Juristischer Komplex muss auch abgearbeitet werden Rechte auf elektronischen Marktplaetzen in Frage gestellt

24.06.1994

Von Michael Schneider *

Auch Stolpersteine sind auf einem elektronischen Marktplatz virtuell, gleichwohl koennen sie bei Nichtbeachtung ganz real ins Geld gehen oder sogar eine gute Geschaeftsidee hinfaellig werden lassen. Was in den USA vorgemacht wird, ist hierzulande aufgrund anderer Rechte und Gesetze nicht so ohne weiteres zu kopieren.

Die Telekommunikationsbranche erlebt zur Zeit einen Boom, der in vielen Punkten an die Umbruchsituation auf dem Computermarkt der 70er und 80er Jahre erinnert. An der Schnittstelle beider Bereiche kristallisiert sich nun eine weitere umwaelzende Entwicklung heraus: Der persoenliche Computer und der individuelle Anschluss an weltweite Kommunikationsnetze wird uns die Teilnahme an einer bisher nicht gekannten "virtuellen Realitaet" ermoeglichen. Dies ist nicht mehr blosse Theorie, sondern in Teilgebieten - etwa im weltweiten Internet mit seinen mehr als 25 Millionen Benutzern - schon fast Alltag. In immer kuerzeren Abstaenden entstehen dort neue Dienste, Produkte und Vertriebsformen - alle abgestellt auf die Wuensche und Beduerfnisse des virtuellen Markts.

Werbung und Wettbewerbsrecht

Mit derselben Frequenz werden juristische Probleme aufgeworfen und bestehende rechtliche Strukturen in Frage gestellt. Dies laesst sich gerade am Beispiel der Softwarebranche gut verdeutlichen. Sie hat die Moeglichkeiten der elektronischen Vermarktung ihrer Produkte fruehzeitig erkannt und zunehmend genutzt. Ihre innovativsten Vertreter werben bereits elektronisch, sie bieten online abrufbare Kataloge an, ermoeglichen die netzgestuetzte Bestellung nebst Bezahlung und stellen ihre Programme auf eigenen File-Servern oder elektronischen Marktplaetzen zum Abruf bereit. Aber auch nachdem die Software den virtuellen Tisch des Anwenders erreicht hat, wird er weiterhin elektronisch betreut: Er erhaelt Updates, Upgrades, Patches, Produktinformationen und jede Art des Kundendienstes "online". Die damit verbundenen technischen und unternehmerischen Probleme koennen moeglicherweise schon als bewaeltigt gelten, die juristischen sind davon jedoch weit entfernt.

Die Schwierigkeiten beginnen bereits im Umfeld der eigentlichen Softwaredistribution. Viele Unternehmen, die Programme ueber Netze vertreiben, nutzen das Medium auch, um Kunden auf ihre Produkte aufmerksam zu machen und sie bei der Auswahl zu unterstuetzen. Die Beispiele hierfuer sind vielfaeltig: Sie reichen von der "Wurfsendung", die via Electronic Mail verteilt oder in Bulletin Boards eingespielt wird, ueber Produkt-Infoserver bis hin zum elektronischen Hypertextkatalog.

Was die "elektronischen Wurfsendungen" angeht, lassen sich aus der Rechtsprechung deutliche Hinweise entnehmen. Bereits 1988 entschied der Bundesgerichtshof die Frage, ob unerwuenschte Werbewurfsendungen den Eigentuemer beziehungsweise Besitzer eines Hauses oder einer Wohnung in dessen Rechten verletzen koennten, zugunsten des klagenden Briefkasteninhabers. In einem weiteren Fall nahm der BGH Stellung zu Werbemassnahmen im Mitteilungsdienst des Bildschirmtextsystems (heute: Datex-J). Dabei hat er strenge Anforderungen definiert: Es muesse moeglich sein, werbliche Mitteilungen problemlos als solche zu identifizieren und ohne vorherigen Abruf zu loeschen. Die Versendung "elektronischer Werbewurfsendungen" duerfte demnach auch in den Computernetzen so lange unzulaessig sein, wie sie der Empfaenger nicht kostenfrei empfangen, eindeutig identifizieren und ungelesen loeschen oder automatisch aussortieren lassen kann. Da sich derartige Anforderungen heute kaum erfuellen lassen, hat ein Softwaredistributor faktisch nur die Moeglichkeit, Werbung auf Anfrage zu verschicken.

