Und es geht doch ...

Käsehersteller plant sein Geschäft für ´99 mit R/3

05.02.1999
Von Uwe Brück Nach Ansicht von Fachleuten ist es schwierig bis unmöglich, mit der SAP-Software R/3 integrierte Geschäftspläne zu erstellen. Der in Heimenkirch im Allgäu ansässige Käsehersteller Hochland Reich, Summer & Co. ("Hochland") wagte trotzdem den Versuch. Das Vorhaben gelang - wenn auch mit einigen Schwierigkeiten und Abstrichen.

"Ich kenne nur drei Controller, die von sich behaupten, ihren Business-Plan mit SAP R/3 zu erstellen. Bei zweien stellte sich heraus, daß sie nur die fertigen Pläne in R/3 erfassen; die eigentliche Planung wird im Vorfeld mit anderen Systemen durchgeführt. Der dritte hat tatsächlich einmal den Plan mit SAP R/3 erstellt, räumt jedoch ein, dabei ein Magengeschwür bekommen zu haben. Er wird nie wieder mit SAP R/3 planen." Diese vernichtende Bilanz zog Sven Piechota, Dekan der Fachhochschule Nordostniedersachsen, im Februar 1998 anläßlich eines SAP-Anwenderforums in Lüneburg.

Trotz dieser Mahnungen und einiger Bedenken wollte Hochland bei der Erstellung des Business-Plans für 1999 auf R/3 bauen. Das Controlling war davon überzeugt, daß diese Aufgabe lösbar sei - obschon die Geschäftsleitung einen engen Zeitrahmen von zehn Wochen, zwischen Anfang September und Mitte November 1998, vorgegeben hatte.

Was sollte am Anfang eines solchen Vorhabens stehen? Die Absatzplanung, aus der dann die Kostenplanung abgeleitet wird, oder doch lieber die Kostenplanung, die wesentlichen Einfluß auf die Absatzplanung hat? Diese Frage ähnelt der nach der Henne und dem Ei. Hochland entschied, die Absatz- und Erlösplanung an den Anfang zu stellen und pauschal anzunehmen, daß die Kosten mindestens stabil gehalten werden können beziehungsweise im Bereich Einsatzmaterialien sogar sinken.

Bei der Absatz- und Erlösplanung sollte das R/3-Modul CO-PA zum Einsatz kommen. Die Planung erfolgte auf unterschiedlichen Verdichtungsebenen in der Kunden- sowie der Produkthierarchie. Dabei waren in mehreren Schritten jeweils verschieden stark aggregierte Daten zu bearbeiten. Nach Abschluß der diversen Planungsrunden übernahm es die R/3-Funktion "Top-down-Verteilung", die verdichteten Daten auf einzelne Kunden und Artikel herunterzuberechnen. Als Verteilungsschlüssel dienten die Ist-Absätze des ersten Halbjahres 1998.

Die Erlöse wurden auf Basis der Netto-Netto-Preise geplant. Die Controller verzichteten auf eine detaillierte Abbildung der etwa zehn Erlöskategorien im Hochland-Vertrieb - von den 50 Konditionsarten ganz zu schweigen.

Bei einigen Kundenkomplexen bewegte sich die Erlösplanung auf einer anderen Verdichtungsebene als die Absatzplanung. Absatz- und Erlösplanung trafen sich mit Hilfe der Top-down-Verteilung auf der jeweils kleinsten Einheit der Ergebnisrechnung: Kunde, Artikel und Monat.

Der Tatsache, daß der Käseabsatz saisonalen Schwankungen unterliegt, trugen die Controller in dieser Phase keine Rechnung. Die geplante Jahresabsatzmenge wurde vielmehr - entsprechend den Hochland-Einstellungen in den Planungs-Layouts von SAP -gleichmäßig auf alle zwölf Monate des kommenden Jahres verteilt.

Wie bei den meisten Industrieunternehmen ist auch bei Hochland der wesentliche Kostenblock das Zukaufmaterial. Dabei unterscheidet der Käseproduzent zum einen die eßbare Rohware - beispielsweise Rohkäse, diverse Milchpulver oder Rahm - und zum anderen das Verpackungsmaterial. Bei den Eckmaterialien im Bereich Rohware planten die Controller die Zukaufpreise für das kommende Jahr und erfaßten sie im Materialstamm der betreffenden Artikel.

