Tagung bestätigt interdisziplinäre Kommunikationsprobleme:

Juristen setzen DV-Sachverstand falsch um

15.04.1988

Richter, DV-Profis und Rechtsanwälte trafen sich kürzlich in Köln, um - neben dem Austausch von Neuigkeiten - den interdisziplinären Dialog zu üben, denn der läßt nach wie vor zu wünschen übrig. Sachlicher Schwerpunkt der Veranstaltung war die Gerichtspraxis im Hinblick auf den Schutz von Programmen und Know-how. Christoph Zahrnt* berichtet.

Die IHK zu Köln, die diese Tagung zusammen mit der GMD veranstaltete, hatte den Rahmen nicht so weit gewählt wie bei der ersten Veranstaltung. Trotzdem waren über 40 Datenverarbeiter und über 60 Juristen in Köln zusammengekommen. Wie ein roter Faden zogen sich zwei Themen durch die Referate und durch die ausführliche Diskussion hindurch:

- Die Kommunikationsprobleme sind de facto noch sehr groß.

- Die Juristen, Rechtsanwälte und Richter suchen zu wenig Kommunikation mit den Sachverständigen. Dementsprechend werden viele Beweisbeschlüsse unzulänglich formuliert.

Ein deutliches Beispiel für diese Kommunikationsprobleme gaben die Juristischen Referenten: Nur einer bemühte sich, in einer für Datenverarbeiter verständlichen Sprache zu reden.

Zur Verbesserung der Kommunikation im Prozeß wurden immer wieder dieselben Forderungen erhoben: Der Sachverständige solle bei Bedarf bereits vor Erlaß eines Beweisbeschlusses informativ gehört werden. Außerdem könne er in einem Einweisungstermin über die Ziele aufgeklärt werden, die das Gericht mit dem Beweisbeschluß verfolge; er könne dann bei Bedarf auf die sachgerechte Abfassung des Beweisbeschlusses einwirken.

In zehn Jahren wie Bauprozesse

Rechtsanwalt Engel (Karlsruhe betonte zum Thema "Kommunikationsprobleme" erst einmal, daß sich die Situation verbessern würde: Das für die Juristen erforderliche Grundwissen über die Datenverarbeitung sei inzwischen einigermaßen verbreitet. Spätestens in zehn bis zwölf Jahren würden EDV-Prozesse genauso normal behandelt werden wie derzeit Bauprozesse.

Wer sich in einem Rechtsstreit gegen einen Raubkopierer auf sein Urheberrecht berufe, müsse dem Gericht zwei Dinge klarmachen. Das erste sei die Feststellung der Identität der Programme. Das sei unproblematisch. Das zweite sei das Vorliegen einer geistigen Schöpfung. Dieses sei jedoch höchst schwierig, denn hier könne nur jemand urteilen, der vom Programmieren sehr viel verstehe - so wie jemand ausreichend chinesisch verstehen müsse, um ein chinesisches Liebesgedicht beurteilen zu können. Also könne nur ein Datenverarbeiter diese Frage beurteilen.

Der Jurist hat dann die große Schwierigkeit, dem Sachverständigen klarzumachen, nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, ob eine geistige Schöpfung vorliegt. Der Bundesgerichtshof hätte dazu in seiner Grundsatzentscheidung "Inkasso" sehr formale und wenig einsichtige Kriterien aufgestellt. Die Datenverarbeiter würden von sich aus bei der Beurteilung der geistigen Schöpfung sehr viel mehr auf die inhaltliche Seite abstellen und mußten erst daran gewöhnt werden, daß es darum vor Gericht nicht geht.

Die Datenverarbeiter bestätigten in ihren Diskussionsbeiträgen, daß sie mehr auf die inhaltliche Seite abstellen. Sie vertraten ferner die Auffassung, daß ihre Leistung von der Rechtsordnung nicht ausreichend geschätzt wird. Insofern haben sie ein sachliches Kommunikationsproblem, vor allem mit dem Gesetzgeber. Von Datenverarbeitern und von Juristen gleichermaßen wurde beklagt, daß der Gesetzgeber nicht mehr getan habe, als durch eine einzige Zeile Gesetzestext 1985 Programme in den Katalog der urheberrechtlich schützbaren Werke aufzunehmen. Das sei nur ein Festschreiben dessen, was die Gerichte bereits ohnehin so entschieden hätten.

Rechtsanwälte gaben sich wenig Mühe

Die Juristen gaben sich wenig Mühe, die Datenverarbeiter praxisnah darüber zu informieren, in welchem Umfang denn nun Programme urheberrechtlich geschützt sind. Hier wie auch an anderen Stellen der Diskussion kam ihre Lust an pointierten Aussagen hoch: "Manche würden aus dem Inkasso-Urteil schließen, daß nur fünf Prozent aller Programme geschützt seien".

