Itil: Zwischen Entwicklung und Betrieb hakt es

26.05.2007
Von Georg Disterer
Die Inbetriebnahme neuer oder geänderter Anwendungen bereitet wegen der großen Unterschiede zwischen den Abläufen in der Anwendungsentwicklung und im Betrieb häufig Probleme.

Das gilt insbesondere für IT-Abteilungen, die große Teile ihrer IT-Leistungen von Outsourcern beziehen. Im Betrieb dominiert das Interesse, einen zuverlässigen und stabilen IT-Ablauf zu gewährleisten, daher wird ungern in laufende Systeme eingegriffen. Prozesse, die die Übergabe einer Anwendung in den Betrieb und ihre Inbetriebnahme beschreiben, sind daher kritisch und sollten in keinem Vertrag zwischen Outsourcer und Anwenderunternehmen fehlen. In der Praxis erweist sich diese Schnittstelle häufig jedoch als brüchig, weil sie von gängigen Vorgehens- und Referenzmodellen nicht ausreichend unterstützt wird. Rollen- und Aufgabenverteilungen sind nicht klar geregelt, so dass fehlende Zuständigkeiten und Missverständnisse zu Spannungen führen.

Hier lesen Sie ...

  • welche Interessen Betriebs- und Projektorganisationen verfolgen;

  • welche Schwächen Itil und Projekt-Management-Methode haben;

  • warum sich die Übergabe von Projektergebnissen in den Betrieb oft schwierig gestaltet;

  • wie Prozesse für die Inbetriebnahme gestaltet werden sollten.

Das Kompetenzzentrum "Information Technology and Management" (CC_ITM) an der Fachhochschule Hannover hat in Zusammenarbeit mit IT-Anwenderunternehmen eine Reihe von Kommunikations- und Koordinationsmängel identifiziert, die Inbetriebnahmen neuer Anwendungen behindern können:

  • So waren Abläufe zur Übergabe von Anwendungen an den Betrieb nicht klar und eindeutig geregelt und mussten ad-hoc vervollständigt werden.

  • Mitarbeiter im Betrieb mussten für offene Fragen aufwändig Ansprechpartner der Entwicklung suchen, da Projektteams schon aufgelöst waren.

  • Der Aufwand für notwendige Nachbesserungen an den Anwendungen konnte nicht aufwandsgerecht zugeordnet werden und belasteten Budgets des Betriebs.

  • Die für den Betrieb notwendigen Vorlaufzeiten zur Vorbereitung und Durchführung einer Inbetriebnahme wurden von der Anwendungsentwicklung als bürokratisch und zu strikt wahrgenommen.

  • Der Betrieb konnte auf Zeitverschiebungen in den Entwicklungsprojekten nicht immer mit der von der Anwendungsentwicklung erwarteten Flexibilität reagieren, sondern konnte nur fest definierte Zeitfenster zur Inbetriebnahme anbieten.

  • Komplexe und verteilte Betriebsumgebungen waren nur schwer in Entwicklungs- oder Testumgebungen nachzustellen, so dass unterschiedliche Hardware- und Softwareumgebungen in der Entwicklung und im Betrieb zu Mängeln führten.

Die Probleme treten mit der zunehmenden Implementierung von standardisierten Abläufen und Prozessen in Entwicklungsarbeiten und im Betrieb noch deutlicher hervor. Referenzmodelle wie CMMI (Capability Maturity Model Integration), RUP (Rational Unified Process) und das V-Modell sowie Methoden des Projektmanagements (etwa Prince2) haben sich seit Jahren bewährt, wenn es um das Design, die Entwicklung und das Testen neuer oder geänderter Anwendungen geht. Mit der Einführung von Itil (Information Technology Infrastructure Library) oder anderer Vorgehensmodelle wird seit geraumer Zeit auch im zweiten großen Bereich des Lebenszyklus einer Anwendung - dem Betrieb - eine Standardisierung und Qualitätssteigerung angestrebt. Der jeweils anderen Seite des IT-Geschäfts widmen sich die Referenzmodelle jedoch nur rudimentär und auf hohem Abstraktionsniveau. Daher ist es kaum verwunderlich, dass sich der Übergang neuer Anwendungen in den Betrieb häufig schwierig gestaltet.

Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Betrieb

Der Lebenszyklus einer Anwendung sieht die wiederkehrende Überarbeitung vor. Den Übergang von der Entwicklung in den Betrieb lassen die verschiedenen Referenzmodelle (Itil, Rup, CMMI) außer Acht. Er bereitet daher oft Probleme. Quelle: Diesterer.
Der Lebenszyklus einer Anwendung sieht die wiederkehrende Überarbeitung vor. Den Übergang von der Entwicklung in den Betrieb lassen die verschiedenen Referenzmodelle (Itil, Rup, CMMI) außer Acht. Er bereitet daher oft Probleme. Quelle: Diesterer.