Aber auch andere Formen der Verbreitung von Produktinformationen - sei es zu Werbezwecken oder zusammen mit dem eigentlichen Produkt - sind rechtlich nicht unproblematisch. Sie alle unterliegen den Regeln des Wettbewerbsrechts, und das hat vielfaeltige Konsequenzen. In jedem Dokument sind die umfaenglichen, teilweise durch Richterrecht entwickelten Anforderungen an kommerzielle Werbung zu beachten. Dies wird haeufig uebersehen, da sich die Werbenden der Tragweite ihres Tuns nicht bewusst sind und die Erstellung elektronischer Materialien als vordergruendig technische Aufgabe noch weitgehend den Datenverarbeitungs-Fachleuten ueberlassen. Speziell die im Internet auf der Basis der World-Wide- Web-Technologie implementierten Kataloge und Werbe- beziehungsweise Bestellseiten bieten eine geradezu unerschoepfliche Quelle fuer Verbraucherverbaende und Abmahnvereine.

Dieses Problem wird durch den Umstand der weltweiten Verfuegbarkeit der Netze nochmals erheblich verschaerft. Online-Distributoren unterliegen nach den Regeln des internationalen Privatrechts dem Recht der Maerkte, auf die sie einwirken. Zwar kann in den einzelnen Laendern die Verbreitung wettbewerbsrechtlich relevanter Informationen nur dort untersagt werden, dennoch fuehrt dies letztlich dazu, dass ihre Verbreitung insgesamt unterbunden wird.

Noch brisanter wird der wettbewerbsrechtliche Problemkomplex durch eine in der Rechtsprechung vollzogene fast uferlose Ausweitung hinsichtlich der Anspruchsgegner und Gerichtsstaende. Uebertraegt man die Urteilspraxis des BGH zu Print-Medien konsequent auf die Welt der Netze, kann jeder, der an der Verbreitung wettbewerbswidriger Informationen beteiligt ist, deswegen zur Verantwortung gezogen werden.

Der Online-Distributor als "TK-Dienstleister"

Dies betrifft nicht nur den Softwaredistributor, sondern auch die Betreiber elektronischer Marktplaetze und im Extremfall - soweit es um reine Abwehransprueche (Unterlassungs- und Beseitigungsansprueche) geht - sogar den Carrier, ueber dessen Netz die Informationen uebertragen werden. Bezueglich des Orts, an dem ein Wettbewerbsverstoss geltend gemacht werden kann, existiert eine nicht minder extensive Rechtsprechung. So kam das Landesgericht Hamburg 1988 zu dem Ergebnis, dass wettbewerbsrechtliche Ansprueche im Zusammenhang mit einem Mailbox-System am Sitz eines jeden potentiellen Benutzers geltend gemacht werden koennen. Das bedeutet: Ein Online-Distributor muesste damit rechnen, ueberall dort verklagt zu werden, wo auf das von ihm verwendete Netz zugegriffen werden kann.

Ein weiterer Stolperstein fuer Online-Distributoren und Betreiber von elektronischen Marktplaetzen ist die komplexe fernmelderechtliche Situation. Die Regelungen des Fernmeldeanlagengesetzes (FAG) werden sehr weit ausgelegt und finden bereits dann Anwendung, wenn - so die Interpretation des Bundesministerium fuer Post und Telekommunikation (BMPT) - "die Uebermittlung von Informationen ueber Uebertragungswege, Waehl- und Festverbindungen Inhalt geschaeftlicher Beziehungen mit anderen ist". Anders gesagt: Sofern der Softwaredistributor seine Produkte nicht nur zum Abruf ueber ein Weitverkehrsnetz bereithaelt, sondern seinen Kunden darueber hinaus das Angebot macht, ihnen das ganze online zu uebermitteln, hat er die Regelungen des FAG zu beachten. Relevant ist dabei insbesondere Paragraf 1a, Abs. 1 FAG.

Diese Vorschrift verpflichtet dazu, die Aufnahme, Aenderung und Aufgabe des Betriebs innerhalb eines Monats anzuzeigen. Die Nichteinhaltung der Anzeigepflicht wird als Ordnungswidrigkeit geahndet und kann mit einer Geldbusse von bis zu zehntausend Mark belegt werden.

