itl-Studie fuehlt DTP-Programmen auf den Zahn Fuer das Electronic Publishing gibt es kein Universalwerkzeug

12.05.1995

MUENCHEN (CW) - Das auf Technische Dokumentation und Electronic Publishing (EP) spezialisierte Muenchner Dienstleistungsunternehmen itl GmbH (Institut fuer technische Literatur) hat die Ergebnisse einer Untersuchung veroeffentlicht, bei der sechs namhafte, 1994 verfuegbare EP-Systeme anwendungsbezogen getestet wurden. Die Studie beruht auf Mustervorlagen fuer typische Aufgaben im Bereich der technischen Dokumentation und des kreativen Seitenlayouts.

Bei den sechs ausfuehrlich untersuchten Kandidaten handelt es sich um die EP-Systeme "Corel Ventura 4.2" (mittlerweile in Version 5.0 verfuegbar), "Framemaker 4.02", "Interleaf 6.01", "Pagemaker 5.0", "Word fuer Windows 6.0a" und "Wordperfect fuer Windows 6.0a". Ausserdem enthaelt die Studie Kurzbesprechungen der Programme "Ami Pro 3.01 fuer Windows", "Global View GVX 1.0 fuer Unix" und "Quark Xpress 3.12 fuer Windows", wobei das Musterdokument mit diesen Systemen aus verschiedenen Gruenden nicht erstellt werden konnte.

Die Tests konzentrierten sich auf die fuenf Kernbereiche der Dokumentenerstellung: Text-, Formel-, Grafik- und Tabellenverarbeitung sowie Buchfunktionen.

Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: Interleaf eignet sich von den untersuchten Systemen am besten fuer lange, strukturierte Dokumente, beim kreativen Seitenlayout innerhalb kurzer Dokumente hat sich Pagemaker bewaehrt, waehrend Framemaker sehr gut gemischte Anforderungen erfuellt; Word fuer Windows ohne Bugs waere das beste System fuers Buero.

Bezueglich der einzelnen Programme ergaben sich folgende Beurteilungen:

Corel Ventura 4.2 als Nachfolger von Ventura Publisher ist vor allem im Preis-Leistungs-Verhaeltnis unschlagbar. Fuer strukturierte Dokumente und streng strukturiertes Vorgehen bietet die Software eine gute Funktionalitaet. Allerdings ist das Publishing-System bis Version 4.2 nicht weiterentwickelt worden und haelt sich deshalb nicht an die Windows-Konventionen, in der Benutzer-Schnittstelle hatte die Software Nachholbedarf. Diese Maengel sind mit Release 5.0, das erst seit Anfang des Jahres erhaeltlich ist und deshalb im Test nicht mehr beruecksichtigt werden konnte, weitgehend behoben.

Komplettloesung fuer Online-Dokumentation

Framemaker 4.02 enthaelt hervorragende Strukturfunktionen, erlaubt aber darueber hinaus auch flexible, seitenorientierte Gestaltungsarbeit. Als einziges System bietet Framemaker eine Komplettloesung fuer Online-Dokumentationen und kann Hyperlinks automatisch generieren. Besonders hervorzuheben sind die Verfuegbarkeit des Programms auf allen gaengigen Plattformen und die weitreichenden Moeglichkeiten zum Datenaustausch.

Interleaf 6.01 zeichnet sich durch die umfassendste Funktionalitaet fuer strukturierte Dokumente aus und erwies sich im Test in diesem Bereich als echtes High-end-System. Als einziger Pruefling erfuellte es nahezu alle Anforderungen des itl-Musterdokuments. Allerdings benoetigt Interleaf auch absolute High-end-Hardware, ansonsten ist die Performance eher unbefriedigend. Schwaechen zeigt das Programm bei Funktionen fuer kreatives Seitenlayout; beliebig drehbare Mikrodokumente wie zum Beispiel Textrahmen fehlen.

Pagemaker 5.0 hat gegenueber dem direkten Konkurrenten Quark Xpress aufgeschlossen und ihn in einigen Bereichen sogar ueberholt. Wie bei Quark liegen die Staerken dieser Software im Bereich kurzer Dokumente mit kreativem Seitenlayout. Fuer groessere Dokumente ist Pagemaker wegen des Klebelayout-orientierten Grundprinzips weniger geeignet.

Word fuer Windows 6.0a kann seine Konzeption als Textverarbeitungssystem nicht verleugnen. Als Office-System ist Winword neben Wordperfect eindeutig zu empfehlen. Bei den Buchfunktionen ueberzeugt die Software allerdings nicht. Wer groessere und sauber strukturierte Dokumente erstellen muss, wird mit Word nicht klarkommen. Unglaublich sind ausserdem die vielen kleinen und grossen Bugs: Nur Word hat es geschafft, das itl- Musterdokument zu zerstoeren. Pluspunkte sind die Gestaltung der Dialogboxen mit Registern - dies duerfte ein neuer Referenzstandard werden. Wordperfect fuer Windows 6.0a hinterlaesst einen zwiespaeltigen Eindruck: Einerseits handelt es sich um ein maechtiges Werkzeug, ein integriertes Office-System, das sogar eine Tabellenkalkulation enthaelt. Andererseits beruht das Programm zu sehr auf dem zeichenorientierten Ansatz der Schreibmaschine; entsprechend sind die Layoutfunktionen oft zeilenbezogen eingeteilt. Wordperfect ist das flexibelste System, aber auch das am schwierigsten zu erlernende. Hinzu kommt, dass die Software aehnlich fehlerhaft ist wie Winword.

Vom Ansatz her gute Buchfunktionen

Ami Pro 3.01 zeigt im Ansatz viele hervorragende Eigenschaften. So ist zum Beispiel die Buchfunktion von der Idee her besser geloest als bei den Konkurrenten. Allerdings bereitete das Programm beim Erstellen des Musterdokuments unloesbare Schwierigkeiten.

Global View GVX hat eine symbolorientierte, anwenderfreundliche Oberflaeche. Einiges an dem Programm ist jedoch antiquiert: Als einziges Publishing-System kennt GVX keinen Online-Seitenumbruch. Die Funktionen zur typografischen Gestaltung sind maessig. Einige wichtige Automatismen fuer strukturierte und aenderungsfreundliche Dokumentationen wie beispielsweise Numerierungsfunktionen fehlen.

Quark Xpress 3.12 eignet sich fuer kreative Seitenlayouts und zeigt hier hoechste Praezision. Fuer strukturierte Dokumente bietet die Software im Grundpaket keine Funktionen (mit den dazu notwendigen "Xtensions" wird die Publishing-Loesung zur sehr teuren und immer noch unpraktischen Angelegenheit).