Thema der Woche

IT-Verliebtheit verstellt den Blick aufs Geschäft

26.02.1999
Koordinatoren gelten als Vermittler. In Zeiten immer stärkerer IT-Unterstützung der Fachabteilungen werden sie dringend gebraucht. Allerdings ist fraglich, ob sie die widerstreitenden Interessen ihrer beiden Kundengruppen unter einen Hut bringen können.

Wer in den vergangenen Monaten die Entwicklung des Stellenmarktes für Computerfachleute beobachtete, konnte feststellen, daß zunehmend Mitarbeiter für Organisation und Koordination gesucht wurden. Nach Berechnungen des EMC Medienservice/ Adecco haben sich die Jobangebote in diesem Bereichin 40 Tageszeitungen inklusive der CW 1998 gegenüber dem Vorjahr auf 5562 Stellen fast verdoppelt (siehe Grafik "Gesuchte Koordinatoren"). Das widerspricht der Expertenmeinung, wonach mit dem langsamen Verschwinden der zentralen DV auch Berufsbilder wie das des DV-Koordinators und des DV-Organisators untergehen werden.

Nach herkömmlicher Definition gehört der Koordinator zum Fachbereich und bildet das Bindeglied zwischen seiner Abteilung und den Computerexperten. Der Mainzer Berater Bruno Grupp, der seit vielen Jahren solche Experten ausbildet und auch Bücher zum Thema veröffentlicht hat, meint, daß der Koordinator zu 80 Prozent Fach- und den Rest IT-Know-how mitbringen sollte. Der Organisator, der seinen Platz in der DV hat, kümmert sich um die Arbeitsabläufe in seiner Abteilung, bei ihm sollte laut Grupp das Verhältnis von IT- zu Betriebswirtschafts-Kenntnissen genau umgekehrt sein wie beim Koordinator.

Die aktuellen Jobofferten zeigen indes - eine Entwicklung, die für DV-Berufe insgesamt gilt -, daß jeder Arbeitgeber die Berufsbilder anders versteht und ihnen unterschiedliche Aufgaben zuordnet. In den Stellenanzeigen wird vom Koordinator eine Menge IT-Wissen erwartet, von Cobol-Programmierung über Unix bis hin zu WindowsNT. Außerdem scheint er immer öfter in der DV- statt in der Fachabteilung angesiedelt zu sein.

Ein Beispiel für die Veränderung. Roman Wunderli arbeitet als Koordinator im Kantonsspital Winterthur. Der studierte Informatiker gehört zur DV-Abteilung und muß die Fachabteilungen bei der Suche nach IT-Werkzeugen unterstützen. Diese haben freie Hand, für welche Tools sie sich entscheiden. Auch sie müssen also über ein gerütteltes Maß an Computerfachwissen vorfügen. Wunderli hat dabei aufzupassen, daß sich die Computerwünsche der Anwender in die DV-Strategie des Unternehmens integrieren lassen.

Der Informatiker stellt den Kontakt zwischen Anwendern und externen Software- und Beratungsfirmen her. Er muß einen Überblick über Produkte, Anbieter, aber auch IT-Trends haben. "Informatikkenntnisse stehen nicht im Vordergrund, sondern die Sozialkompetenz", definiert der Schweizer DV-Profi sein Profil. Es sei ihm auch keineswegs leichtgefallen, die Probleme aus der Perspektive des Benutzers zu betrachten. Er ist aber überzeugt, daß dies, verglichen mit früher, die bessere Lösung ist. In der Vergangenheit kümmerte sich die IT-Abteilung des Krankenhauses um alle Belange der Benutzer, die oft unzufrieden mit den Lösungen der Computerfachleute waren. Nun bestimmen die Anwender, was ins Haus kommt, und die Kritik fällt auf sie zurück.

Der Mittelständler Schuster & Sohn in Kaiserslautern, ein Großhandelsunternehmen mit den Produktbereichen Mineralöl, Farben und Tapeten sowie Bodenbeläge, sucht einen DV-Koordinator. Managerin Erika Bosle hat hohe Ansprüche an den Kandidaten: Er muß sich um DV-Belange kümmern, aber "auch etwas von unserem Geschäft verstehen". Der IT-Weg dieses Unternehmens dürfte nicht ganz untypisch für viele Mittelständler sein und damit indirekt die Bedeutung der Koordinatoren bestätigen.

Der Großhändler hatte bis vor etwa einem Jahr seine Anwendungen selbst entwickelt und noch einen BS-2000-Großrechner von Siemens im Haus. Nun arbeitet er nur noch mit Standardsoftware von der Buchhaltung bis zum Warenwirtschaftssystem. Die gesuchte Person soll kein Technik-Freak sein, denn es geht um Aufgaben wie "Planen, Anpassen, Betreuen, Koordinieren". Bosle hat festgestellt, daß die heutige Informatikergeneration zu technikverliebt sei, ein Punkt, der auch von anderen Experten immer wieder bemängelt wird.

Fakt sei, so Ausbildungsspezialist Grupp, daß einerseits die Fach-und IT-Abteilungen in den letzten Jahren stark ausgedünnt wurden, daß aber andererseits die kommerzielle Anwendungssoftware immer umfangreicher und komplexer wurde. Der Koordinator alter Prägung könne solche Programme allein gar nicht mehr warten. Eine Lösungsmöglichkeit sieht nun so aus, weiß Grupp, daß Mitarbeiter aus der zentralen DV in die Fachabteilungen als Anwendungsberater und -betreuer wandern: "Sie müssen viel Kreide fressen, um sich im Fachbereich wohlzufühlen und nicht negativ aufzufallen."

