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Jetzt offiziell: Microsoft soll zweigeteilt werden

02.05.2000
Vorschlag der Kläger ist umstritten

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Am vergangenen Freitag Abend haben das US-Justizministerium (DOJ = Department of Justice) und 17 der ebenfalls klagenden 19 US-Bundesstaaten dem im Kartellprozess gegen Microsoft vorsitzenden Richter Thomas Jackson ihren Vorschlag für eine Bestrafung des Softwareriesen vorgelegt. Das 17-seitige Papier sieht eine Aufteilung Microsofts in zwei unabhängige Unternehmen vor, von denen eines die Windows-Betriebssysteme und das andere die Anwendungsprogramme betreuen würde.

Ganz einig war sich die Klageseite übrigens nicht: Die beiden Bundesstaaten Illinois und Ohio legten ein separates Minderheitsvotum vor. Dieses sieht vor, zunächst drei Jahre vergehen zu lassen und dann die Wettbewerbssituation erneut zu prüfen, um erst dann eine eventuelle Aufteilung von Microsoft in die Wege zu leiten.

Sollte Jackson den Mehrheitsvorschlag übernehmen, dann müsste Bill Gates zusammen mit seinen Vorstandskollegen einen Entwurf für die Teilung seines Konzerns entwickeln. Die hochrangigen Microsoft-Manager würden dann übrigens nur Aktien eines der beiden Teilunternehmen erhalten; normale Aktionäre würden an beiden Ablegern beteiligt. Microsoft muss nun bis zum 10. Mai seine Antwort auf den Vorschlag vorlegen. Justiziar Bill Neukom hat allerdings bereits angekündigt, dass er eine Fristverlängerung beantragen werde. "Eine vernünftige Antwort auf diese Regelung braucht etliche Monate", prophezeite der Unternehmensanwalt. Richter Jackson hat eigentlich für den 24. Mai die abschließende Anhörung beider Seiten angesetzt, auf Basis derer er dann kurz darauf das endgültige Urteil fällen will.

Die Börse reagierte am gestrigen Montag gelassen auf den Vorschlag der Kläger: Die Aktie von Microsoft stieg um rund fünf Prozent auf 73,44 Dollar, ist damit allerdings weiterhin weit von ihrem Jahreshoch von rund 120 Dollar (Ende Dezember 1999) entfernt. Analysten zeigten sich allerdings angesichts des "Discountpreises" von letzter Woche wenig überrascht von dem leichten Aufschwung.

Durch die Teilung wollen die Kläger die von Richter Jackson bereits fest gestellte Monopolstellung von Microsoft beseitigen. Die beiden Unternehmensteile sollen dazu zehn Jahre lang nicht wieder fusionieren dürfen. "Das ist das richtige Mittel zum richtigen Zeitpunkt", glaubt Justizministerin Janet Reno. "Unser Vorschlag fördert den Wettbewerb, bringt Innovationen voran und gibt den Kunden neue und bessere Auswahlmöglichkeiten." Chefankläger Joel Klein ergänzt: "Weder Eingriffe der Regierung noch das Eigeninteresse eines nachweislichen Monopolisten bestimmen bei diesem Vorschlag, was für die Verbraucher das beste ist. Statt dessen können sie in einer freien Gesellschaft und einem wettbewerbsbestimmten Markt genau die Produkte wählen, die sie wollen." Klein führte als historischen Vergleich die erfolgreiche Zerschlagung des einstigen Telefonmonopolisten AT&T an, von dem die Verbraucher durch neue Unternehmen und mehr Wettbewerb entscheidend profitiert hätten.

Edward Yardeni, Chefökonom bei Deutsche Bank Securities in New York, hält diesen Vergleich für überzogen. "Wenn man auf die Geschichte von Microsoft zurückblickt, sieht man sofort, dass sie eigentlich kaum innovativ waren. Meistens haben sie Technik, die schon am Markt war, aufgekauft oder kopiert und dann hervorragend weiter entwickelt und vermarktet." Deswegen werde es mit einem kleineren oder schwächeren Microsoft auch keinen Mangel an Innovationen geben, meint Yardeni.

DER VORSCHLAG

Betriebssystem-Company: Erhält Windows und dessen zukünftige Versionen plus eine einmalige Quellcode-Lizenz des "Internet Explorer"

Anwendungs-Company: Erhält Office und alle weiteren Applikationen inklusive voller Rechte am "Internet Explorer" und den übrigen Web-Aktivitäten von Microsoft (MSN, Hotmail, Expedia etc.)

