Kolumne

"Jenseits der IT-Branchenkrise"

26.07.2002
Christoph Witte Chefredakteur CW

Eine Erholung der Hightech-Unternehmen ist den meisten Experten zufolge nicht in Sicht. Microsoft, IBM, Intel und Co. rechnen weiterhin mit geringem Wachstum.

Dabei weist die IT-Branche teilweise Strukturen auf, die zwar gut waren für einen stark wachsenden Markt, aber für eine längere Phase moderater Expansion, wie sie jetzt beginnt, nicht geeignet sind.

Zu viele Player mit zu ähnlichen Produktpaletten streiten sich um den IT-Kuchen, der nach Schätzungen von IDC 2005 ein Volumen von etwa 1,43 Billionen Dollar aufweisen soll. Erscheint die Prognose von Gartner, wonach sich die Zahl der IT-Anbieter in den nächsten Jahren um knapp die Hälfte reduzieren wird, auch etwas gewagt, geht die Aussage doch in die richtige Richtung. Hohe Ausgaben für Marketing, Entwicklung und Vertrieb, verbunden mit den ohnehin hohen Personalkosten, erlauben es immer weniger Unternehmen, eigenständig am Markt zu agieren.

Ein weiteres Problem stellt die gemessen an den "reifen" Industrien hohe Fertigungstiefe besonders im Softwaresektor dar. Eine Arbeitsteilung zwischen Anbieter (Markeninhaber) und Zulieferer konnte sich bisher nicht etablieren.

Der Grund dafür liegt in den inkompatiblen Produkten der großen Anbieter, die zwar einen ähnlichen Funktionsumfang haben, aufgrund fehlender verbindlicher Standards und absichtlicher Abschottungspolitik jedoch höchst unterschiedliche Strickmuster aufweisen. So können zwar BMW und Mercedes die gleiche Antiblockiersystem-Technik in ihre Autos einbauen; Oracle und SAP müssen aber jeweils eigene Applikations-Server für ihre Standardsoftware entwickeln. So etwas verteuert vor allem angesichts der immer kürzer werdenden Produktzyklen natürlich die Entwicklungskosten, die in Zeiten härteren Wettbewerbs kaum noch an den Kunden weitergegeben werden können.

Das führt zu einer heftigen Auslese im Markt, zumal Kunden jetzt vorzugsweise den großen, finanziell abgesicherten Partnern vertrauen. Parallel dazu begreifen Hersteller (Anwender wissen das schon länger) allmählich, dass sie sich mit Inkompatibilität auf Dauer schaden.

Künftig könnten deshalb große Anbieterlager entstehen, die Produkte für ein gemeinsames Applikationsrückgrat entwickeln, das es erlaubt, die wichtigsten Prozesse eines Unternehmens wie Gliedmaßen daran aufzuhängen. Die Wirbel und Bandscheiben für eine solche Konstruktion beginnen sich in Form von EAI-Werkzeugen, Web-Services, Portaltechniken und Applikations-Servern abzuzeichnen. Geführt werden könnten diese Läger - die Automobilindustrie hat es vorgemacht - von den großen Marken. Sie bestimmen das Image, garantieren eine gewisse Qualität und stellen das Funktionieren des Backbones sicher. Wer diese Mega-Vendors sein werden? Das ist vor allem deshalb noch nicht eindeutig vorauszusehen, weil noch nicht klar ist, wie das Rückgrat heißt. ERP, CRM, ein erweitertes Business-Intelligence-System, oder wird es eher technologisch definiert sein, durch die Wahl eines bestimmten Applikations-Servers oder einer Portaltechnik? Sicher scheint nur, dass die Keiretsu-Führer von morgen schon heute bestimmende Player sein müssen. Kleinere Anbieter könnten übrigens in einem solchen Szenario nicht länger als Independent Software Vendors fungieren, sondern hätten nur noch als Zulieferer in einer ihnen zugewiesenen Nische eine Chance.