Alldephi-Vorstand: Bündelung der Kräfte auf EG-Ebene dringend erforderlich

Japans Schritte in die Informationsgesellschaft

24.01.1986

Die Japaner haben sich voll darauf eingestellt, eine postindustrielle Informationsgesellschaft mit hoher Lebensqualität zu werden - und dies wiederum mit Hilfe einer sehr zielgerichteten Unterstützung der Regierung. Man muß anerkennen, daß sich aus dieser Zielsetzung Wachstumsmöglichkeiten ergeben, die sich auf andere Weise kaum erschließen ließen.

Eines der Beispiele ihr die Förder-Politik der japanischen Regierung ist die kürzliche DemonopoIisierung, Nippon Telegraph and Telephone (NTT), zuständig für Telegrafie- und Telefonverbindungen im Lande, nicht aber für den internationalen Verkehr und für die gelbe Post, NTT in Japan hatte bei den reinen Kommunikationsverbindungen 1983 einen Umsatz von 55 Milliarden Mark. Wenn Zahlen stimmen, hat die Deutsche Bundespost einen Ertrag von etwa 30 Milliarden Mark. Die NTT beschäftigt 320 000 Mitarbeiter, von denen viele tausend in der Entwicklung arbeiten. NTT hat keine eigene Fertigung, aber ihre Entwicklungskapazität ist besser als das Beste, was in der japanischen Industrie selbst, zur Verfügung stellt. Wenn die Zahlen auch hier zutreffen, hat die Deutsche Bundespost etwa 190 000 Mitarbeiter. Die NTT hatte 1983 einen Netto-Ertrag von 4,5 Milliarden Mark, während die Deutsche Bundespost bei 3,5 Milliarden Mark liegt - also eine Größenordnung auf japanischer Seite, die unsere in Deutschland nach Ratio gar nicht so weit übertrifft. Ich glaube, daß die Kommunikationswege der westlichen Welt noch immer besser sind als die Japans. Die Infrastruktur in Japan ist nicht gerade großartig. Aber Japan hat mit, der Liberalisierung weitreichende Pläne zur Verbesserung. Darin liegt eine Herausforderung, der auch wir das europäische Industrie gegenüberstehen.

Die Vorteile der NTT-Liberalisierung

1. Im öffentlichen Übertragungsnetz gibt es völlig freie Wettbewerbsmöglichkeiten.

2. Das öffentliche Netz wird völlig geöffnet für "Value Added Networks", also zum Beispiel für Datenkommunikation. Es sind schon 100 Unternehmen angemeldet worden, die von Value Added Networking über das öffentliche Netz Gebrauch machen wollen.

Das öffentliche Netz in japan wird demnächst durch zumindest drei Gruppen betrieben werden:

1. Die NTT selbst, der ja die Netzträgeraktivität verbleibt.

2. Zwei oder drei neue öffentliche Gruppen. Eine davon ist Japan National Railways, die den Nord-Süd-Schnellzug, den "Bullet-express", über 1500 Kilometer freie Bahnstrecke betreibt. Diese Strecke wird man jetzt auch für ein Glasfaser-Kabelnetz verwenden. Alles ist dafür vorhanden, man braucht das Kabel nur an der Bahn entlangzulegen und hat damit alle Verzweigungen zu jedem Ballungsgebiet fast kostenfrei zur Verfügung.

3. Es gibt schließlich eine private Gruppe, in der sitzt Kyocera, ein Unternehmen, das führend ist in der Welt der Keramik. Es hat 70 Prozent des Weltmarktes für Keramik im Bereich integrierte Schaltungen erobert.

Auch wir, Philips, sind kürzlich ein 50:50-Joint-venture im Bereich der Kommunikations- und Informationsindustrie eingegangen, um uns am japanischen Markt zu beteiligen; dies nicht nur, weil wir glauben, daß dies ein ertragsgreiches Geschäft ist, oder weil die Japaner Kommunikation haben, über die wir hier in Europa verfügen, sondern darüber hinaus, weil wir daran interessiert sind zu wissen, was die Japaner damit anfangen. Und am besten kann man das an Ort und Stelle tun.

Die japanische NTT hat immer sehr enge Verbindungen zur Industrie unterhalten. Da ist so eine Art Gruppe, eine Familie entstanden unter der Führung von Nippon Electric. Die "Familiengruppe" hat immer alle Aufträge erhalten. Wer federführend war, mußte die Aufträge jeweils unter einer Zahl von Subunternehmern aufteilen - ein typish japanisches Geschäft. Damit hat man gefördert, daß eine breite Technologiefront aufgebaut wurde. Herren, die bei NTT in Pension gehen - und in Japan geht man meistens schon mit 55 Jahren in Pension - , nehmen die Kenntnisse von der japanischen Post mit und steigen in führende Position in der Industrie ein. So hat sich ein schönes Netzwerk gebildet. Da als Ausländer hineinzukommen, ist schon schwierig. Man ist eben nun mal nicht Teil der Familie.