Neue Regeln: Keine Exklusiv- oder Knebelverträge mit PC-Herstellern mehr; offene Windows-Preisliste für PC-Hersteller; Offenlegung wichtiger Windows-Programmierschnittstellen und Office-Dateiformate, damit Konkurrenten ihre Anwendungen interoperabel gestalten können

Microsoft gehen die geplanten Maßnahmen natürlich viel zu weit. Unternehmensgründer und Chief Software Architect Bill Gates erklärte, im Falle einer Annahme des Vorschlages "wäre Microsoft außerstande, die nächste Generation großartiger Software zu entwickeln." Unternehmenssprecher Rick Miller bläst ins gleiche Horn: "Statt vernünftig zu sein und sich außergerichtlich zu einigen, fordert die Regierung extreme Strafen, die den Verbrauchern schaden und die Innovation hemmen. Die Forderungen der Kläger, so Miller, seien angesichts der Sachlage im Prozess ungerechtfertigt und würden "im Rechtssystem keinen Bestand haben".

Nun wehrt sich Microsoft mit einer massiven Image-Kampagne gegen die drohende Zerschlagung. CEO (Chief Executive Officer) Steve Ballmer und Firmengründer Gates warnen in patriotischen Anzeigen und Fernsehspots vor einer "Gefahr für die Führungsrolle der USA bei neuen Technologien".

Kläger fordern weitere Beschränkungen

Die Aufteilung von Microsoft ist aber nur ein Teil des von den Klägern eingereichten Maßnahmenkatalogs. Dieser sieht ferner Eingriffe in das generelle Geschäftsgebaren des Unternehmens vor. Die beiden künftigen Konzernteile dürften PC-Anbieter weder daran hindern, Microsoft-Konkurrenzprodukte zu offerieren, noch Lizenzen beziehungsweise Support für den Einsatz künftiger Microsoft-Produkte zurückhalten.

Der Betriebssystem-Teil soll zudem essentielle Teile des Windows-Quellcodes offen legen, damit Anwendungsentwickler ihre Produkte hinreichend mit dem Betriebssystem integrieren können. Microsoft dürfte ferner keine Software mehr zu dem Zweck entwickeln, in das Geschäft von Konkurrenten einzugreifen beziehungsweise dies zu schädigen - solches Vorgehen unterstellen die Kläger beispielsweise beim neuen "Pocket PC", das dediziert gegen Handheld-Marktführer Palm gerichtet sei. Microsoft solle künftig alle Hard- und Softwarehersteller bei Preisen, Lizenzierung und dem Zugriff auf wichtige Quellcodes gleich behandeln, meinen die Kläger. Kein Microsoft-Produkt dürfe künftig (wie in der Vergangenheit der Browser "Internet Explorer") mit dem Betriebssystem Windows verknüpft werden.

In Sachen Browser sieht der DOJ-Vorschlag eine Kompromisslösung vor: Den Internet Explorer bekäme der Applikationsableger von Microsoft zugesprochen. Die Betriebssystem-Company erhielte lediglich eine Lizenz auf Basis des aktuellen Releases und müsste eventuelle Weiterentwicklungen eigenständig vornehmen. Auf diese Weise soll der Wettbewerb im inzwischen deutlich von Microsoft dominierten Browser-Markt wieder angekurbelt werden.

Ist eine Aufteilung machbar?

Von den Pros und Kontras einmal abgesehen, stellt sich die Frage nach der Machbarkeit der Teilungspläne. Es darf als sicher gelten, dass Microsoft gegen ein entsprechendes Urteil von Richter Jackson in die Berufung gehen wird. Sollte diese - wie von Jackson bereits angekündigt - direkt vor dem Supreme Court, dem höchsten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhandelt werden, dürfte ein weiteres Jahr bis zu einem endgültigen Urteilsspruch vergehen - andernfalls drohen sogar jahrelange juristische Scharmützel, während derer (so geschehen im Falle IBM) die Wirklichkeit längst neue Fakten schafft und den Prozess somit ad absurdum führt.

In einem Berufungsverfahren drohen aber auch andere Unwägbarkeiten. "Sollte es Microsoft in der nächsten Instanz gelingen, wichtige Elemente der Argumentation von Richter Jackson auszuhebeln," gibt der Rechtswissenschaftler William Kovacic von der Universität Washington zu bedenken, "dann würde gleichzeitig einer breit angelegten Bestrafung die Grundlage entzogen."

Aber selbst im Falle einer unmittelbaren Bestrafung Microsofts könnten Jahre vergehen, bevor erste Auswirkungen überhaupt spürbar werden. Dan Kuznetzky, Analyst bei der International Data Corp. (IDC), geht etwa davon aus, dass mindestens 18 bis 24 Monate nötig wären, um Microsofts Server-Software auch mit anderen Betriebssystemen als Windows zum Laufen zu bringen.

Monopole: Aus eins mach zwei?