Eine aehnliche Situation findet sich in dem mit der Poststrukturreform novellierten Abhvr(G10)-Gesetz. In Paragraf 1, Abs. 2, Satz 2 des Gesetzes heisst es: "Die Deutsche Bundespost und jeder andere Betreiber von Fernmeldeanlagen, die fuer den oeffentlichen Verkehr bestimmt sind, haben der berechtigten Stelle auf Anordnung Auskunft ueber den nach Wirksamwerden der Anordnung durchgefuehrten Fernmeldeverkehr zu erteilen, Sendungen, die ihnen zur Uebermittlung auf dem Fernmeldeweg anvertraut sind, auszuhandeln sowie die Ueberwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs zu ermoeglichen." Die darin verwendeten Begriffe "Fernmeldeanlagen", "Betreiber von Fernmeldeanlagen" und "oeffentlicher Verkehr" werden im Gesetz selbst nicht definiert. Greift man hier auf die Begriffsbestimmungen aus dem FAG zurueck, werden auch Dienste von Online-Distributoren durch das G10-Gesetz erfasst. Hiergegen wird in der juristischen Fachliteratur angefuehrt, dass Gegenstand des Grundrechts aus Art. 10 GG und somit auch des einschraenkenden Gesetzes der fliessende Fernmeldeverkehr sei, der aber bereits bei den zugrundeliegenden Basisdiensten (Telefonnetz, Datex-P, ISDN etc.) ansetzenden Ueberwachungsmassnahmen unterliege. Eine weitergehende Kontrolle sei daher auch durch das G10-Gesetz nicht geboten. Diese Ansicht hat vieles fuer sich, letzte Klarheit wird jedoch - wie so oft - erst die Rechtsprechung bringen.

Eindeutiger laesst sich hingegen die Frage nach den fuer Online- Distributoren geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen beantworten. Betreiber elektronischer Marktplaetze sind ueber Paragraf 10 FAG zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet; fuer Softwarehersteller, die lediglich eigene Informationen und Programme zum Abruf bereithalten, gilt dies nicht. Ergaenzend findet die aufgrund des Paragrafen 14a, Abs. 2 FAG erlassene Teledienstunternehmen- Datenschutzverordnung (UDSV) Anwendung, allerdings auch nur dann, wenn der Online-Distributor aktiv am Fernmeldeverkehr teilnimmt.

Datenschutz wird zur Standortfrage

Da die UDSV das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) teilweise verdraengt, ist die Datenschutzsituation im Bereich der Online- Softwaredistribution zweigeteilt, je nachdem, ob lediglich Informationen zum Abruf bereitgehalten oder weitergehende Dienste erbracht werden. Dies wird auf der Seite der Anwender wie der Online-Distributoren zwangslaeufig zu erheblichen Unsicherheiten fuehren, zumal UDSV wie BDSG - im Unterschied zu den verwendeten Netzen - auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschraenkt sind. Datenschutz wird damit in der virtuellen Welt zur Standortfrage.

Wendet man sich dem "Alltag" der Softwaredistribution ueber Weitverkehrsnetze zu, findet man auch hier eine Vielzahl von Problemen. So ist - fuer den Fall, dass die Bestellung einer Software online erfolgt - schon fraglich, wie ein Vertrag zwischen den Parteien zustande kommt und welchen Inhalt er hat.

Vertraege ueber die Entwicklung von Individualsoftware wurden in den letzten Jahren nach sich festigender Rechtsprechung als Werkvertraege, Vereinbarungen ueber den Erwerb von Standardsoftware als Kaufvertraege eingestuft. Diese Rechtsprechung laesst sich auf die Online-Distribution nur bedingt uebertragen, da es hier an einem wesentlichen Anknuepfungspunkt, naemlich der Uebereignung einer koerperlichen Sache, fehlt. Hinzu kommt, dass die Definition der "Standardsoftware" im Bereich der Online-Distribution zunehmend unscharf wird. Die hier zur Verfuegung stehenden technischen Moeglichkeiten lassen es ohne weiteres zu, dem jeweiligen Anwender eine auf seine konkreten Beduerfnisse zugeschnittene Version der Software anzubieten. Schliesslich sind aktive Formen der Online- Distribution denkbar, bei denen der Distributor eine Software nicht nur online ausliefert, sondern sie auch remote auf den Rechner seines Kunden installiert und spaeter wartet. Vor diesem Hintergrund muss man wie folgt differenzieren:

-Wird ein Standardpaket, das auch auf konventionellem Wege vertrieben wird, bei im uebrigen unveraenderten Rahmenbedingungen lediglich online ausgeliefert, ist Kaufrecht entsprechend anzuwenden.

-Wird eine "individualisierte", das heisst auf die Anforderungen des konkreten Anwenders zugeschnittene Variante einer Standardsoftware ausgeliefert, gilt Werkvertragsrecht.

