Klassische kumulative Analyse (KKA) gewinnt durch DV:

KAA setzt Produktionsdaten ins rechte Licht

25.11.1983

Aktuelle Produktionsdaten sind für das reibungslose Funktionieren einer Fertigung und damit eines gesamten fertigungstechnischen Betriebes die unabdingbare Voraussetzung. In gleichem Maße wie in den letzten Jahren die EDV-mäßige Erfassung von Produktionsdaten (BDE) und deren Auswertung unter Gesichtspunkten der Produktionsplanung und -steuerung (PPS) an Bedeutung gewonnen hat, entstand immer häufiger die Frage, auf welche Weise die erfaßten Daten auch im Hinblick auf Management-Informationssysteme (MIE) ausgewertet werden können.

Bevor hierzu ein lange bekanntes, aber manuell praktisch nicht handhabbares Hilfsmittel - die klassische kumulative Abweichungsanalyse (KAA) - respektive Details und Probleme deren EDV-technischer Realisierung diskutiert werden, soll an dieser Stelle an einige triviale, im Bereich Produktionsdaten jedoch besonders wichtige Merkmale brauchbarer MIS erinnert werden.

Die Management-Informationssysteme stehen und fallen mit der Qualität und Detailliertheit der sie speisenden Grunddaten. Dezentrale, nicht in ein Gesamtsystem integrierte (und damit für MIS im allgemeinen unerreichbare Daten produzierende) Insellösungen auf der operativen Ebene können daher die Effizienz von MIS erheblich stören, wenn nicht ihre Realisierung gänzlich vereiteln.

Gerade die Produktionsbereiche zeigen sich aber hinsichtlich der vermeintlichen Vorteile dezentraler Lösungen gegenüber stark anfällig (man hört nicht selten die Meinung "Wir schaffen einen eigenen dezentralen Computer an, die zentrale EDV kann unsere Probleme sowieso nicht lösen", oder aber die sogar auf PPS-Kongressen (Böblingen 83) vorgetragene Meinung "Es braucht ja nicht sogleich der ganze Betrieb zu wissen, daß eine einzelne Maschine stillsteht").

Die Integration irgendwelcher Daten in ein MIS geschieht häufig in zwei grundlegenden Schritten:

- Umformen und Gewichten der Grunddaten (Vorgangsdaten) auf einheitlicher Bemessungsgrundlage (meist in Mark).

- Verdichten der auf einheitliche Bemessungsgrundlage umgeformten Daten entsprechend den Hierarchieebenen des jeweiligen Unternehmens.

Während der zweite Schritt bei Daten aus verschiedensten Bereichen im wesentlich derselbe ist, ist dies beim ersten Schritt praktisch nie der Fall. Insbesondere unterscheidet sich der Bereich Produktionsdaten hier im allgemeinen grundlegend von anderen Bereichen.

Komplexität ruft Probleme hervor

So ist beispielsweise die Umformung und Gewichtung von Daten einer Kundenauftragsabwicklung - nämlich die Fakturierung - von der Systematik her gesehen vergleichsweise unproblematisch, während die für Produktionsdaten geläufigste Umformung und Gewichtung - nämlich die Kalkulation - aufgrund der Komplexität vorkommender Produktions-Prozesse und der daraus resultierenden Vielschichtigkeit der zu verarbeitenden Datenstrukturen (Stücklisten, Fertigungsvorschriften) doch erhebliche Probleme aufwerfen kann.

Unter KAA versteht man nun ein Verfahren, mit welchem Differenzen zwischen Vorkalkulation und Nachkalkulation von Fertigungsaufträgen durch sukzessives Überschreiben von Vorgabewerten mit Istwerten (daß heißt Produktionsdaten, soweit vorhanden) und Durchführen entsprechender Abweichungskalkulationen in detallierte Einzelabweichungen aufgelöst werden.

