Stiftungslehrstühle: Tue Gutes und profitiere davon

IT-Wirtschaft hilft Hochschulen auf die Sprünge

18.06.1999
Von Veronika Renkes* Wenn Unternehmen Lehrstühle finanzieren wollen, greifen staatliche Hochschulen bereitwillig zu. Der Einfluß der Wirtschaft auf die Lehre wird sogar begrüßt, verspricht man sich doch von diesem Modell einen stärkeren Praxisbezug, von dem auch die Studenten profitieren können.

Im Haushalt der deutschen Hochschulen klafft ein Loch in Milliardenhöhe. Der Reformprozeß kommt nur mühsam in die Gänge. Praxisbezug und ein schnelles Reagieren auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes bleiben angesichts der fehlenden Gelder auf der Strecke. Die IT-Branche sucht händeringend Nachwuchs - und kann ihn trotz derzeit 1,8 Millionen eingeschriebener Studenten nicht finden.

Die desolate Finanzsituation des Staates wird sich so schnell nicht ändern. Mittlerweile hat die Wirtschaft, vor allem die IT-Branche, begriffen, daß Selbsthilfe angesagt ist. Um den Hochschulen auf die Sprünge zu helfen, haben Unternehmen etwa 160 Lehrstühle gestiftet.

Auch wenn die Stifter für ihr Engagement keine wirtschaftlich meßbare Gegenleistung von den Hochschulen verlangen, handeln sie nicht selbstlos. Die ergebnisorientierten Unternehmen analysieren sehr genau, auf welchen Forschungsgebieten Defizite bestehen und wo sie dringenden Informations- und Arbeitskräftebedarf haben.

Die Hochschulen wiederum greifen gern zu, wenn sie für fünf Jahre - in Baden-Württemberg sind es sogar zehn Jahre - einen zusätzlichen Lehrstuhl mit durchschnittlich 200000 Mark pro Jahr finanziert bekommen. Neben traditionellen Inhalten wie Betriebswirtschaftslehre oder Bürgerliches Recht setzten die Stifter in den vergangenen Jahren vor allem auf Themen rund um die Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Existenzgründung.

Aktuelles Beispiel ist die Ende 1998 bewilligte Stiftungsprofessur "Multimediale Anwendungssysteme unter besonderer Berücksichtigung von Netzdiensten für Finanzdienstleister" an der Technischen Universität Ilmenau. Dafür stehen für fünf Jahre 2,15 Millionen Mark zur Verfügung, davon zwei Millionen aus dem Stiftungsfonds der Deutschen Bank, der Rest vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Essen. Schwerpunkt der neuen Professur, die in diesem Sommer an den Start geht, ist die Untersuchung und Entwicklung von Strukturen und Strategien in Netzdiensten, vor allem im Internet. Dabei sollen gemäß der Ausrichtung des Hauptsponsors vor allem Produkte für Finanzdienstleister berücksichtigt werden.

Eng geknüpft an das Profil des Geldgebers wird auch die Stiftungsprofessur "Entrepreneurship/Innovations-Management" an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) sein, die der Softwarekonzern SAP bezahlt: "Wir arbeiten eng mit unserem Sponsor zusammen, der neue Lehrstuhlinhaber soll dies ebenfalls tun. Er soll eventuell gemeinsame Projekte mit SAP umsetzen und in der Forschung Probleme bearbeiten, die bei SAP auftreten", erläutert Lutz Hildebrandt, Prodekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der HUB.

Im Mittelpunkt der international ausgerichteten Professur stehen die Gründung und der Aufbau von Firmen. Zweites Standbein ist das Innovations-Management: Forschungs- und Entwicklungspotentiale sollen optimal ausgenutzt, Strategien zur Wissensvermittlung in Unternehmen entwickelt werden. Der Lehrstuhlinhaber, der noch berufen werden muß, soll eng mit internationalen Forschungsnetzen zusammenarbeiten. Vor allem an namhaften amerikanischen Universitäten wie Stanford gibt es Gründerzentren. Von deren Erfahrungen will die HUB profitieren. Daneben sind Kooperationen mit regionalen Trägern der Wirtschaftsförderung vorgesehen.

Von der Wirtschaft erwarten die Hochschulen aber nicht nur Geld, sondern auch neue Anstöße. "Der Stiftungslehrstuhl soll helfen, das Profil der Humboldt-Uni auszubauen," sagt Hildebrandt. Auch der Rektor der FH Gelsenkirchen, Peter Schulte, erhofft sich "einen Innovationsschub, der neue Themen und Arbeitsweisen in die Hochschule hineinträgt". Am Standort Bocholt wurde kürzlich eine "Stiftungsprofessur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Entrepreneurship und Marketing für kleine und mittlere Unternehmen" eingerichtet. Das Geld kommt von der Stiftung der Stadtsparkasse Bocholt und dem Westfälisch-Lippischen Sparkassen-Giroverband. "Als regional ansässiges Kreditinstitut haben wir Interesse daran, die Strukturen unserer Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern", betont Thomas Giessing von der Stadtsparkasse Bocholt. Dabei läßt sich das finanzielle Eigeninteresse des Bankgewerbes bestens mit den Zukunftsperspektiven der Studierenden in Einklang bringen: "Oft haben die Hochschulabsolventen gute Produktideen und technologisches Wissen. Ihnen fehlt aber noch das unternehmerische Know-how. Die von uns geförderte Professur kann ihnen das Rüstzeug mitgeben, um als Existenzgründer erfolgreich zu sein."

Auch in den Augen von Hildebrandt profitieren die Studierenden direkt vom Arrangement mit der Wirtschaft: "Sie bekommen Kontakt zu Unternehmen. Das erleichtert den Eintritt in den Arbeitsmarkt." Zudem würden sie durch praxisnahe Projekte besser auf das Berufsleben vorbereitet als bei Professoren, die reine Grundlagenforschung treiben.

"Durch die Einrichtung einer Stiftungsprofessur werden bis dato nicht vorhandene Forschungsgebiete für die Hochschule erschlossen und neue Lehrgebiete in meist zukunftsträchtigen Wachstumsfeldern angesiedelt", preist Manfred Erhardt, Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, die Vorzüge. Er rät angehenden Studenten, zu überprüfen, ob es in ihrem Fachbereich gesponserte Lehrstühle gebe. Die seien ein Indikator für ein lohnenswertes Studiengebiet - andernfalls würde sich die Wirtschaft nicht engagieren. Die Einrichtung von Lehrstühlen sei für die Wirtschaft ein wirksames Instrument, um den Fehlentwicklungen des Arbeitsmarktes entgegenzusteuern.

Stiftungsprofessuren kommen meist über den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zustande. Die gemeinnützige Institution nimmt eine Art Maklerrolle ein: Sie überprüft, ob die vorgeschlagenen Projekte den Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit genügen, und kümmert sich um eine solide Finanzierung. Die Landesregierungen müssen sich verpflichten, die Lehrstühle nach Ablauf der privaten Förderung regulär zu finanzieren: "Wir wollen keine Eintagsfliegen. Für zeitlich befristete Professuren würden wir keine wirklich hochqualifizierten Leute gewinnen", sagt der Generalsekretär.

* Veronika Renkes arbeitet als freie Journalistin in Bonn.