Konkrete Abläufe für den Übergang sind jedoch auch deshalb notwendig, weil die Entwicklungs- und Betriebs-Teams unterschiedliche Präferenzen und Arbeitsweisen haben. In der Anwendungsentwicklung werden Aufgaben in der Regel im Rahmen einer Projektorganisation bearbeitet. Die Projektmitglieder werden zeitweilig als Spezialisten in Arbeitsgruppen eingesetzt, die nach Projektende aufgelöst werden. Ihr Arbeitsergebnis - zumeist eine Anwendung - sollte aus Sicht der beteiligten Fachbereiche und der Anwendungsentwicklung den Anwendern möglichst schnell zur Verfügung stehen, um frühzeitig vom Nutzen der Neuerung zu profitieren.

Aus Sicht des IT-Betriebs haben Sicherheit, Stabilität und Kontinuität höchste Priorität. Organisatorisch sind die Abläufe hier so entworfen, dass sie eine dauerhafte und stabile Unterstützung gewährleisten. Anwendungen werden erst dann in die Abläufe integriert, wenn jedes Risiko ausgeschlossen ist. Zudem entwickelt sich das Verhältnis von IT-Abteilungen zu den Fachbereichen zunehmend zu einer Kunden-Lieferantenbeziehung, die auch Markt- und Wettbewerbsmechanismen unterliegt. Das gilt sowohl für interne Dienstleister als auch für ausgelagerte Bereiche. Diese Kunden- und Serviceorientierung verlangt auch von internen IT-Bereichen ein straffes und transparentes "IT Service-Management" (ITSM). Itil gilt für derartige Transformationsprojekte als De-facto-Standard zur prozessorientierten Ausrichtung des IT-Betriebs.

Stereotypen der IT-Bereiche

Anwendungsentwicklung

Betrieb

Projektorganisation

Routineorganisaton

Zeitlich befristet, termingebunden

Kontinuierlich

Innovativ, "kreativ"

Konservativ, "bürokratisch"

Fachlich orientiert

Technisch orientiert

Neuartige, einmalige Vorhaben

Standardisiertes, reproduzierbares Vorgehen

Wenig deterministisch

Deterministisch, streng geplant

Die Trennung zwischen projektorientierter Entwicklung und auf Routine angelegtem Betrieb ist durchaus beabsichtigt, um mit Entwicklungsprojekten schnell und flexibel auf neue oder geänderte Anforderungen reagieren zu können und zugleich einen stabilen Betrieb zur Unterstützung laufender Geschäftsprozesse sicherzustellen. Diese sinnvolle Abgrenzung stellt jedoch an der Schnittstelle von Anwendungsentwicklung und Betrieb eine besondere Herausforderung dar, weil hier Vorgehensweisen, die nach verschiedenen Referenzmodellen gestaltet wurden, inhaltlich abgestimmt und zeitlich zu synchronisieren sind. Das Spannungsfeld zwischen Anwendungsentwicklung und Betrieb wird deutlich an den Stereotypen, die den jeweiligen Bereich prägen (siehe Tabelle).

Lösungsansätze für den Übergang von Anwendungen in den Betrieb

Das Kompetenzzentrum der Fachhochschule Hannover sucht gemeinsam mit den Kooperationspartnern methodische, organisatorische und technische Lösungen, um die Schnittstelle zwischen Entwicklung und Betrieb zu verbessern. Zusammen mit den Unternehmen sollen detaillierte Prozesse entwickelt und geprüft werden, die die etablierten Referenzmodelle ergänzen und die Vollständigkeit sowie sinnvolle Sequenz notwendiger Abstimmungsschritte gewährleisten. Die Herausforderung dieses Vorhabens besteht darin, den funktionalen Anforderungen der Fachabteilungen und den nicht-funktionalen Anforderungen des Betriebs nach Performance und Wartbarkeit einen gleichberechtigten Stellenwert einzuräumen. Die Möglichkeiten und Restriktionen der technischen Betriebsumgebung müssen dazu frühzeitig in Konzeption und Entwurf neuer Anwendungen einbezogen werden. Betriebliche Standards und Sicherheitsanforderungen gehören daher detailliert aufgelistet in das Pflichtheft von Anwendungen.

Damit wird angestrebt, frühzeitig alle Belange des IT-Betriebs bei der Anwendungsentwicklung zu berücksichtigen, etwa indem in der Phase der Anforderungsdefinition der Betrieb ausdrücklich als einer der Anspruchsteller (stake holder) angesehen wird. Auf diese Weise sind Experten des Betriebs frühzeitig eingebunden und informiert. Auch sind in den Unternehmen regelmäßige Abstimmungsrunden zwischen Entwicklung und Betrieb etabliert, um anstehende Inbetriebnahmen vorzubereiten.

Die Untersuchungen des Kompetenzzentrums haben gezeigt, dass bei der Einführung von Itil gerade an der Schnittstelle zwischen den Bereichen der Anwendungsentwicklung und IT-Betrieb organisatorische "Feinarbeit" notwendig ist. Andernfalls werden zwar die Prozesse innerhalb der Bereiche verbessert, jedoch sind bei der Übergabe von Anwendungen an den Betrieb Probleme vorprogrammiert.