Nachdem das Monopol der NTT seit dem 1. April 1985 aufgebrochen ist, hat die NTT es sehr schwer. Es ist ein tolles Durcheinander in Japan entstanden. Niemand weiß bestimmt, in welche Richtung es gehen soll, und Japaner sind da ziemlich digital denkende Leute. Alles, was im Drehbuch steht, wird umgeblättert, und für jede Lage gibt es eine neue Regieanweisung. Solange das alles stimmt und chronologisch abläuft, ist alles vorzüglich. Sobald aber improvisiert werden muß, weil entweder zwei oder drei Anweisungen im Drehbuch fehlen oder weil das Ganze umgestaltet wird, herrscht große Verwirrung. Das ist auch jetzt der Fall.

Die NTT hat den Auftrag, sich zu bemühen, den neuen, zusätzlichen öffentlichen Netzen eine Position anzubieten. Und es heißt, daß NTT mit diesen Privatunternehmen, die sich im öffentlichen Netz betätigen wollen, kooperiert, damit die Demonopolisierung einen guten Verlauf nimmt. NTT hilft also seiner Konkurrenz in den Sattel. Ein ziemlich einmaliger Vorgang. Dabei ist eindeutig Eigennützigkeit im Spiel, denn für den Fall, daß NTT nicht den vorgezeichneten Weg geht, hat das Kommunications-Ministerium angekündigt: "Dann werdet ihr ganz zerstückelt."

Die ganze Entwicklung hat einen durchaus positiven Aspekt. Man bringt jetzt Marktkenntnisse, Technologien und Entwicklung auf einer viel breiteren Front zusammen, als wenn man die Unternehmen alle zusammengeballt hätte. Das ist die japanische Methode, der Konkurrenz zu Leibe zu rücken. Wir sollten nicht unterschätzen, daß - obwohl in Japan zur Zeit in der Kommunikations- und Informationsindustrie vieles vielleicht noch komplizierter ist, als wir es in Europa kennen - dort in den kommenden zehn bis 15 Jahren eine gewaltige Kraft aufgebaut wird.

Mit einer sehr zielbewußten und zielgerichteten Unterstützung der Regierungspartei bemühen sich Industrie und Regierung gemeinsam unter dem Haupttitel Informationsgesellschaft - um eine neue Wachstumsmöglichkeit für das eigene Leben, um Qualität des Lebens, um hohe Investitionen, ein hohes Wachstum des Bruttosozialproduktes sowie um fortgesetzte hohe Sparraten mit dem Ziel, diese wiederum umzusetzen in neue hohe Wachstumsraten.

Die stürmischen Entwicklungen, die vor allem auf der Halbleiter-Technologie basieren, stellen die größten Anforderungen an Kapital und ausgebildetes Personal. Sie wissen, daß die japanische Industrie gut verdient, viel mehr als die europäische. Wenn wir heutzutage nach Steuern in Europa 2 bis 2,5 Prozent verdienen, dann sind wir sehr glücklich. In Japan ist der Satz normalerweise 4,5 bis 6 Prozent. Auch das ist ein Thema, das wir überdenken müssen.

Wenden wir uns für einen Augenblick dem Sektor Integrierte Schaltungen zu. Es ist wichtig zu wissen, daß wir für jede Mark, die wir an Umsatz bei Integrierten Schaltungen erreichen wollen, heutzutage 70 Pfennig Investitionen zu tätigen haben. Wenn wir auch noch ein neues Gebäude dafür errichten müssen meistens ist das der Fall -, wird daraus eine Mark Investitionen für eine Mark Umsatz. Und wenn Sie bedenken wollen, daß wir, in Europa jedenfalls, in den nächsten fünf Jahren drei Milliarden Umsatz allein bei Integrierten Schaltungen erreichen müssen, um die Wachstumsvoraussetzungen für die Kommunikations- und Informationsindustrie zu bieten, das heißt drei Milliarden Mark Investitionen nur für Philips, dann muß man auch etwas verdienen, um sich das leisten zu können. Dabei sind ICs nur ein einzelner Bereich des Wachstums der Elektronik.