Prozeßkostenrechnung auf externem Umweg

Zur Planung der Materialeinsatz-Kosten wurden die Stücklisten ausgewertet, die für jeden Verkaufsartikel angeben, welche und wieviel Rohwaren beziehungsweise Verpackungsmaterialien jeweils zur Produktion einer definierten Menge notwendig sind. Zusammen mit den geplanten Preisen der Eckmaterialien und den aktuellen Ausgaben für andere Zukaufprodukte führen diese Informationen in R/3 automatisch zu den Plankosten des Materialeinsatzes je Tonne Fertigartikel. In Kooperation mit dem Absatzplan ließen sich die Gesamtkosten des Materialeinsatzes praktisch ohne manuellen Eingriff ermitteln.

Größere technische Probleme bereitete die Planung der Fertigungsleistungen mit PP-SOP (Sales and Operations Planning), dem R/3-eigenen Bindeglied zwischen der Absatz- und der Produktionsplanung. An dieses Modul wurde das Ergebnis der Absatzplanung, also die Information über Absatzmengen je Fertigartikel und Jahr, übergeben. Über die Stücklisten wurden hier zunächst die einzelnen Vorprodukte, sprich: Rezepturen, unterschieden. Für jedes Vorprodukt sowie für die Enderzeugnisse sind Arbeitspläne definiert. Sie geben an, welcher Arbeitsplatz wie lange mit der Herstellung einer definierten Produktmenge beschäftigt ist. Absatzplan und Arbeitsplan münden in die Leistungsplanung, die festlegt, wie lange jeder Arbeitsplatz im kommenden Jahr damit beschäftigt sein wird, die geplanten Absatzmengen zu produzieren. Die von SOP ermittelten Ergebnisse werden nach Kostenstellen verdichtet und an das Modul CO-OM(Gemeinkostenrechnung) weitergereicht.

Kosten- und Leistungsplanung nutzen im Fertigungsbereich die Ergebnisse der vorgelagerten Planungsschritte. Erstmals haben bei Hochland Mitarbeiter der Produktion die Kosten analytisch geplant, wobei ihnen die Leistungsdaten aus SOP als Grundlage dienten. Die Angaben der Kostenstellen sowie die Informationen über den jeweiligen Leistungsbedarf flossen in der Tarifermittlung zusammen- zu Aussagen wie: "Eine Stunde Produktion auf dieser Kostenstelle wird uns im nächsten Jahr x Mark kosten."

Für Verwaltung und Vertrieb wurde neben den Kosten auch ein Leistungsgeflecht zwischen unterschiedlichen Kostenstellen geplant. Damit ließen sich beispielsweise die Kosten der Abteilung Informationssysteme teilweise auf die Fachabteilungen umlegen.

Die Ausgaben, Umlagen und Leistungen der Kostenstellen zu ermitteln ist eine notwendige Voraussetzung für die Berechnung der Fertigungskosten je Artikel. Außerdem müssen auch die Arbeitspläne herangezogen werden. Die geplanten Fertigungskosten pro Artikel setzen sich aus zwei Faktoren zusammen: aus dem im Arbeitsplan berechneten Bedarf an Produktionszeit je Kostenstelle und Artikel sowie aus den in der Kosten- und Leistungsplanung genannten Kostenstellentarifen. Zusammen mit den Kosten des Materialeinsatzes lassen sich so die Herstellkosten planen.

Allerdings konnten die Controller nicht alle Unternehmenskosten auf die Fertigung und damit auf einzelne Artikel verrechnen. Die Restkosten wurden direkt in die Ergebnisrechnung überführt, was zu ersten Ansätzen einer Prozeßkostenrechnung führte. In der bei Hochland benutzten R/3-Version 3.0f ist die Verrechnung nach den Kriterien der Prozeßkostenrechnung jedoch nicht abgebildet. Deshalb mußten Verrechnungsschlüssel in einem externen System ermittelt und dann in SAP erfaßt werden.

Der letzte Schritt bei der Erstellung des Business-Plans war die Zusammenfassung aller vorher ermittelten Daten in der Marktsegment- und Ergebnisrechnung. Dieser Prozeß benötigte extrem lange Rechenzeiten. Außerdem kam es beim abschließenden Bewertungslauf zum Programmabsturz. An diesen Schwierigkeiten drohte das Projekt kurz vor Abschluß zu scheitern. Glücklicherweise hatte die SAP-Hotline aber noch am gleichen Tag einen Lösungsvorschlag zu bieten. Die Befürchtung, daß der Software-Anbieter - wie an anderer Stelle erlebt - erst nach Tagen eine hinreichende Korrektur liefern würde, bewahrheitete sich also nicht. Deshalb konnte das Projekt doch zu einem erfolgreichen Ende geführt werden.

