Wenn MSX zum UdSSR-Ausbildungsstandard wird:

Japaner sahnen mit Mikros in Sowjet Schulen ab

16.08.1985

TOKIO (lo) - Japan liegt vorn: Ein 3,6 Millionen-Dollar-Auftrag beendet die erste Runde im Rennen um den Einstieg in das Schulcomputergeschäft mit der UdSSR. 4000 Mikros der Firma Nippon Gakki Co. sowie Peripherie von Star Micronics Co. sind indes, meinen westliche Experten, nur ein Tropfen auf den heißen Stein im größten Schulsystem der Welt. Die abgeschlagenen Mitbewerber USA und Europa rechnen sich also noch Chancen aus:

Der 8-Bit-Rechner, für den sich die Electronorgtechnica - letzte Instanz der UdSSR in Sachen Elektronik - entschied, ist eine Version des Homecomputers Y 59 800 von Yamaha. Er läuft mit MSX-Software des Hauses Microsoft Corp. aus den USA. Das Paket vervollständigt ein Drucker, ein Monitor und ein Floppy-Laufwerk. Zusammen kommt dieses Equipment auf rund 314 US-Dollar. "Der reinste Sommerschlußverkauf", staunen die glücklosen Mitbewerber wie Sinclair Research Ltd., Memotech Ltd. und Tandy Corp. sowie Matsushita und Toshiba Corp.

Im Ruck-zuck-Verfahren Techno-Lücke füllen

Moskau will, so vermutet das Wall Street Journal, möglicherweise eine Million Kleinstrechner in Schulen installieren, um im Sektor Ausbildung mit westlichem Technik-Environment gleichzuziehen. "Der Nachholbedarf an Computern in der UdSSR ist enorm", weiß Takuya Eda, Direktor des Tokioer Handelsunternehmens Shinjidaisha, das das Equipment zusammenstellte. Neue Verhandlungen über weitere mehrere tausend Rechner laufen.

Angesichts der sowjetischen Techno-Lücke ordnete das Politbüro im März dieses Jahres eine schnellere Gangart bei der Technikausstattung der sozialistischen Gesellschaft an. Im Herbst dieses Jahres soll dann der Computerunterricht starten. Computerkunde, Mathematik, aber auch Geschichte und Geografie gelten für die westlichen Unternehmen wie

auch der fremdsprachliche Unterricht als erste Einsatzgebiete.

Da sich die Sowjets schwer mit der Entwicklung von Kleinstgeräten tun, sind selbst Homecomputer für diesen Zweck willkommen. Die volkseigene Spitzentechnik produzierte bisher hauptsächlich Großrechner. Billige, leistungsfähige Mikrocomputer tauchten selten in russischen Produktlinien auf. Nur wenige beachtete Versuche - zunächst meist offiziell bejubelt - fanden statt, in dem untersten Leistungsbereich Fuß zu fassen: etwa mit dem "Agat", einem Apple-Ableger. Ihn nannten amerikanische Experten jedoch einen Witz, nachdem sie den Rechner in Moskau testen konnten. Er sei um 30 Prozent langsamer als der Stammvater. Weiterhin gibt es die Mikrocomputerfamilien mit Namen "SM" und "Elektronika", zwei Serien von 8-Bit- und 16-Bit-Maschinen.

Die UdSSR plant nach Meldung offizieller Stellen, 50 000 Computerzentren in Schulen mit der noch zu erwerbenden Million Rechner auszustatten. Bis vor kurzem, so der Eindruck von Repräsentanten der französischen Firma Thomson S. A. in Moskau, schien noch verblüffende Unklarheit bei den Sowjets über die eigenen Wünsche zur Spezifikation zu herrschen.

In der großen Linie kristallisierten sich indes nach und nach einige Parameter heraus. Jedes dieser Zentren soll einen Verbund von 8-Bit-Geräten besitzen, wobei die Rechner der Schüler mit dem Zentralgerät der Lehrkraft verknüpft sind.

Vierfarben-Displays im japanischen Format gehören dazu, ein täglicher Dauerbetrieb von zehn Stunden ist geplant. Eine weitere Anforderung allerdings überraschte in England wie auch in den USA besonders. Der Rechner sollte neben Russisch auch über Englisch auf Keyboard sowie im Programmierbereich verfügen. Damit steht russischen Anwendern der - schon lange genutzte - Weg frei in das nahezu unüberschaubare Angebot westlicher Standard-Software. Englisch ist eine Art Esperanto für russische Benutzer, betont Verkaufsmanager Jan Tyszka bei Sinclair Research.