Rechtsanwalt Volger (EDV-Sachverständiger) äußerte seine Unzufriedenheit mit dem Vorgehen bei Prozessen über Urheberrechtsverletzungen in philosophischer Tiefe. Die derzeitige Situation sei wegen des überspitzten Gegensatzes von Tatsachenfeststellung (durch den Sachverständigen) und rechtlicher Würdigung (allein durch die Gerichte) unbefriedigend. Dem Sachverständigen werde damit eine große Verantwortung zugeschoben. Er solle zwar nur eine Tatsachenaussage machen, wisse aber, daß diese vom Gericht ziemlich formal in eine Entscheidung umgesetzt werde, die er dann oft als nicht gerecht empfinde. Es sei ihm nicht zumutbar, das bei der Ermittlung der Tatsachen außer acht zu lassen.

Der Sachverständige soll Berater, nicht Gehilfe sein

Rechtsanwalt Volger plädierte deswegen dafür, den Schwarz-Weiß-Gegensatz aufzuheben und Schattierungen zuzulassen. Das sei aber nur möglich, wenn der Sachverständige vom Gericht nicht als Gehilfe, sondern als Berater eingesetzt würde. Er wollte zwar die Entscheidungskompetenz des Gerichts nicht antasten, den Richter jedoch zu einem Dialog bringen, damit gerechter entschieden werde als bisher. Einigen Datenverarbeitern fiel es offensichtlich schwer zu verstehen, daß es im Zivilprozeß nicht um das Finden von Wahrheit und Gerechtigkeit ginge, sondern um die Entscheidung von Streitigkeiten aufgrund bestimmter Regeln.

Nur in München eine Sonderzuständigkeit

Rechtsanwalt Maruhn, Richter am OLG Frankfurt, zeigte auf, daß es sich um ein altes Problem handelt, dem Sachverständigen die richtige Stellung einzuräumen. Die deutsche Zivilprozeßordnung habe sich aber dafür entschieden, den Sachverständigen als Gehilfen des Richters einzuordnen. Alle bisherigen Vorstöße, die Stellung des Sachverständigen aufzuwerten, seien (von den Juristen) abgewertet worden. Parallel dazu zeigte die Diskussion, daß bei technisch neuen Sachverhalten immer wieder überlegt wird, innerhalb der Gerichte Sonderzuständigkeiten einzurichten. Die Gerichte seien dem gegenüber aber sehr skeptisch. Nur am Landgericht München gäbe es bisher eine Sonderzuständigkeit in EDV-Sachen.

Wie denn der Dialog zwischen Richtern und Sachverständigen heute in der Praxis aussieht, zeigte der Sachverständige Hans Keutgen anhand derjenigen Beweisbeschlüsse, die er als Gutachtenaufträge bekommen habe: Erst einmal enthielten viele Beweisbeschlüsse nichts als Allgemeinplätze. Man solle doch einmal bei dem folgenden Beweisbeschluß das Wort "Computer" durch "Auto" ersetzen: "Es soll Beweis erhoben werden, ob der Computer des Klägers nicht vollständig ist und deshalb nicht ordnungsgemäß arbeitet oder gegebenenfalls Teile fehlen" beziehungsweise "fehlerhaft ist und deswegen nicht funktioniert".

Die zweite Gruppe von Negativ-Beispielen gehe dahin, daß etwas ganz EDV-technisch ausgedrückt ist, was so nicht gemeint ist. Andere Beweisbeschlüsse seien schlicht im schlechten EDV-Jargon abgefaßt, wie zum Beispiel die Frage, ob "der Bildschirm ständig zusammenbrach?"

Eike Ullmann, Richter am OLG Karlsruhe, zeigte demgegenüber auf, wie Beweisbeschlüsse ordnungsgemäß abzufassen seien und wie man Sachverständige behandeln sollte, nämlich anständig. Eine Reihe von Sachverständigen führten Beispiele an, wie Sachverständige oft behandelt werden, nämlich als ein Rädchen innerhalb einer Maschinerie.

Streitwerte sind niedriger geworden

Vergleicht man die zweite Tagung mit der ersten vor zwei Jahren, so zeigt sich, daß sich die Situation nur langsam ändert, mit einer Ausnahme: Die Streitwerte sind wegen des Vordringens der Mikrocomputer sehr viel niedriger geworden. Es gibt immer mehr Fälle, bei denen der von der technischen Seite her erforderliche Aufwand finanziell nicht abgedeckt ist. Sachverständige stehen manchmal vor der Situation, ob sie für 2000 Mark ein Gutachten machen sollen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig ist, oder für 6000 Mark ein Gutachten, das aufgrund einer genauen Untersuchung mit Sicherheit richtig ist. Dabei geht es dann um das Nichtfunktionieren von Geräten, insbesondere von Druckern (Schnittstelle!), die kaum mehr als 2000 Mark kosten.