Keiner denkt an die Risiken

Jobhopping - Sprung nach oben oder ins Abseits?

14.04.2000
Von Gustav Herrlich
75 000 oder noch mehr freie Stellen in der IT-Branche. Rosige Zeiten also für Young Professionals, die sich dabei auch einer besonderen Disziplin widmen können: dem Jobhopping. Heute da, morgen dort - Hauptsache, es geht die Karriereleiter nach oben. Doch die vermeintlich zeitgemäße Schnelllebigkeit birgt auch Risiken. Von Gustav Herrlich*

Es ist vermutlich müssig, darüber zu spekulieren, ob die durchaus umstrittene Green-Card-Initiative des Bundeskanzlers überhaupt noch notwendig ist. Fest steht, dass Gerhard Schröder mit seinem Vorstoß auf der diesjährigen CeBIT nicht nur einer langjährigen Forderung der hiesigen IuK-Branchenverbände nachgekommen ist. 20 000 beziehungsweise 30 000 ausländische IT-Spezialisten ins Land zu holen, das hat dem einschlägigen Arbeitsmarkt ein, wenn man so will, regierungsamtliches Testat eines Booms ohne Ende verliehen; einer Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften, die offenbar nicht einmal annähernd befriedigt werden kann. XML- und Java-Programmierer, Screen-Designer, Webmaster und Info-Broker, natürlich auch SAP-Spezialisten sowie erfahrene Vertriebs-, Marketing- und Controlling-Leute - die Liste derer, die der Markt verlangt, ist beliebig fortsetzbar. Paradiesische Zustände für IT-Professionals und Berufsanfänger. Die Nachfrage

regelt quasi alles von selbst. Zu gut vielleicht, wie immer mehr Zeitgenossen warnen.

Denn die Kehrseite der Medaille sieht bisweilen so aus: Erpressbare Unternehmen, die bereit sind, so gut wie jedes Gehalt zu bezahlen, Hauptsache, man löst das eigene IT-Problem - und sei es auch nur, indem man das Einstellungssoll erfüllt. Mit dem Ergebnis, dass oft richtige Profis zugange sind, genauso häufig aber auch nur vermeintliche Spezialisten angeheuert werden, deren Salär in keinem Verhältnis zur Berufserfahrung oder zum erworbenen Fach- und Branchen-Know-how steht. Mitarbeiter, deren Lebenslauf einer Odyssee zwischen unzähligen Arbeitgebern gleicht und deren einzige Qualifikation darin zu bestehen scheint, sich (zunächst) gut zu verkaufen: Überall nur mitgeredet, nirgendwo ein Projekt zu Ende gebracht, die vielzitierten "Jobhopper" also.

Doch Vorsicht mit pauschalen Vorurteilen. Wo ist die Grenze zwischen der Gesetzmäßigkeit einer pulsierenden, dynamischen Industrie und dem, was letzten Endes für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber unbefriedigend sein muss, weil es nicht auf Tragfähigkeit und Ergebnisorientierung ausgelegt ist? Ist ein neuer Job alle sechs Monate, alle zwei oder drei Jahre angebracht? Wann ist man voll im Trend der Branche und wann gilt man als unseriös? Ist einfach nur mehr Geld ein legitimes Motiv zum Wechsel, oder macht es sich doch besser, stets mit der "Erweiterung des persönlichen Horizonts" hausieren zu gehen?

Hauptsache Persönlichkeit

Fragen, auf die es zwangsläufig auch keine pauschalen Antworten gibt. Orientieren wir uns noch einen Moment an besagten Gesetzmäßigkeiten und an Tatsachen, an denen man nicht vorbeikommt und die eher noch mehr Unsicherheit erzeugen. In den kommenden vier Jahren dürften nach Schätzungen von Experten allein in Deutschland weitere 100 000 Arbeitsplätze im Internet-Umfeld entstehen. Doch woher sollen die Unternehmen diese Web-Spezialisten nehmen? Die virtuelle Welt ist ohnehin nach völlig anderen Kriterien zu beurteilen und tickt vor allem schneller: Online-Bewerbung per Mausklick, einen Tag später Vorstellungsgespräch, Handschlag und man hat den Job. Informatikstudium, gute Noten, stringenter Lebenslauf, damit können die Bewerber nicht immer aufwarten, müssen solche Anforderungen bei jungen Firmen aber auch nicht unbedingt erfüllen. Dafür strömen immer öfter fachfremde Bewerber, Quereinsteiger, Freaks, Lebenskünstler in die Branche

- Hauptsache Mann oder Frau strahlt Persönlichkeit aus. Doch wer ist eine solche, und wer ist ein Blender?