Die hier beschriebene Planung eignet sich für die Fortschreibung von Strukturen, die im Ist-Zustand bereits mit Daten versorgt wurden. Eine Planung nach dem Motto: "Wir wissen noch nicht genau wieviel und für wen, aber planen Sie schon einmal!" läßt sich besser mit "MS-Excel" bewerkstelligen.

Leider wird die Arbeit mit R/3 durch einige technische Mängel erschwert. So ist nach der Top-down-Verteilung der Absatzdaten wegen der Vielfalt der entstandenen Daten praktisch keine manuelle Korrektur mehr möglich. Die Funktionen zur Massendatenänderung reichen nicht aus.

Die Planung erfolgte auf hohen Verdichtungsebenen; in allen Bereichen wurden Jahrespläne erstellt. Ziel war es, nach Abschluß der Planung Aussagen über die Entwicklung von Absatz, Erlös, Kosten und Gewinn zu treffen. Diese Anforderung hat das Projekt voll erfüllt. Für die Produktions- und die Materialeinsatzplanung im operativen Bereich sind diese Ergebnisse jedoch zu grob und zu ungenau.

Integrieren läßt sich nur, was bereits verknüpft ist

Den Anforderungen einer Produktionsfeinplanung genügt die R/3-Funktionalität nach den bisherigen Erfahrungen nicht. (Das bestätigt der Edelstahlproduzent EWK, über den wir in CW 46/98,Seite 55, berichtet haben, Anm. d. Red.) Deshalb werden bei Hochland derzeit andere DV-Systeme - möglicherweise mit Schnittstellen zu SAP - untersucht.

SAP hat mit seiner integrierten Planung keinesfalls betriebswirtschaftliches Neuland betreten, sondern realisiert, was in den Fachbüchern nachzulesen ist. In der Laborumgebung von Großkonzernen hat der Software-Anbieter nachgewiesen, daß R/3 die integrierte Geschäftsplanung im Prinzip abbilden kann. Hochland hat den Nachweis erbracht, daß dies auch in Unternehmen mittlerer Größe funktioniert.

Für den Erfolg dieses Projekts waren vier Faktoren verantwortlich: die Unterstützung durch die Geschäftsleitung, die Disziplin der Planungsverantwortlichen, ein kompetenter externer Berater und die bereits praktizierte Verknüpfung der Bereiche Controlling und Produktion. Eine Integration, die nicht vorhanden ist, läßt sich auch mit R/3 nicht über das Unternehmen stülpen.

Das Unternehmen

Hochland Reich, Summer & Co. ist mit einem Ausstoß von 180000 Tonnen Jahresproduktion und einem Umsatz von 1,3 Milliarden Mark im Jahr einer der größten europäischen Hersteller und Vermarkter von Käseprodukten. Das Unternehmen produziert an zwei Standorten in Deutschland sowie in jeweils einem Werk in Frankreich, Spanien, Polen und - in Kürze - Rumänien. Von Schmelz- und Frischkäse über Hart- und Schnittkäse bis zu Brie und Feta hat Hochland ein Vollsortiment von Käsewaren im Angebot. Die Firmenzentrale in Heimenkirch/Allgäu vereinigt die größte Produktionsstätte, den zentralen Vertrieb und die Geschäftsleitung unter ihrem Dach. Von Heimenkirch aus tätigt Hochland etwa drei Viertel des Konzernumsatzes.

Das System

Mit Produktivstart am 1. Januar 1998 hat Hochland wesentliche Teile der Informationssysteme im Big-Bang-Verfahren auf R/3 umgestellt. Im Einsatz sind die Module FI (Finanzbuchhaltung), CO(Controlling), MM (Materialwirtschaft), PP (Produktionsplanung) und SD (Vertrieb). Das Controlling nutzt die Teilmodule CO-OM(Gemeinkostenrechnung), CO-PC (Produktkostenplanung) und CO-PA (Marktsegment- und Ergebnisrechnung). Dieser Unternehmensbereich profitiert - womöglich mehr als andere Abteilungen - von der vollständigen Datenintegration der Software. Indem CO auf die Originaldaten von PP und SD zugreift, lassen sich Aufgaben, die früher im Controlling wahrgenommen wurden, an die Fachabteilungen delegieren. Das gilt beispielsweise für die Pflege von Arbeitsplänen und Stücklisten oder die Erfassung von Verkaufskonditionen.

Uwe Brück ist Leiter Controlling bei Hochland Reich, Sommer & Co., in Heimenkirch/Allgäu.