Den Startschuß zu dem Hindernislauf westlicher Techno-Repräsentanten mit sowjetischer Politbürokratie gab im Januar 1985 die Elektronik-Messe in Moskau. Als Bewerber um die Gunst russischer offizieller Stellen traten Sinclair, die ebenfalls englische Memotech Ltd. sowie die Acorn Computer Group plc. an. Einen Monat später folgten für weitere Unternehmen Einladungen aus Moskau. Verhandlungen fanden mit der Akademie für Wissenschaft und dem Komitee für Wissenschaft und Technologie statt. Die Experten aus dem Westen trafen dort auf kundige Fachleute. "Unsere Gesprächspartner kennen die Literatur aus dem Westen und wissen mehr als angenommen über Computer", sagte Ron Stegall, ein Senior Vice President von Tandy.

Total im dunkeln dagegen tappten nach seiner Meinung wiederum Verantwortliche vom Erziehungs- und Bildungsministerium. Gerade sie hätten jedoch über den Einsatz der modernen Technik zu entscheiden.

UdSSR-Experten kontra Polit-Bürokraten

Im April und Mai hatten englische Unternehmen gerade ihre Präsentationen beendet, als sie von Anschreiben um Preisangaben an amerikanische, französische und japanische Unternehmen Wind bekamen.

Als letzte am Start, rechneten sich gegenüber den Mitbewerbern aus Übersee die Japaner wenig Chancen aus. Unter ihnen waren die beiden großen Anbieter Toshiba und Matsushita Corp. noch am zuversichtlichsten. Besonders Matsushita - zusammen mit der Sony Corp. weltweit in Entwicklung und Vermarktung von MSX-Maschinen an vorderer Stelle - hegte Hoffnungen, wie auch ganz sicher Nippons größte Mikrohersteller NEC Corp. und Fujitsu Ltd.

Warum die Wahl auf Japans Nummer sechs im MSX-Geschäft fiel, ist den Mitbewerbern ebenso unerklärlich wie - für Ron Stegall - die gesamte sowjetische Verhandlungstaktik: "Da weiß oft die linke Hand nicht, was die rechte tut".

Falls MSX in sowjetischen Schulen zum Standard werden sollte, rechnen sich zumindest die japanischen Hersteller gute Chancen aus. Toshiba etwa kalkuliert langfristige Verhandlungen ein: "Wir sind da, wenn der Rest der Millionen Maschinen geordert wird."

Westliche Hersteller vermuten zudem, daß die Sowjets in ein bis zwei Jahren auch westliche Modelle in Lizenz herstellen werden wollen.

Die Begeisterung über diesen Deal ist in Japan spürbar. Als Segen empfindet etwa Japans Wirtschaftsblatt Nihon Keizai Shimbun den Einstieg in den Sowjetmarkt, eröffneten sich doch damit zumindest im Low-cost-Sektor weit größere Chancen als beim glücklosen US-Engagement des fernöstlichen Inselstaates.

Nur ein kleines Stück vom US-Kuchen bekommen

Mit einigen Ausnahmen waren japanische Unternehmen in jüngster Vergangenheit nämlich nicht sehr erfolgreich bei der Vermarktung von Computersystemen unter eigenem Markennamen in den USA. So stieg der japanische Anteil am amerikanischen Markt von 40 Milliarden Dollar zwischen 1982 und 1983 laut amerikanischem Wirtschaftsministerium von drei auf fünf Prozent.

Am besten schnitten die Hersteller aus Fernost noch mit Peripherie und Heimcomputern sowie tragbaren Rechnern ab. Bei professionellen Systemen für das Büro hapert es bereits. Laut Future Computing Inc., einem Marktforschungsunternehmen aus Texas, konnten japanische Anbieter fünf Prozent US-Mikrocomputermarktes erringen.

Wie man den Ostblock, insbesondere die UdSSR vom Erwerb westlicher "High Tech" - speziell für militärische Zwecke - abhalten kann, beschäftigt die USA und ihre Verbündeten seit langem. Exportkontrollen für Hochgeschwindigkeitsrechner und Halbleiter existieren bereits. Erst die kürzlich gelockerten Handelsbeschränkungen zwischen West und Ost in Teilbereichen moderner Technik schufen ein günstiges Klima. Das Coordinating Committee (CoCom) billigt seit kurzem die Ausfuhr leistungsschwacher Rechner. Gleichzeitig verschärften sich die Restriktionen bei größeren Maschinen sowie Software. Auf der "Beobachtungsliste" stehen neuerdings auch Bio-Chips.

Während Europa ein gelockertes Verhalten bewahrt, solange es sich nicht um strategisch-militärische Produkte handelt, zeigt sich die US-Regierung engstirniger. Keinesfalls dürfte die Grundausstattung für Schulen die Herstellung leistungsstarker Vernetzungen erlauben - da habe man auch weiterhin ein besonderes Augenmerk darauf.