Die Klagen der Fachabteilungen über die DV sind so alt wie die DV selbst. Das Erstaunliche dabei ist, daß sich beide Seiten keinen Schritt nähergekommen sind, eher das Gegenteil ist der Fall. So sah sich ein Manager eines süddeutschen Energieversorgers, der nicht genannt werden möchte, nach eineinhalb Jahren Ärger gezwungen, drei Koordinatoren einzustellen. Die DV-Abteilung hatte sich geweigert, mit den Fachabteilungen zu sprechen, und angesichts des Personalmangels und des Anteils an Eigenentwicklungen konnte er den kommunikationsunwilligen Mitarbeitern nicht kündigen.

Auch für Manfred Lang vom Beratungshaus Diebold in Eschborn ist die Situation für beide Seiten seit der PC-Einführung eher noch verwirrender und unbefriedigender geworden: "Wenn Sie heute einen Mitarbeiter vom Benutzerservice rufen, stellt er Ihnen den Rechner so ein, daß zwar die eine nicht funktionierende Anwendung läuft, aber ein paar andere nicht mehr." Dies sei für ihn ein Beweis, daß sich kaum noch jemand für organisatorische Belange im Unternehmen interessiere. "Die jungen Leute aus den IT-Abteilungen sehen die Aufgaben oft nur von der technischen Seite." Der klassische Koordinator, der früher das Verständnis für organisatorische Belange mitbrachte, sei zunehmend weggefallen. Lang hält Mitarbeiter, "die bei organisatorischen Modellen mitdenken", für unabdingbar. Spätestens bei E-Commerce und Internet, wenn abteilungsübergreifend kooperiert werden muß, sind kommunikationsstarke Koordinatoren gefragt, die die Unterstützung des Managements benötigen, sagt Grupp.

Aber auch in den oberen Etagen fehlt das gegenseitige Verständnis. Die Fachabteilungen bezichtigen die DV, auf alle Entwicklungen nur zu reagieren, statt selbst eigene Konzepte zu entwickeln, die Datenverarbeiter geben den Ball zurück und meinen, die Fachabteilungen kennten nur die modischen Schlagwörter und könnten nicht spezifizieren, was sie wirklich wollten. Grupp wirddeutlich: "Von der Fachabteilung müßte mehr kommen." Wunderli sekundiert: "Die Erwartungen der Benutzer an die DV sind zu hoch." Wer meint, organisatorische Defizite ließen sich mit Hilfe der IT lösen, befinde sich auf dem Holzweg. Klar sei aber laut Lang auch, daß eine Unternehmens- ohne DV-Strategie undenkbar ist. Will der DV-Chef auf Management-Ebene mitreden, muß er lernen, sich in der Sprache der anderen Führungskräfte auszudrücken.

Die ehrlichste Lösung sei, so Frank Harnischfeger vom Beratungshaus Plenum, Wiesbaden, das Verhältnis von IT- und Fachabteilung so zu gestalten wie zwischen externem Dienstleister und Kunden. So spricht Plenum bei der Kontaktperson der IT- zur Fachabteilung vom Kunden-Manager und bei der Person, die die Bedürfnisse der Benutzer bündelt, vom dezentralen Informations-Manager. Es gebe aber auch noch den zentralen Informations-Manager, der dafür sorgt, daß bei allen IT-Projekten die Unternehmensstrategie nicht auf der Strecke bleibt.

Nach wie vor sei es üblich, daß die Fachabteilung von der IT-Abteilung etwas bestelle, ohne ihr Vorhaben zu spezifizieren, weiß Harnischfeger. Damit würde oft eine Menge Kapazität gebunden. Er empfiehlt, daß beide Seiten für das Projekt Preise, Termine und Projektleiter festlegten. Damit zeigten sie ernsthaftes Interesse. Nötig sei aber, in jeder Abteilung Mitarbeiter zu engagieren, die etwas mehr als der Durchschnitt von IT verstünden. Damit sind wir wieder beim Gruppschen Anwendungsberater, der von der IT- zur Fachabteilung wechselt, um hier für die nötige Kompetenz zu sorgen. Sicherlich braucht man sich nicht auf den Begriff des Koordinators zu versteifen. Es gibt Firmen, die behaupten, daß sie diese Vermittlerposition für unnötig erachten. Sie bestimmen einen Projektleiter, der sich um die Wünsche der Fachabteilung zukümmern hat, um sie dann mit seinen IT-Mitarbeitern umzusetzen. Zahlreiche Beispiele belegen aber, daß es mit dem Projektverantwortlichen allein nicht getan ist.

Gerade durch die Dezentralisierung, eine starke Kundenorientierung und den Abbau von IT-Personal werden Koordinatoren mehr denn je gebraucht - sei es, um die IT-Anforderungen unterschiedlicher Abteilungen zu bündeln und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, für Fachabteilungen die Kontakte nach draußen herzustellen oder auch Bedürfnisse externer Kunden in IT-Lösungen umzusetzen.