Wenn also ein Kalkulationsschema "m" eingangsgrößen (Variablen) berücksichtigt und hieraus "n" Werte liefert (Kalkulationszeilen wie Materialkosten, Fertigungskosten oder Kosten durch Produktionsverluste, so läuft die KAA auf die Erstellung und Auswertung einer geeigneten "m mal n" Matrix hinaus (vergleiche Skizze).

Offensichtlich hängt die Anwendbarkeit von KAA einzig vom Vorhandensein eines Kalkulationsschemas ab. Dabei hängt die Genauigkeit der Abweichungsanalyse beziehungsweise die Güte der daraus für ein MIS extrahierbaren Informationen direkt von der Differenziertheit des zugrundeliegenden Kalkulationsschemas ab, das heißt von der Größe der Zahlen "m" und "n", aber natürlich auch davon, wieviele der "m" Vorgabewerte tatsächlich durch Istwerte (Produktionsdaten) ersetzbar sind.

Hierbei kommt der Genauigkeit der Istwertermittlung zunächst wesentlich weniger Bedeutung zu als gemeinhin angenommen wird. Es ist im Gegenteil sogar so, daß die konsequente Anwendung einer KAA als Kontroll- und Steuerungsinstrument im allgemeinen zu einer sukzessiven, qualitativen Verbesserung nicht nur von Istwerten, sondern sämtlicher am Produktionsgeschehen beteiligter Daten führt.

An einem konkreten Fall konnte schon nach teilweiser Einführung einer KAA eine Verbesserung der Stammdaten (Stücklisten, Fertigungsvorschriften), gemessen an der Anzahl der mittels vorhandenem Kalkulationsschema kalkulierbaren Teilenummern, von 70 Prozent auf 95 Prozent erreicht werden. Die Qualität der eigentlichen Fertigungsauftragsdaten, gemessen an der Anzahl der an den EDV-Funktionen vorbei abgewickelten Fertigungsaufträge, stieg von 80 Prozent auf absolute 100 Prozent.

Analysemethode vielfältig einsetzbar

Wie mächtig das "Werkzeug" KAA auch im Hinblick auf die Vielfalt der mit ihm aus den Produktionsdaten extrahierbaren Informationen ist, zeigen einige Beispiele.

Ist etwa innerhalb eines Kalkulationsschemas eine Abhängigkeit von Fertigungslosgrößen verankert (hohe Rüstzeiten, losgrößenabhängige Ausschußquoten), so liefert die KAA verschiedenartigste Losgrößenabweichungen:

- Standard (kalkulatorische) Losgröße/tatsächlich disponierte Losgröße - für die Globalsteuerung von Vertrieb und Disposition enorm wichtige Zahlen

- disponierte Losgröße/tatsächlich produzierte Losgröße - bei stark zu Auftragssplittung neigenden Produktionsbetrieben ebenfalls hervorragende Dienste leistende Zahlen.

Sind in einer Produktion Rezepturfertigungen vorhanden, so lassen sich Rezeptabweichungen (Versendung preiswerter Ersatzrohstoffe oder recyclingfähiger Abfälle) mittels der Abweichungsanalyse problemlos darstellen - Zahlen, die für Qualitätskontrolle und Rohstoffinnovation wesentliche Bedeutung haben können.

Die komplexesten darstellbaren Abweichungen sind wohl auf die kompletten Herstellungsverfahren als Variable des Kalkulationsschemas beruhenden Verfahrensabweichungen wie

- kalkulatorisches Herstellungsverfahren/tatsächlich der Produktion vorgegebenes Herstellungsverfahren - zur Beurteilung der "Lernkurve" von Konstruktion und Entwicklung unentbehrliche Zahlen

- der Produktion vorgegebenes Herstellungsverfahren/tatsächlich ausgeführtes Herstellungsverfahren - Zahlen, welche letztlich die Güte von Konstruktions- und Entwicklungsvorgaben beurteilen helfen.

Die Darstellung der klassischen Abweichungsarten wie Rohstoffpreisabweichungen, Materialverbrauchsabweichungen bereitet mittels der Analyse keinerlei Probleme.

