Julius Bär trennt sich von Legacy-Anwendungen

22.04.2005
Jürgen Pulm, CIO der Züricher Privatbank Julius Bär, sprach mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann über seine IT-Strategie.

CW: Sie sind dabei, Ihre eigenentwickelten Kernanwendungen durch Standardsoftware abzulösen. Deckt das zugekaufte Programmpaket alle benötigten Funktionen ab?

Pulm: Es gibt keine Core-Banking-Lösung am Markt, die sämtliche Anforderungen der Bank Julius Bär erfüllt. Mit der jetzigen Lösung ersetzen wir etwa 40 der 86 Altanwendungen durch Standardsoftware. Zum Teil investieren wir aber auch in schon genutzte Programme, die nicht im Standardsoftwarepaket enthalten sind. Beispielsweise gestalten wir das Front-Office-Handelssystem um und erweitern dabei den Funktionsumfang. Auf diese Weise kompensieren wir Defizite der zugekauften Software.

CW: Gibt es von Seiten der Benutzer Widerstände gegen das neue System?

Pulm: Natürlich überlegen wir im Zuge der Ablösung auch, welche Dienste möglicherweise entbehrlich sind. Schließlich ändern sich auch die Geschäftsanforderungen. Für manche Nutzer gilt dabei schon der Satz: Das alte System ist niemals so gut und so sexy wie am Tag vor der Abschaltung.

CW: Was hat Sie dazu bewogen, das bestehende Kernsystem abzulösen?

Pulm: Zum einen birgt das Altsystem schon wegen seiner unglaublichen Komplexität und Größe operationale Risiken. Zum anderen sind die Spezialisten, die das Programm entwickelt haben, zum Teil gar nicht mehr im Unternehmen. Sind Änderungen erforderlich oder treten im Betrieb Fehler auf, muss man auf wissenschaftliche Entdeckungsreise gehen. Zusätzliche Entwicklungen werden teuer. Das Altsystem führt außerdem zu hohen IT-Fixkosten. Manche Komponenten sind am Ende ihres Lebenszyklus. In Kombination haben diese Faktoren zu der Entscheidung für eine neue Plattform geführt.

CW: Welche wirtschaftlichen Vorteile erhoffen Sie sich davon?

Pulm: Wenn es um Investitionen in die Infrastruktur geht, kann man nicht erwarten, dass sich ein Projekt innerhalb von 18 Monaten rentiert. In dem von uns betrachteten Investitionszeitraum von zehn Jahren liefert die Ablösung einen eindeutig positiven Wertbeitrag für das Unternehmen. Nach der Implementierung werden die operativen Kosten pro Jahr zwischen 15 und 20 Prozent niedriger ausfallen.

CW: Welche Rolle spielen Prozessveränderungen in Ihrer IT-Strategie?

Pulm: Wenn man einen wesentlichen Teil der Infrastruktur durch eine Standardlösung ersetzt, ist das im Prinzip ein Reengineering-Projekt für das gesamte Unternehmen. Wir haben deshalb parallel zu dem IT-Vorhaben ein Change-Management-Projekt aufgesetzt, an dem alle Fachabteilungen beteiligt sind. Das wird zu tief greifenden Veränderungen in den Geschäftsprozessen führen.

CW: Wie stellen Sie die Unterstützung des Topmanagements sicher?

Pulm: Die Governance dieses Projekts liegt bei der Konzernleitung. Sie stellt dafür das Entscheidungsgremium. Auch innerhalb des Verwaltungsrats gibt es eine Gruppe, die das Vorhaben begleitet. Das bedeutet, wichtige Entscheidungen werden auf der obersten Management-Ebene getroffen.

CW: Ein vielfach genannter Kostentreiber im Finanzsektor sind regulatorische Anforderungen. Wie hoch schätzen Sie den damit verbundenen zusätzlichen Aufwand in der IT ein?

Pulm: Es gibt einen Grundpegel an regulatorischen Kosten, die jedes Jahr anfallen. Im Investitionsbudget schlagen sich diese Aufwendungen mit zirka zehn Prozent nieder. Das ist ein substanzieller Anteil.

CW: Wie entwickelt sich Ihr IT-Budget in naher Zukunft?

Pulm: Wir wollen den Anteil der IT-Ausgaben an den gesamten Verwaltungskosten reduzieren.

CW: Outsourcing gilt vielen als Königsweg, um Kosten zu senken. Wie wichtig ist das Thema für Sie?

Pulm: Outsourcing beinhaltet aus meiner Sicht zwei Elemente. Zum einen stellt sich bei operativen Entscheidungen die Frage, ob man die Wertschöpfung selber produziert oder am Markt zu womöglich günstigeren Konditionen einkauft. Eventuell lassen sich auch Risiken verringern, indem man Aufgaben auslagert, die man weniger gut beherrscht. Zum anderen gibt es die strategische Ebene, auf der wir das Thema Outsourcing intensiv diskutiert haben. Nach einer Kosten- und Risiko-Analyse fiel die Entscheidung, keine breit angelegte Outsourcing-Strategie zu fahren.

CW: Ging es dabei nur um die IT-Infrastruktur, oder haben Sie auch andere Bereiche evaluiert?

Pulm: Der Schwerpunkt lag im Bereich Business Process Outsourcing, wo wir Kostentreiber und Einsparpotenziale identifiziert haben. Darüber hinaus ging es um die Frage, was die Auslagerung unseres Rechenzentrums bringen würde. Auch ein ASP-Modell für die Software zum Reengineering der Legacy-Systeme stand zur Debatte. Ein Outsourcing der IT-Infrastruktur ergab für uns unterm Strich keinen Business Case.

CW: Heißt das, Sie hätten keine Kostenvorteile erzielen können?

Pulm: Die Einsparungen wären unbedeutend gewesen. Gleiches gilt für das Application-Service-Providing und das Auslagern kompletter Geschäftsprozesse. Hinzu kam eine Risikoabwägung, die gegen ein Outsourcing sprach.