Jahrhundertaufgabe: Breitbandverkabelung

08.10.1982

Gerhard Hennemann, Süddeutsche Zeitung

Staatliche Investitionshemmnisse abzubauen - diese Absicht zählt seit Jahren zu den plakativen Ankündigungen der CDU/CSU von Maßnahmen zur Überwindung der gegenwärtigen Wachstumsschwäche. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird eine derartige Forderung daher auch in der Regierungserklärung eines künftigen Kabinetts Kohl/ Genscher auftauchen, zumal die Freien Demokraten in der Beurteilung des Sachverhalts fast nahtlos mit den Unionsparteien übereinstimmen.

Unter den drei großen Bereichen (Energie, Verkehr und Telekommunikation), die stets im Zusammenhang mit dem Stichwort Investitionshemmnisse genannt werden, nimmt das Problemfeld der Telekommunikation eine gewisse Sonderstellung ein. Bei allen künftigen Überlegungen zum weiteren Ausbau des technischen Kommunikationssystems in der Bundesrepublik handelt es sich nicht nur um eine Weichenstellung für die längerfristige Investitionspolitik auf dem Gebiet des Fernmeldewesens, sondern darüber hinaus in viel bedeutenderem Umfang um eine Weichenstellung für die zukünftige Medienlandschaft.

Verbindungsstrategie

Entscheidend für den Ausbau der technischen Infrastruktur durch Breitbandnetze, Satellitensysteme und neue Kommunikationsträger wird sein, ob es der neuen Bundesregierung schon bald gelingt, die seit Jahren von den Sozialdemokraten praktizierte medienpolitische Verhinderungsstrategie zu beenden und durch klare medienpolitische Entscheidungen neue Anreize für den Ausbau der fernmeldetechnischen Infrastruktur zu geben. Niemand kann es der Bundespost heute verübeln, daß sie sich in den letzten Jahren aus dem medienpolitischen Grabenkrieg der Parteien herausgehalten hat und sie sich deshalb nur auf jene Bereiche konzentrieren konnte, bei denen sie nicht in Kollision mit dem von den Sozialdemokraten verbissenen verteidigten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystemen geriet. Und das bedeutete ausschließlich die Errichtung großflächiger Gemeinschaftsantennenanlagen zur Verteilung der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehprogramme .

Die "neue Mehrheit" von CDU/CSU und FDP muß schleunigst ein medienpolitisches Konzept vorlegen, wenn der Abbau von Investitionshemmnissen im Bereich der Telekommunikation keine Leerformel bleiben soll. Programmatisch einig scheint bisher allein die CDU/CSU, nämlich sowohl öffentlich-rechtliche als auch private und kommerzielle Programmanbieter in der Bundesrepublik zuzulassen. Jedes unionsgeführte Bundesland ging jedoch bislang seinen eigenen Weg. Von Abstimmung war nicht viel zu spüren. Was die Freien Demokraten in der Medienpolitk anvisieren, ist dagegen noch reichlich unklar. Offiziell gelten für die FDP immer noch die liberalen Leitlinien für neue Medien aus dem Jahre 1979. Darin befürwortet die Partei zwar private Anbieter von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, die allerdings nicht kommerziell tätig werden sollen. Wie dieser Widerspruch aufgelöst werden kann, das sollte ein Gesetzentwurf der Bonner FDP zeigen, den es jedoch auch nach drei Jahren immer noch nicht gibt.

Man mag darüber streiten, ob dieses medienpolitische Wirrwarr praktisch einem "Verkabelungsstopp" gleichgekommen ist, wie es die bisherige Opposition stets behauptete, oder ob die Bundespost alle technisch und ökonomisch sinnvollen Projekte im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten in Angriff genommen hat. Fest steht jedenfalls, daß seit Ablieferung des Abschlußberichts der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) im Jahre 1976 zwar viel über neue Medien diskutiert wurde, jedoch relativ wenig geschehen ist. Videotext und Bildschirmtext stecken noch in der Versuchsphase. Über die bundesweite Einführung von Bildschirmtext ab Herbst 1983 wird noch politisch gestritten. Unbestreitbar ist dagegen, daß der entscheidende Durchbruch neuer Medien nur nach einer vorangegangenen Breitbandverkabelung erfolgen kann.

Was hier in den Jahren seit 1976 von der Bundespost installiert wurde, eignet sich noch in keiner Weise für den Start eines neuen Medienangebots per Kabel. In der gesamten Bundesrepublik hängen derzeit nur etwa 1,3 Prozent aller Rundfunk- und Fernsehteilnehmer an örtlichen Kabelnetzen der Post, die keine Verbindung miteinander haben. Nicht einmal die geplanten vier Pilotprojekte für das Kabelfernsehen werden über eine für neue Anbieter attraktive Zahl von Anschlüssen verfügen.

Das Argument der medienpolitischen Bremser, eine gewisse Zurückhaltung bei der Verkabelung der Bundesrepublik sei so lange zu empfehlen, bis die Glasfaser das herkömmliche Kupfer-Koaxialkabel ablösen kann, sollte sich die künftige Bundesregierung erst gar nicht zu eigen machen. Denn: Erstens gibt es noch keine Garantie dafür, daß die Glasfasertechnik ab Mitte der 80er Jahre im großen Stil zur Verfügung steht; zweitens ist das Koaxialkabel für die meisten Verteilungssysteme ausreichend leistungsfähig, und drittens werden ohnehin Kombinationsmöglichkeiten beider Technologien bei den Pilotprojekten getestet.

Suche nach technischen Entschuldigungen

Zu hoffen ist, daß ein neuer Bundespostminister, den aller Voraussicht nach die CDU/ CSU stellen wird, die Jahrhundertaufgabe der Breitbandverkabelung mit mehr Schwung in Angriff nehmen darf als etwa der Sozialdemokrat Kurt Gscheidle, der ständig nach neuen technischen Entschuldigungen suchen mußte, um den Ausbau des Netzes unter dem Druck seiner Partei hinauszuzögern.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen der Süddeutschen Zeitung vom 25./26. September '82, Seite 33.