Die Liste der darstellbaren Produktionsdetails läßt sich beliebig fortsetzen. Auch ist noch zu beachten, daß KAA nicht nur summarische Abweichungen je Variable liefert, sondern diese Abweichungen auch noch aufschlüsselt in Einzelwerte laut Kalkulationsschema. Wesentlich ist, daß die KAA eine formal einheitliche (und damit stets vergleichbare und leicht nachvollziehbare Ergebnisse liefernde) Methode zur Auswertung und Aufbereitung prinzipiell aller Produktionsdaten im Hinblick auf MIS darstellt.

Zugleich ist diese formale Einheitlichkeit auch der auffallendste Unterschied zu sonstigen Möglichkeiten (Durchlaufzeitanalysen, Nutzgradanalysen, Produktionsgeschwindigkeitsauswertungen) .

Hinsichtlich EDV-technischer Realisierung einer KAA ist ohne jede Erläuterung klar, daß der zu treibende Aufwand wenigstens proportional mit den Zahlen "m" und "n" wächst. Dabei liegen die größten Probleme einerseits in der Strukturierung und Organisation der für eine Analyse benötigten Daten und andererseits in der Durchsetzung der mit Installation einer KAA notwendigen Änderungen von Org.-Abläufen in den Bereichen Stammdatenpflege, Fertigungsauftragsverwaltung und Produktionsdatenerfassung.

Zur Datenorganisation: Probleme entstehen hier dadurch, daß programmtechnisch zwar eine jeweils komplette Speicherung der oben genannten Abweichungsmatrix für jeden Fertigungsauftrag (bei mehrstufigen Fertigungen sogar je Fertigungsstufe und darin enthaltener Stücklistenkomponente) am einfachsten zu handhaben wäre, daß aber diese Speicherungsform im allgemeinen (so bereits bei Produktionen mittlerer Komplexität) vom Speicherplatzverbrauch her gesehen nicht tragbar ist.

Glücklicherweise enthalten aber Abweichungsmatrizen fast immer einen relativ großen Anteil redundanter Informationen. Werden beispielsweise innerhalb eines Kalkulationsschemas die Fertigungskosten einzelner Arbeitsgänge getrennt berechnet und ausgewiesen, so ändern sich die Fertigungskosten zu Arbeitsgang "i" im allgemeinen nicht, wenn beim Arbeitsgang "i + l" die Vorgabewerte für die Produktionsgeschwindigkeit mit dem zugehörigen Istwert überschrieben werden.

Eine derartige Speicherplatzoptimierung hat aber natürlich eine entsprechende Zunahme der Programm-Komplexität zur Folge. Überdies ist die Zerlegung einer vorgegebenen Abweichungsmatrix in redundante und nicht redundante Teile ein recht mühsames Geschäft - obwohl hierfür natürlich formalisierte Verfahren vorliegen.

Zur organisatorischen Einführung: Probleme entstehen hier generell dadurch, daß zur Versorgung eines KAA mit geeigneten Grunddaten auf den operativen Ebenen vielfach ein Mehraufwand anfällt oder scheinbar störende Ablaufhindernissse entstehen, ohne daß in diesen Ebenen irgendwelcher sichtbarer Nutzen anfällt. Sollen mit dieser Methode beispielsweise Verfahrensabweichungen erkannt werden, so können eben neu erstellte Fertigungsvorschriften und Stücklisten nicht zur Fertigung freigegeben werden, wenn die eingegebenen Daten zur Anwendung des Kalkulationsschemas noch nicht vollständig genug sind - selbst wenn sie als Produktionsvorgabe bereits ausreichend detailliert sind.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die EDV-technische Realisierung einer KAA zwar mit erheblichem Aufwand verbunden ist, daß aber die damit erzielbaren Ergebnisse diesen Aufwand in vielen Fällen rechtfertigen.

* Dr. Werner Schäfer; Diplom-Mathematiker, ist bei der Heyde & Partner GmbH Unternehmensberatung BDU, Bad Nauheim, Projektleiter für die Realisierung von integrierten Dialogsystemen in Fertigungsunternehmen.