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob die vorgeschlagene Zerteilung Microsofts überhaupt irgend jemandem nutzen würde. Die Bargeldreserven des Konzerns - derzeit mehr als 21 Milliarden Dollar (!) - würden anteilig nach Umsatz auf die beiden resultierenden Unternehmensteile aufgeteilt. Beide wären damit sofort wieder in einer exzellenten Ausgangsposition, um in ihrem jeweiligen Markt sofort wieder eine Quasi-Monopolstellung einzunehmen. Luke Froeb, in der Ära Bush und Reagan Wirtschaftsexperte im Justizministerium, warnt: "Wenn man Microsoft in zwei Teile teilt, erhält man zwei dominierende Player: eine dominierende Anwendungssuite und ein dominierendes Betriebssystem. Was sollte zum Beispiel die Betriebssystem-Company daran hindern, genau das zu tun, was sie früher gemacht hat?"

Steve Kleynhans von der Meta Group geht sogar noch einen Schritt weiter. "Der Vorschlag, Microsoft zu zerschlagen, ist der falsche Weg", meint der Analyst. "Das Ergebnis ist eine Betriebssystem-Company, die machen kann, was immer sie will... Die resultierenden Teile werden sich noch viel mehr wie Monopolisten aufführen, weil sie keine Rücksicht mehr auf die andere Hälfte der Firma nehmen müssen."

Zudem müsste die Regierung vermutlich über Jahre hinweg jede einzelne technische Entwicklung beider Teile genauestens untersuchen. Die Trennung zwischen Betriebssystem und Anwendungsprogrammen ist nicht unbedingt die schärfste. Der Anwendungsteil von Microsoft könnte auf die Idee kommen, das Office-Paket mit betriebssystemnaher Funktionalität zu versehen; die Windows-Company würde womöglich den umgekehrten Weg einschlagen.

Für die Verbraucher wären die Resultate einer Aufspaltung möglicherweise Anwendungen, die schlechter funktionieren als bisher gewohnt, und nicht zuletzt auch höhere Preise. So jedenfalls sieht es Joe Clabby, Analyst bei der Aberdeen Group: "Microsoft ist so erfolgreich, weil sie ihre Anwendungen mit dem Betriebssystem integriert haben. Nun soll ich als Anwender selbst machen. Und jedes der neuen Unternehmen braucht seinen eigenen Verwaltungs-Overhead - das treibt auf jeden Fall meine Kosten in die Höhe." Das glaubt auch Richard Friesen, President von ePit.com: "Wenn man ein Menschen und Produkte eher unter juristischen Aspekten denn aus Business-Sicht erfolgreich mit einander kombinieren will, wird das wohl höhere Preise für Betriebssystem und Anwendungen und weniger Integration nach sich ziehen. Das dürfte schlecht für die Verbraucher ausgehen."

Forrester-Research-Mann Ted Shadler sieht keinen rechten Sinn in der geplanten Microsoft-Teilung. "Die Wettbewerber kämpfen weiterhin gegen die gleichen Teile von Microsoft. Linux-Firmen treten gegen die Betriebssystem-Company an, Anwendungsanbieter gegen die Office-Company. Irgendwie ein Status quo - ich sehe nicht, was sich ändern sollte." Shadler würde Microsoft eher in eine Server- und eine Desktop-Unternehmung aufteilen. Damit hätte es der Konzern schwerer in neuen Geschäftsbereichen. "Wenn der jetzige Vorschlag angenommen wird, dann geht doch die Windows-Company als erstes her und baut eine Internet-basierte Productivity-Suite - das würde ich jedenfalls an deren Stelle machen. Das DOJ muss das Geschäftsmodell von Microsoft erst einmal verstehen. Bis jetzt tut es das noch nicht."

Gartner-Group-Analyst Chris LeToq hofft indes auf positive Effekte - er spekuliert auf eine Linux-Version von Microsoft Office. "Die Maxime einer Anwendungs-Company müsste lauten: ´Wie erhöhe ich die Verbreitung von Office´. Zur Zeit sehen sie Office doch eher als Mittel, um die Verbreitung von Windows zu garantieren." Dem widerspricht allerdings die Tatsache, dass Microsoft seit Jahren Office-Pakete für die Macintosh-Plattform anbietet. Außerdem hinkt Linux in puncto Benutzerschnittstelle, Installation und Roadmap für die Weiterentwicklung noch meilenweit hinter Windows her - zumindest für den Einsatz in der Unternehmens-DV.

Im Vorfeld hatte eine Reihe prominenter Wirtschaftswissenschaftler - darunter die Professoren Roger Noll (Stanford), William Nordhaus (Yale) und Frederic Scherer (Harvard) - einen weiter reichenden Teilungsentwurf vorgelegt. Neben der Abspaltung einer Applikations-Company sieht dieser eine Zergliederung des Betriebssystemzweiges in drei separate Companies vor. Nur durch eine solche Vierteilung ließe sich aus Sicht der Ökonomen "echter Wettbewerb im Plattform-Markt" herstellen und "Microsofts Fähigkeit einschränken, sein Betriebssystem-Monopol auf andere Märkte auszudehnen".