verringert den Konfigurationsaufwand.

  • Der Controller vermittelt dem Administrator eine "ganzheitliche" Sicht auf die Anwendungen, Netzwerkelemente und Datenströme (Flows). Dies ist ein Vorteil gegenüber anderen Konzepten wie etwa virtualisierten Overlay-Netzen.

  • Die Komplexität einer Netzwerkinfrastruktur verringert sich, weil weniger Switch-Ports und Kabel erforderlich sind. Bei LANs und Storage Area Networks sind es nach Angaben von Oracle, das sich ebenfalls im Bereich SDN als Anbieter betätigt, etwa 50 Prozent.

  • Mit einem SDN-Controller lassen sich sowohl physische als auch virtualisierte Data Planes steuern. Das erleichtert die Bereitstellung von IT-Services in IT-Umgebungen, in denen zumindest ein Teil der IT-Ressourcen virtualisiert wurde.

Skeptische Netzwerkhersteller

Nachvollziehbar ist, dass Software Defined Networking nicht nur auf Gegenliebe stößt. Vor allem etablierte Netzwerkausrüster wie Cisco Systems, Juniper, HP, Brocade oder Extreme Networks, das jüngst Enterasys Networks übernahm, müssen fürchten, dass SDN ihnen einen Teil des Geschäfts wegnimmt. Denn statt hoch spezialisierter Switches mit speziellen ASICS (Application-specific ICs) und Betriebssystemen wie IOS (Cisco) oder JUNOS (Juniper) können Anwender auf "White-Box"-Systeme mit konventionellen Hochleistungsprozessoren zurückgreifen.

Vergleich einer herkömmlichen Netzwerkinfrastruktur und einer SDN-Umgebung
Vergleich einer herkömmlichen Netzwerkinfrastruktur und einer SDN-Umgebung
Foto: ESG

Diesen Trend sieht beispielsweise Stu Bailey, Mitbegründer und Chief Technology Officer von Infoblox, einem Anbieter von Netzwerkmanagement-Lösungen: "Mit SDN ergibt sich eine Entwicklung in Richtung einer 'Consumerization' von Netzwerkausrüstung. Anbieter von SDN-Open-Switches wie Big Switch oder Pica8 setzen bei der Hardware auf Standarddesigns und Standardprozessoren. Eine vergleichbare Entwicklung haben wir im Server-Bereich erlebt - weg von Spezialprozessoren hin zur x86-Architektur."

Overlay-Netze als Alternative

Als Alternative zum des SDN-Konzept werden derzeit virtualisierte Netzwerk-Overlay-Infrastrukturen (Virtual Network Overlays) gehandelt. Unter anderem hat Cisco Systems mit Cisco One (Open Network Environment) ein solches Konzept entwickelt. Im Unterschied zu SDN beschränkt sich ein Overlay-Netz nicht auf Control und Data Plane, sondern bezieht über entsprechende Application Programming Interfaces auch höhere Ebenen mit ein, etwa das Management und die Orchestrierung. Zudem lassen sich, so Cisco, in einer Overlay-Struktur wie Cisco One im Vergleich zu SDN erweiterte Netzwerkanalyse-Funktionen verwenden. Auf Basis der Daten, die diese Applikationen liefern, kann ein Netzwerkverwalter detaillierte "Network Policies" definieren. Das wieder macht es einfacher, IT-Services bereitzustellen.

Aufbau eines OpenFlow-Switches: Er kommuniziert mit einem zentralen Controller. Problematisch ist, dass es bislang keine standardisierte Controller-Software gibt. Jeder Hersteller verwendet seinen eigenen Programmcode.
Aufbau eines OpenFlow-Switches: Er kommuniziert mit einem zentralen Controller. Problematisch ist, dass es bislang keine standardisierte Controller-Software gibt. Jeder Hersteller verwendet seinen eigenen Programmcode.
Foto: ONF

"Cisco One unterstützt OpenFlow, OpenStack und Network Functions Virtualization, arbeitet aber gleichzeitig mit der vorhandenen Infrastruktur zusammen, etwa auf Basis von Switches und Servern von Cisco", so Hamm. Ein Vorteil der Cisco-Lösung sei zudem die Unterstützung von mehreren Domänen. "Dies ist bei anderen SDN- Lösungen nicht der Fall", betont Hamm.

Während sich SDN auf die Trennung von Control und Data Plane beschränkt, wird bei Netzwerk-Virtualisierung der gesamte Management-Layer, inklusive SDN, von der zugrundeliegenden physischen Infrastruktur abstrahiert. Auch dieser Ansatz ermöglicht es, Netzwerke "zu programmieren".

