IuK-Technik: Vom Rationalisierungs- zum strategischen Wettbewerbsinstrument

23.02.1990

Dirk Nouvortne, Gerling-Konzern AG, Köln*

Betrachtet man die vielfältigen Kommunikationspartner eines Versicherungsunternehmens, und dort insbesondere im Erstversicherungsbereich, so wird deutlich, daß in einer Periode zunehmender elektronischer Kommunikation immer höhere Anforderungen an die Kommunikationsinfrastruktur gestellt werden. Es zeichnet sich ab, daß das Kommunikationsnetz unseres Hauses sich von einem sternförmigen über ein Value-Added-Datennetz zu einem integrierten Mehrrechner-/Mehrdienstenetz

unterschiedlicher Kommunikationsformen entwickelt. Daß diese Entwicklung erhebliche Investitionen nach sich zieht, die ihrerseits durch einen Nutzen gerechtfertigt werden müssen, ist für ein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeitendes Unternehmen selbstverständlich. Probleme gibt es dabei jedoch in einer rein quantitativ betriebenen Kosten/Nutzen-Betrachtung, die nicht immer möglich ist. Die Frage ist jedoch, ob dies immer erforderlich ist.

Im Grunde ist der Inhalt der Überschrift Gegenstand jeder Betrachtung, die die Wirtschaftlichkeit moderner Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie zum Thema hat. Vor allem im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt wird herausgestellt, daß sich der Wettbewerb dermaßen verstärkt, daß Unternehmen gar nicht umhinkommen, zeitgemäße Technologien strategisch einzusetzen. Das Kostenmoment scheint zunehmend in den Hintergrund zu geraten.

Es ist sinnvoll, diesen Wandel in der Betrachtungsweise beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie zu analysieren und die Zielsetzungen bei Implementierungen zu differenzieren.

Ein nicht mehr unbedingt zeitgemäßes Verständnis betriebswirtschaftlicher Rationalität scheint die Ursache dafür, daß beim Einsatz moderner Kommunikationstechnologien die Kosten/Nutzen-Betrachtungen über rein quantitative Bewertungen nicht hinausgehen. Trotzdem ist diese Behauptung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Entwicklungsniveaus in verschiedenen Branchen zu differenzieren.

Nach wie vor hat die rein quantitative Bewertung dort seine Berechtigung, wo die Automatisierung und damit auch die Rationalisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Beispielhaft seien hier die öffentlichen Verwaltungen angeführt, wo der Durchdringungsgrad an DV-Anwendungen noch nicht so hoch ist. Hier lassen sich mit der Implementierung von Online-Anwendungen Einsparungspotentiale erschließen, die sich aufgrund quantifizierbarer Methoden wirtschaftlich rechtfertigen.

Dieses Stadium haben andere Branchen, wie beispielsweise das Versicherungswesen erreicht. Hier gibt es eine vergleichbar hohe Durchdringung an Online-Anwendungen.

Kommen wir zur organisatorischen Theorie, die für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung handlungsleitend ist. Der Versuch, Rationalisierungspotentiale zu erschließen, richtet sich vielfach auf einzelplatzbezogene Betrachtungen. Ein Arbeitsablauf wird in verschiedene Einzelaktivitäten zergliedert, mit deren Wahrnehmung dann Spezialisten betraut werden.

Um die Produktivität dieser Spezialisten zu erhöhen, werden ihnen Automatismen zur Verfügung gestellt, mit denen sie das Massengeschäft dann besser bewältigen können. Vielfach, bei besonders hoher Spezialisierung, werden diese Aktivitäten, die leicht formalisierbar und strukturierbar sind, gegebenenfalls ganz automatisiert, mit der Folge der Freisetzung entsprechender Arbeitskraft.

Das organisationstheoretische Modell, das hinter dieser Vorgehensweise steht, ist der Taylorismus, dessen Philosophie auf ein ingenieurmäßiges Vorgehen bei der Zerlegung eines Arbeitsprozesses zurückgeht.