Selbst diejenigen, die sich eigentlich auskennen müssten, sind unschlüssig. "Man kann das Thema Jobhopping nicht verallgemeinern", sagt Michael Neumann von der Frankfurter Unternehmensberatung Hager & Partner. Als gesicherte Erkenntnis lässt der Personalberater und Headhunter nur eines gelten: "Die konservative Faustformel von früher, wonach ein Wechsel nur alle fünf bis sechs Jahre stattfinden sollte, gilt nicht mehr. Die Zyklen sind deutlich kürzer geworden." Er kenne, so Neumann, zahlreiche Lebensläufe "von guten Leuten, die im laufenden Projekt von den betreffenden Kunden oder auch von Wettbewerbern abgeworben wurden - und dies mehrmals". Jobhopper ja, aber auf hohem Niveau.

Im Eiltempo zur Musterkarriere?

Neumanns These wird zumindest durch offenkundige "Musterkarrieren" belegt. Andreas Gregori (31) etwa, seit Anfang dieses Jahres Marketing-Chef für Europa und Asien beim E-Commerce-Spezialisten Intershop. Der promovierte Ingenieurwissenschaftler startete seine Karriere als Unternehmensberater bei Pricewaterhouse-Coopers, danach war er als so genannter Brand-Spezialist in der deutschen Niederlassung des Markenartiklers Procter & Gamble beschäftigt. Letzte Station des "Topmanagers" (so sein neuer Arbeitgeber) vor dem Wechsel zu Intershop war die Bertelsmann-Tochter Lycos, wo Gregori ebenfalls das europäische Marketing verantwortete. Anderes Beispiel: der schon in diversen Wirtschaftsmagazinen porträtierte Markus Gerber, Finanzvorstand des Schwarzwälder Internet-Dienstleisters GFT. Der heute 36-Jährige lernte das, was er in dieser Funktion vermutlich am besten können muss - nämlich das Handling der sensiblen Investor Relations - quasi von der Pike auf: als

Investmentbanker bei Morgan Grenfell in London. Kein Jobhopper im eigentlichen Sinne, eher einer der erwähnten Quereinsteiger, die sich aber schnell entscheiden mussten und dies auch taten - und die vor allem dokumentieren, dass die IT-Branche heute längst keine Insel mehr für reines Spezialistentum ist.

Was lässt sich daraus schließen? Zumindest, dass es mehrere Arten von Jobhopping gibt. Rüdiger Baehrens von der BDS Personalkonzept GmbH, München, unterteilt diesbezüglich den IT-Arbeitsmarkt in zwei Kategorien. Oft vergesse man, so der Berater mit einem Seitenhieb auf das derzeit auch in der IT-Branche grassierende Fusionsfieber, dass "vielen DV-Spezialisten der Arbeitsplatz unter dem Hintern wegrationalisiert wird". Jobhopper also, die zu ihrem "Glück" gezwungen werden.

Gleichzeitig habe man es aber zunehmend auch mit Leuten zu tun, die der Auffassung sind, in dieser schnelllebigen Zeit müsste dementsprechend "die Verweildauer im Job kürzer sein". Diese Gruppe subsummiert Baehrens unter dem Etikett Konsumentengeneration, die Erfolg oft ausschließlich mit Geld gleichsetzt. Ein typischer Vertreter dieser Spezies fragt "Ich bin zwei Jahre Softwareentwickler, was kann ich verdienen?", plaudert der Consultant aus dem Nähkästchen. Und liefert die Antwort gleich mit: "Reich werden kann man immer noch. Zuerst gilt es, Erfahrung zu sammeln, die sich später um so teurer vermarkten lässt." Jobhopper in diesem klassisch negativen Sinne sind Baehrens zufolge vor allem auch jüngere Mitarbeiter im Vertrieb, die sich durch ein höheres "Zieleinkommen" relativ schnell zum Wechsel überreden lassen. Umso größer sei allerdings die Enttäuschung, wenn sich dieses nachher - meistens aus eigenem Verschulden - nicht realisieren

lasse.