Eine "Overlay Network Virtualization" hat den Vorteil, dass sich damit bestehende Netzwerke, in denen Standard-Switches eingesetzt werden, auf eine Weise erweitern lassen, dass sie auch mit Workloads in virtualisierten und Cloud-Computing-Umgebungen umgehen können, so Jason Metlof, Marketing-Chef von Big Switch Networks, einem Anbieter von SDN-Komponenten. Dazu nutzten Overlay-Netze Tunnel, über die der Datenverkehr zwischen Virtual Hosts läuft. Ein Schwachpunkt dieses Ansatzes ist laut Big Switch, dass die Steuerung der Virtual Switches über herstellerspezifische Protokolle erfolgt.

Tom Schwaller, Linux Architect bei der Networking-Sparte von IBM: ""OpenFlow und Overlay-Infrastrukturen sind noch nicht in den Köpfen der Anwender. Das wird sich jedoch ab 2014 ändern."
Tom Schwaller, Linux Architect bei der Networking-Sparte von IBM: ""OpenFlow und Overlay-Infrastrukturen sind noch nicht in den Köpfen der Anwender. Das wird sich jedoch ab 2014 ändern."
Foto: IBM

Dennoch räumt Thomas Schwaller, Linux and Network Architect bei IBM, Overlay-Netzen gute Chancen ein: "Sie ermöglichen es Netzwerkverwaltern, ohne größere Risiken Erfahrungen mit programmierbaren Netzen zu sammeln. Zudem lässt sich auf diese Weise eine Virtualisierungsebene über vorhandene Netzwerk-Hardware legen. Dies eröffnet Anwendern die Option, ihre vorhandene Infrastruktur weiterhin zu nutzen."

Laut Schwaller werden sich Overlay-Netze zunächst am Rand von Netzwerken etablieren. Allerdings räumt er ein, dass es speziell in mittelständischen Unternehmen neue Ansätze wie SDN, Overlay-Netze und Netzwerkvirtualisierung schwer haben: "OpenFlow und Overlay-Infrastrukturen sind noch nicht in den Köpfen drin. Wir werden aber spätestens 2014 erste Proof-of-Concept-Installationen sehen."

Rolle der I/O-Systeme nicht unterschätzen

Ein Punkt, der beim Umstieg auf eine SDN- oder Overlay-Infrastruktur nicht vergessen werden sollte, sind laut Perry Eekhout, Regional Manager Central Europe bei Emulex, die I/O-Systeme: "Unternehmen müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie I/O-Systeme und -Architekturen zur Bereitstellung von Services und zur Verbesserung der End-to-End-Performance nutzen können. Durch den Einsatz eines intelligenten I/O-Systems am Netzwerkrand können Anwender mithilfe der verteilten Prozessbearbeitung sowohl I/O als auch Netzwerkvirtualisierung effektiver gestalten."

Die Möglichkeit, I/O- und Netzwerkverarbeitung unabhängig vom Host-CPU durchzuführen, bedeutet laut Eekhout, dass mehr Rechenleistung zur Unterstützung einer größeren Anzahl von Virtual Machines zur Verfügung steht. "Und höhere VM-Dichten führen dazu, dass CIOs ihre Betriebs- und Investitionskosten reduzieren können, da sie weniger physische Server benötigen."

Praxis: Miteinander von SDN und Virtual Overlay Networks

Foto: violetkaipa, Shutterstock.com

Ob nun virtualisierte Overlay-Netze oder Software Defined Networking - noch ist nicht absehbar, welche Technologie sich durchsetzen wird. Es ist zu vermuten, dass in der Praxis mehrere Ansätze gleichzeitig in einem Netzwerk zum Zuge kommen. IBM sieht in einem solchen Dualismus kein Problem. Im Gegenteil: Der Vorteil von virtualisierten Overlay-Netzen ist, dass sie Hardware-agnostisch sind und mit jeder IP-basierten Infrastruktur zurechtkommen.

SDN wiederum lässt sich dazu verwenden, um in einem OpenFlow-basierten Netzsegment neue Dienste und Anwendungen bereitzustellen. Als übergeordnetes Bindeglied dient eine SDN-Plattform, über deren Northbound-API Anwendungen und Netzwerkdienste angebunden werden. In der Praxis dürften solche Modelle allerdings zumindest derzeit nur für große Infrastrukturen mit Tausenden von Netzwerkkomponenten in Frage kommen. (hi)