Gamechanger oder lediglich Second Mover?

Juniper bringt Intelligenzbestie für das Firmennetz

12.12.2019
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Netzausrüster Juniper Networks will stärker im Enterprise Business Fuß fassen. Türöffner sollen AI-gestützte, Cloud-basierte Lösungen seien.
Ist Juniper Networks wirklich ein Gamechanger oder lediglich ein Second Mover, der bereits vorhandene Ideen für das Networking der Zukunft aufgreift?
Ist Juniper Networks wirklich ein Gamechanger oder lediglich ein Second Mover, der bereits vorhandene Ideen für das Networking der Zukunft aufgreift?
Foto: Juniper Networks

Die digitale Transformation hat mittlerweile auch Juniper Networks voll erfasst. War das Unternehmen in der Vergangenheit für seine hochperformanten Netzlösungen für spezielle Anwendungsfälle wie dem Highspeed Trading bekannt, will sich das Unternehmen nun breiter aufstellen und das Enterprise-Business-Segment stärker adressieren. Zudem passt das Unternehmen sein Portfolio mit Produkten wie dem Cloud-basierten Netz-Management-System MIST oder SD-WAN-Lösungen an die Ära der Cloud-Managed-Netze und die Zeiten von Edge-Delivered-Services an. Dazu zählen zudem Orchestrierungslösungen für Multicloud-Umgebungen sowie die AI Engine Marvin.

Künstliche Intelligenz im Netzwerk

Auf AI-Unterstützung setzt Juniper gleich an mehreren Stellen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz soll etwa MIST das Netz-Management vereinfachen. Des Weiteren will Juniper KI nutzen, um den Aufbau von Threat Aware Networks zu ermöglichen. Diese erkennen, wie es heißt, Bedrohungen weitestgehend selbstständig und automatisch. Im Anschluss leiten sie dann die entsprechenden Gegenmaßnahmen ein. Weitere Themen sind Cloud-Lösungen sowie das Software-Defined Enterprise, das die alten Netze, die nur unter Connectivity-Aspekten gebaut wurden, ablöst. Aktuelle, moderne Netze sind nach den Vorstellungen Junipers KI-gesteuert (in Sachen Sicherheit und Automatisierung), offen sowie Cloud-orientiert und warten mit einer optimalen User Experience auf.

Juniper CEO Rami Rahim erläutert, wie das Unternehmen stärker im Enterprise-Segment Fuß fassen will.
Juniper CEO Rami Rahim erläutert, wie das Unternehmen stärker im Enterprise-Segment Fuß fassen will.
Foto: Juniper Networks

Zentrales Ziel ist dabei, wie auf der Juniper EMEA-Hausmesse NXTWORK 2019 zu hören war, die Netze für die Cloud-Ära fit zu machen. Gleichzeitig will man sich weniger vom Carrier-Business () abhängig machen, zumal der Router-Absatz stagniert und Juniper hier nur noch mit Zuwachsraten um rund ein Prozent beim Umsatz rechnet. Im Switching/WiFi-Segment kalkuliert das Unternehmen mit einem Plus von sechs Prozent und beim Thema Security sogar mit neun Prozent.

Das Carrier-Business trägt derzeit 41 Prozent zum Umsatz bei, der Rest verteilt sich auf Cloud-Anbieter (24 Prozent) und auf das Enterprise-Segment (35 Prozent) auf.

Flirten mit dem Enterprise-Kunden

Mit der MIST-Plattform offeriert Juniper ebenfalls eine Netzwerk-Management-Lösung aus der Cloud.
Mit der MIST-Plattform offeriert Juniper ebenfalls eine Netzwerk-Management-Lösung aus der Cloud.
Foto: Juniper Networks

Grundsätzlich will Juniper mit seinem aktuellen Produkt-Portfolio drei Kundensegmente ansprechen - die drei bereits erwähnten Bereiche Enterprise, Cloud- und Service-Provider. Die Enterprise-Anwender will man dabei mit den Themen Multi-Cloud und Software-Defined-Enterprise adressieren. Neue Produkte hierfür sind etwa das MIST-Portfolio oder das Cloud-managed SD LAN.

Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich bei MIST um ein Enterprise-taugliches Konkurrenzprodukt zu Ciscos Meraki-Plattform - also eine Lösung zum remoten Netzwerk-Management aus der Cloud. Wie Meraki war auch MIST ursprünglich auf das Management von WLANs limitiert. Mit dem Wired Assurance Service erweitert Juniper seinen Management-Service auf Switches. Mit Marvis erhält MIST zudem eine AI Engine, die auf Netzstörungen und Ähnliches automatisch reagiert. Besonders stolz ist der Hersteller darauf, dass über seine Plattform auch die Netzkomponenten anderer Hersteller gemanaget werden können. Um das volle MIST-Potenzial zu nutzen, muss der Anwender allerdings Juniper-Equipment verwenden.

MIST ist für Juniper eine der Perlen im Portfolio, denn das MIST-Geschäft wuchs seit der Akquisition der gleichnamigen Company vor sechs Monaten um 42 Prozent. Mit SD LAN will der Anbieter Features, die man sonst aus dem SD-WAN-Umfeld kennt, im Campus-Netz salonfähig machen.

Problemfall Multi-Cloud

Mit mehreren Produkten adressiert Juniper die Herausforderungen einer Multi-Cloud-Umgebung.
Mit mehreren Produkten adressiert Juniper die Herausforderungen einer Multi-Cloud-Umgebung.
Foto: Juniper Networks

Eine weitere IT-Herausforderung sieht Juniper im Thema Multi-Cloud, das man mit Edge Devices, Switches sowie Routern und der Contrail-Plattform adressiert. Wobei hier allerdings genau zwischen Multiple Clouds, also dem Nutzen vieler unterschiedlicher Cloud Services von unterschiedlichen Providern, und den echten Multi-Clouds im engeren Sinn zu unterscheiden ist. Also einer Cloud-Struktur, in der Anwender wirklich Apps aus Performance-, Kosten- oder Skalierungsgründen von einem Cloud Hoster zum anderen automatisiert verschieben.

Allerdings ist die Enterprise Multi-Cloud laut Juniper derzeit lediglich bei 15 Prozent der deutschen Unternehmen anzutreffen. Eine Erklärung für die geringe Nutzung könnte darin liegen, dass die deterministische Verschiebung der Workloads einer App von einer Cloud in eine andere entgegen den Versprechen der Cloud-Anbieter doch nicht so einfach funktioniert. In der Praxis unterscheiden sich dann Tools und Schnittstellen nämlich in wesentlichen Details und die Cloud-Plattformen sind damit inkompatibel. Zumindest eine Teilautomatisierung will Juniper hier mit seiner Contrail-Plattform ermöglichen.

400-Gbit/s-Ports kommen

Die Cloud Provider - nach eigenem Bekunden sind die drei größten Hyperscaler Juniper-Kunden - spricht man mit Themen wie WAN Transition oder neue Use Cases für Rechenzentren an. Um dies zu realisieren, bringt das Unternehmen neue Data Center Switches auf den Markt. 2020 sollen zudem Steckmodule mit 400 Gbit/s pro Port angeboten werden.

400 Gbit/s pro Port peilt Juniper auch bei seine Plattformen für das Service Provider Business an. Diese Zielegruppe adressiert der Hersteller derzeit mit Punkten wie 5G und Telco Cloud. Für den neuen Mobilfunkstandard bringt Juniper die neue MX-Series 5 G Universal Routing Platform. Auch wenn Juniper kein 5G-Equipment im eigentlichen Sinne (Basisstationen, Antennen etc.) hat, hofft das Unternehmen vom Aufbau der neuen Funknetze zu profitieren. Im Zuge der 5G-Einführung, so das Kalkül, müssten die Carrier ihre Kernnetze kräftig aufrüsten, um die anfallenden Datenmengen überhaupt weitertransportieren zu können. Ferner adressiert man 5G-Themen wie Network Slicing oder Edge Cloud.

Mehr Optionen für IT-Entscheider

Letztlich zeigen die Ankündigungen, dass es Juniper ernst meint mit seiner Transformation und Neuausrichtung hin zu einer Software- und Cloud-basierten Company, die die eigene "Hardware heritage" hinter sich lässt. Ob Juniper damit wirklich zum großen "Gamechanger" wird, wie sich das Unternehmen gerne selbst darstellt, mag dahin gestellt bleiben. Zumal einem viele Neuerungen bereits von anderen Hersteller bekannt vorkommen. Womit sich der Gedanke aufdrängt, dass Juniper eher als Second Mover, beziehungsweise als Markt-Follower agiert. Unabhängig davon ist aus Anwendersicht die stärkere Orientierung in Richtung Enterprise Business zu begrüßen, bekommt der IT-Entscheider doch eine weitere ernstzunehmende Option, wenn das nächste Netzwerk-Investment ansteht.