Noch etwas schreibt der Münchner IT-Arbeitsmarkt-Kenner den Young Professionals ins Stammbuch: "Wer in seiner Lebensplanung noch nicht sattelfest ist, lässt sich leichter von Einflüssen und Einflüsterungen beeindrucken." Gemeint ist das, was die Internet-Szene so heiß und so sexy macht: Startups, die auch hierzulande wie Pilze aus dem Boden schießen und vielfältige Bedürfnisse zu befriedigen scheinen. Freie Entfaltung, flache Hierarchien, ein garantiertes Ausleben der Gründermentalität - und natürlich der vermeintliche Freifahrtschein zum Millionär oder Milliardär. Sind es also die berühmten Stock Options, die junge IT-Spezialisten zum schnellen Wechsel verleiten? Eher nicht, denn wer Unternehmensanteile hat beziehungsweise will, muss nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen eher langfristig denken. Für Jürgen Herget, Gründer und Geschäftsführer der ebenfalls in München ansässigen

Consulting-Gesellschaft Management & Beratung Herget, wird hier aber dennoch der Markt durch die Nachfrage geregelt - allerdings in einer nicht sehr optimalen Ausprägung. Viele Internet-Firmen bekämen, so der Consultant, das Personal, das sie benötigen, einfach nicht - vom HTML-Programmierer bis hin zum Webmaster. In der Folge würden die bekannten "Pakete" geschnürt, angefangen von diversen Formen der Mitarbeiterbeteiligung bis zum Börsengang. Damit locke man viel Publikum an - "Fachkräfte und Trittbrettfahrer", wie Herget unverblümt ausspricht. Aber auch aus Sicht der Arbeitnehmer ist bei den Internet-Startups nicht alles Gold, was glänzt. "Oft ist es nur die Euphorie, die zum unüberlegten Wechsel führt. Die Substanz der Firmen wird nicht kritisch hinterfragt", gibt der Berater zu bedenken.

Guter Rat ist also teuer - erst recht für Hochschulabsolventen und angehende IT-Professionals, bei denen die Branche derzeit Schlange steht. Wo ist die Grenze zwischen Trittbrettfahrerei und flexiblem Ausnutzen der Karrieremöglichkeiten, die der Markt bietet? Die eingangs gestellte Frage also noch einmal neu formuliert. In den meisten Fällen dürfte es dabei auf eine individuelle Gratwanderung hinauslaufen - mit realistischer Selbsteinschätzung und klaren persönlichen Zielvorgaben als Orientierungshilfen. Mehr Geld, warum nicht? Mehr Verantwortung, auch das kommt als Argument für den Wechsel gut beim neuen Arbeitgeber an. Doch beides in Maßen praktiziert. "Jobhopper, deren Vita sich durch viele Wechsel in kurzer Zeit auszeichnet, wandern bei mir gleich auf den C-Stapel, also Absage. Schließlich bin ich das Korrektiv meiner Auftraggeber", lässt sich Berater Rüdiger Baehrens noch einmal in seine Karten blicken.

Probleme nicht nur verbal bewältigen

Beraterkollege Herget formuliert es noch plakativer: "Wenn jemand in der Internet-Szene dreimal die Firma wechselt, fällt er mit 28 Jahren unter Umständen auf die Schnauze, weil dann der vierte Arbeitgeber plötzlich Berufserfahrung verlangt. Viele bedenken eines nicht: Wenn eine Firma aus den Windeln heraus ist, benötigt es Profis." Doch der Weg zum Profi ist steinig. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, sagt der Volksmund. Für den Münchner Consultant gilt das auch und gerade für die IT-Branche. Seine individuelle Empfehlung hat deshalb auch nur ganz wenig mit dem Hype dieser Industrie zu tun:"Ein Wechsel sollte nicht unter drei Jahren erfolgen. Die ersten Berufsjahre sind dazu da, sich einzuarbeiten, sich zu beweisen. Schließlich sollte man irgendwann einmal auch produktiv tätig geworden sein - ein Problem nicht nur verbal, sondern im Sinn einer implementierten Lösung bewältigt haben. Wenn einer stets die Klappe aufreißt und sagt, ich bin

überall ausgebremst worden, ist dies nicht sehr überzeugend."

*Gustav Herrlich ist freier Journalist in München.