Es ist deshalb sehr wichtig zu erkennen, daß die Industrie sich bemühen muß, auch die finanziellen Grundlagen zu schaffen, um diese künftigen Wachstumsgebiete bewältigen zu können. Im Hinblick auf Kapitalinvestition, Management-Investition und Fachkräfte (das heißt Ausbildung, Schulung, universitäre Ausbildung) muß alles darauf gemeinsam und synchronisiert zielen. Es ist kein Schreckensbild, wenn ich sage, daß Japan, wenn zu guter Letzt aller Staub sich einmal gelegt haben wird, wie immer aus einem Gefüge mit den beiden Seiten einer Medaille besteht. Eine Seite repräsentiert die Zielsetzung der Gesellschaft und, sagen wir, der Regierung. Auf der anderen Seite steht all das, was der Realisierung dient: Industrie, Kapital, Wissenschaft. Zwei verschiedene Ausblicke, aber beide gehören zur gleichen Münze. Und das ist eine gewaltige Kraft. So möchte ich sagen daß wir davon auch wieder viel lernen können für eine bessere Bewältigung unserer eigenen Zukunft: nämlich das Zusammenfügen von Leistungskomponenten, mit denen gemeinsam der Erfolg sicher ist.

An Ort und Stelle beobachten

Ich denke, daß es für die Zukunft der europäischen elektronischen Industrie von großer Bedeutung ist, die Leistungen der japanischen Industrie auf dem Gebiet der Kommunikation und Information an Ort und Stelle zu beobachten und sich daran zu beteiligen - auch wenn das von relativ kleinen Positionen aus geschieht. Wir müssen die Bindungen herausstellen, die einen gesunden technologischen Austausch möglich machen, nicht nur mit Japan, sondern auch aus Japan heraus mit dem Pazifischen Becken.

Europas nationale Märkte haben Leute nicht mehr die richtige Größenordnung, um neue Technologien wirtschaftlich zu nutzen. Nationale Kartellgesetzgebung und ihre enge Auslegung verhindern nicht eben selten, daß sinnvolle europäische Unternehmens- und Marktdimensionen erreicht werden. So wird die Umsetzung von Technologien in neue Produkte trotz hoher Entwicklungsaufwendungen erstickt.

Ich denke, die Politiker haben noch, eine große Aufgabe vor sich, wenn ein funktionierender europäischer Binnenmarkt entstehen soll. An der Industrie sollte er nicht scheitern, denn europäische Arbeitstellung ist in den Unternehmen gewiß kein neues Thema. Andererseits müssen wir anerkennen, daß wir nicht mehr alles selbst können. Wir müssen komplementär arbeiten. Dazu hat es erst kürzlich wieder Beispiele gegeben in der Mikroelektronik, wo wir zum Beispiel beim Mega-Chip mit Siemens zusammenarbeiten. Es wird viel mehr solcher Beipiele geben müssen, um auf die Herausforderung Japans die richtige Antwort zu finden.

Wenn wir nicht jetzt in Europa einen Binnenmarkt gestalten, der uns von seiner Größenordnung her das notwendige Volumen bietet, können wir auf dem Wege zur lnformationsgesellschaft erneut eine Chance verpassen. Deshalb plädieren wir für die Standardisierung. In der Kommunikations- und Informationsindustrie gelten noch immer national begrenze Standards und Normen. Man muß erkennen, daß der europäische Binnenmarkt jetzt, nachdem Spanien und Portugal beigetreten sind, mit den zwölf Mitgliedstaaten etwa 300 Millionen Menschen umfaßt. Das ist ein Riesenpotential, viel größer, auch in der Gesamtheit der Kauf-kraft, als Japan. Nun müssen wir dafür auch einen gemeinsamen Binnenmarkt schaffen, einen Binnenmarkt ohne hohe Zollmauern, ohne Bürokratie, ohne Abschottung von der Außenwelt. Vielmehr böte sich der Industrie erstmals die Möglichkeit, diesen Markt gemeinsam bearbeiten zu können.

Wir brauchen uns nicht zu fürchten

Wir brauchen uns nicht vor der japanischen Konkurrenz zu fürchten. Wir haben alles, um die richtigen Antworten zu geben. Das Problem ist, daß wir die Antworten nur bruchstückhaft geben und nicht mit jener Geschlossenheit, deren es zum Erfolg bedarf.

Wenn der politische Wille zur Umsetzung der Ideen in Aktionsprogramme innerhalb der EG wirksam wird, und zwar schnell, dann können wir mit Zuversicht dem 2 1. Jahrhundert entgegensehen. Mit Pessimismus läßt sich da wenig tun.

Cornelis Bossers ist Vorsitzender des Vorstands der Allgemeinen Deutschen Philips Industrie GmbH, Hamburg. Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Version eines Vortrags, den Bossers anläßlich der Mitgliederversammlung der Fachgemeinschaft Büro- und Informationstechnik im VDMA am 18. Oktober 1985 in München gehalten hat.