Dieses Vorgehen ist, soweit es sich um strukturierbare Arbeitsprozesse handelt, unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten angebracht, stößt dort jedoch auf seine Grenzen, wo der Versuch unternommen wird, schlecht strukturierbare Entscheidungsprozesse ebenfalls mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie zu unterstützen. Diese Arbeitsprozesse lassen sich durch entsprechende Technik nicht substituieren. Ihr Ansatz ist vielmehr der Versuch, Arbeits- und Entscheidungsprozesse inhaltlich qualitativ anzureichern beziehungsweise zu beschleunigen. Typische schlecht strukturierbare Entscheidungsprozesse liegen beispielsweise im Management oder im Vertrieb. Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, die sich auf Rationalisierung bezieht und das Einsparungspotential auf der Basis von Manntagen ermitteln will, ist hier völlig fehl am Platz.

Der organisationstheoretische Ansatz darf bei der Bewertung von Kosten/Nutzen-Aspekten moderner Kommunikationstechnologie nicht mehr von einzelarbeitsplatzbezogenen Kategorien ausgehen, sondern muß sich systembezogen verstehen. Es ist die Fülle komplexer Zusammenhänge in die Betrachtung mit einzubeziehen, die beispielsweise bei wettbewerbswirksamen Aktivitäten einhergehen. Gerade weil es sich um komplexe Prozesse handelt, ist es sinnlos, dies in Form mathematischer Algorithmen abzubilden. Hinzu kommt noch, daß es auch eine Ökonomik von Kosten/Nutzen-Betrachtungen geben muß. Der Aufwand einer Kosten/Nutzen-Berechnung muß sich in Grenzen halten.

Unverständlich ist das widersprüchliche Verhalten von sogenannten Systemanalytikern in der EDV, die zwar beim Systemdesign von Online-Anwendungen den Systembezug beschwören, in der organisatorischen Arbeit für den Fachbereich jedoch jegliche ganzheitliche systembezogene Betrachtungsweise vermissen lassen.

So erklären sich Disfunktionalitäten aufgrund veralteter Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, wenn beispielsweise bei der Implementation einer Electronic-Mail-Anwendung oder der Nutzung von Telematikanwendungen wie Fax, darauf Bezug genommen wird, daß sich die Transportzeiten von Informationen/Arbeitsvorgängen erheblich verkürzen, die gesamte Bearbeitung eines Vorgangs - mithin ein wettbewerbsstrategischer Faktor im Rahmen eines Unternehmensziels "Kundenfreundlichkeit" - sich jedoch nicht verändert. Es verkürzen sich zwar "meßtechnisch" objektiv die Transportzeiten, was nützt dies aber, wenn der Stapel an Geschäftsvorgängen, der von einem Sachbearbeiter zu bearbeiten ist, dadurch anwächst, er also kein Instrumentarium erhält, diesen Stapel entsprechend der Verkürzung der Transportzeit schneller zu bearbeiten.

Bleibt zusammenzufassen, daß Rationalisierungsüberlegungen auf dispositive und schlecht strukturierbare Aktivitäten auszuweiten sind und daß moderne Kommunikationstechnologie nicht mehr als einzelplatzorientiertes Instrumentarium aufzufassen ist. Es handelt sich vielmehr um infrastrukturelle Technologie die als grundsätzlich gestaltungsoffene Möglichkeit zur Organisations-, Arbeits- und Marktunterstützung herangezogen werden kann.

Damit zeigt sich auch der Wandel von einer nach innen gerichteten Rationalität auf das Unternehmen bezogen, hin zu einer Markt- und Kundenorientierung. Nicht die Kostenreduzierung um jeden Preis muß unter betriebswirtschaftlichen Maßstäben handlungsleitend sein, sondern darüber hinaus die Informationsverfügbarkeit und -aktualität, die Unterstützung qualifizierter Sachbearbeitung und die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen durch gesteuerten Informationsfluß weisen auf ein gewandeltes Verständnis von Rationalisierungsprozessen im Büro hin. +

*Der Beitrag ist die Einleitung eines Referats, das Dr. Dirk Nouvortne auf dem CSE-Kongreß "Informationssysteme - Controlling" in München gehalten hat. Die Langfassung ist in dem CSE-Kongreß Band enthalten, der bei CSE Conferences, Seminars, Education, Rheinstraße 28, 8000 München 40, Telefon 0 89/3 60 86-1 69, zum Preis von 120 Mark erschienen ist.