- Bei den oben beschriebenen aktiven Formen der Online- Distribution liegt ein gemischter Vertrag vor. Auf die Erstinstallation der Software findet Werkvertragsrecht, auf die weitere Wartung und Pflege Dienstvertragsrecht Anwendung.

Im Umfeld des Vertragsschlusses selbst ergeben sich weitere Probleme. Um dies zu verstehen, muss man sich einige vertragsrechtliche Grundsaetze vor Augen fuehren. Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande, wobei das Angebot konkret und von einem gewissen Bindungswillen getragen sein muss. Kataloge, Preislisten und Prospekte werden daher nicht als Angebote, sondern nur als Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots angesehen. Bedient sich also ein Softwarehaus solcher Mittel der Produktpraesentation - sei es in gedruckter oder elektronischer Form -, kommt der Vertrag durch die Bestellung des Kunden und die sich anschliessende Annahme des Softwarehauses zustande. Diese Einordnung wird indessen der Situation, wie sie sich bei einer Kombination von Online-Bestellung und -Distribution darstellt, nicht gerecht.

Liferant ohne Kontrolle ueber Vertragsabschluesse

Zwar wird auch hier eine Bestellung abgegeben, jedoch schliesst sich unter Umstaenden ein voellig automatisiertes Verfahren an. Die Mitarbeiter des Softwarehauses nehmen den Vorgang nicht oder erst dann wahr, wenn das bestellte Produkt bereits ausgeliefert ist, so dass man von einer "Annahme" nicht sprechen kann. Im Ergebnis muss man also schon in der Bereitstellung zur Abholung ein Angebot sehen, das der Kunde dann durch seine Bestellung annimmt. Dies hat weitreichende Konsequenzen, denn der Lieferant ist an sein Angebot gebunden und verliert jede Moeglichkeit, auf die Vertragsabschluesse einzuwirken.

Ein weiterer Problemkreis ist in der Einbindung allgemeiner Geschaeftsbedingungen zu sehen. Da der Anwender, der seine Software "online" erwirbt, keine Prospekte oder Kataloge im klassischen Sinne in Haenden haelt, muss er sich auf die Angaben verlassen, die ihm der Distributor waehrend des Bestelldialogs zukommen laesst. Fuer die Einbeziehung von allgemeinen Geschaeftsbedingungen ist es daher erforderlich, dass der Kunde bei Vertragsabschluss weiss, dass die AGB zugrunde gelegt werden und welchen Inhalt sie haben. Wie sich diese Voraussetzung erfuellen laesst, haengt wesentlich von der konkreten technischen Ausgestaltung des Bestellvorgangs ab. Stellt man sich als Beispiel einen elektronischen Marktplatz oder einen File-Server vor, muss der Text der AGB so eingebunden werden, dass er dem Kunden vor Abschluss des Bestellvorgangs zwangslaeufig angeboten wird.

Neben den bereits angesprochenen ergibt sich eine Vielzahl weiterer juristischer oder rechtspolitischer Fragen:

- Die Abwicklung eines Softwarekaufs ueber elektronische Netze zieht erhebliche Beweisprobleme nach sich. Wenn eine der Vertragsparteien einen fuer die Gegenseite anspruchsbegruendenden Punkt bestreitet - insbesondere, die online vertriebene Software ueberhaupt erhalten zu haben -, ist es in vielen Faellen nicht mehr moeglich, den Anspruch durchzusetzen. Abhilfe kann hier beispielsweise durch spezielle Authentifizierungs-Mechanismen oder die getrennte Versendung von Software und "Schluesseln" zur ihrer nachtraeglichen Aktivierung geschaffen werden.

- Die "elektronische Bezahlung" online bestellter Produkte ist der naechste Schritt in der Weiterentwicklung elektronischer Maerkte. Hier ergeben sich erhebliche Missbrauchsmoeglichkeiten, die allein durch juristische Mittel - insbesondere die des Strafrechts - nicht zu bewaeltigen sind.

- Die Online-Distribution ist unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten nicht anders zu beurteilen als klassische Vertriebsformen. Dennoch ist das System des heutigen Urheberrechts in einer Welt der elektronischen Marktplaetze grundsaetzlich in Frage gestellt. Dieses Problem wird auch durch die im Juni des vergangenen Jahres in Kraft getretene Novelle des Urheberrechtsgesetzes nicht geloest, sondern allenfalls vorlaeufig entschaerft.

*Michael Schneider ist Geschaeftsfuehrer der Gesellschaft fuer Mehrwertdienste in der Telekommunikation mbH (GMwD) in Bonn.