M2M im Internet der Dinge

IT trifft Industrie 4.0

10.06.2013
Von 
Daniela Hoffmann ist freie IT-Fachjournalistin in Berlin.
Megatrends wie Mobile, Big Data, Cloud und das "Internet der Dinge" legen neben Quantensprüngen in der Sensortechnik den Grundstein für die sogenannte vierte industrielle Revolution. Entscheidend für den Erfolg von Industrie 4.0 sind die Bewältigung von Sicherheitsaspekten und die engere Kooperation zwischen produzierender und ITK-Industrie. Gefragt sind Kommunikation und Standards.

Vor gut zwei Jahren fiel der Begriff Industrie 4.0, auch Integrated Industry, erstmals auf der Hannover Messe Industrie (HMI), jetzt wird es konkret. Die vierte industrielle Revolution soll Wohlstand und Wachstum der deutschen Wirtschaft sichern helfen: Durch mehr Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) und günstigere Sensortechnik könnte dem Internet der Dinge endlich Leben eingehaucht werden. Cyber Physical Systems (CPS) verändern die Produktion grundlegend, indem intelligente Bauteile und Maschinen selbst wissen und koordinieren, welche Fertigungsprozesse wann durchlaufen werden müssen. Das neue Internet Protocol IPv6 hat die Voraussetzung für das Internet der Dinge geschaffen, bei dem theoretisch jeder Gegenstand eine eigene IP-Adresse bekommen könnte: 600 Billiarden Adressen sind pro Quadratmillimeter der Erdoberfläche möglich.

Ernst Burgbacher, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Ernst Burgbacher, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
Foto: Autonomik

"Der IKT-Anteil am Produktionsprozess von Maschinen- und Anlagenbauern soll 2015 schon einen Anteil von 50 Prozent erreichen", sagt Ernst Burgbacher, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Deshalb sei die Branche zunehmend stark mit der ITK-Branche verwoben, wenn es um Innovation geht, erläuterte Burgbacher auf einem Kongress zur Autonomik in Berlin, bei dem erste Forschungsergebnisse vorgestellt wurden. Kunden verlangten mehr Flexibilisierung, das betreffe besonders kleine und mittelständische Unternehmen, die Kleinserien fertigen. Gefragt sei vor allem eine engere Zusammenarbeit mit der ITK-Branche.

Industrie 4.0 in der Praxis:

Blütezeit für gute IT-Ideen

Acatech-Präsident Henning Kagermann.
Acatech-Präsident Henning Kagermann.
Foto: Autonomik

"Wir brauchen internationale Standards. Diese müssen Produktions- und IKT-Experten gemeinsam entwickeln - das hat es bisher so nicht gegeben", stellte acatech-Präsident Henning Kagermann in Berlin fest. Insbesondere die Themen Sicherheit und sichere Identitäten im Netz seien für die Industrie 4.0 essentiell. Kein Wunder also, dass erstmals der Branchenverband Bitkom auch auf der Hannover Messe Industrie Flagge zeigte. Damit neue Technologien wie das mobile Internet und Cloud Computing für die Echtzeitvernetzung der Produktion und ganzer Wertschöpfungsketten genutzt werden können, gehe es jetzt um sichere Lösungen für die drahtlose Kommunikation. Angesichts der positiven Entwicklung der letzten Jahre zum Beispiel in der Cloud gab sich Kagermann optimistisch, dass die Probleme lösbar seien.

Aufgabe der IT ist, die unterschiedlichen Schlüsseltechnologien, die erst seit jüngster Zeit verfügbar sind, intelligent zu konzertieren. Für Hardware- und Softwareanbieter, Dienstleister und Startups gilt es, das Potenzial, das in dieser Kombination liegt, zu entfalten. Ideen sind gefragt, die klassische Industrie ist dabei wohl auch auf frisches Blut und Querdenker angewiesen. Das zeigte auch eine Minikonferenz von Google in Berlin, wo Gründer und Kreative auf Experten aus der Wirtschaft trafen. "Wir haben kein Framework für die Zusammenarbeit mit Startups, aber wir wissen einfach, dass wir es tun müssen. Deshalb bin ich hier, um zu lernen. Das Internet der Dinge und Services, Web 3.0, M2M oder cyberphysikalische Systeme sind für uns mehr als Buzzwords. Es ist eine Chance und eine Herausforderung, das Internet und die physische Welt enger zusammenzubringen", erklärte Stefan Ferber, Director Partner Networks and Communities der Bosch Software Innovations GmbH.

ERP-Systeme müssen sich ändern

An IT-Systemen, wie wir sie heute kennen, wird die Entwicklung nicht spurlos vorbeigehen. Das gilt nicht zuletzt für ERP. "Ich gehe davon aus, dass die IT flexibler und prozessorientierter wird. ERP-Systeme sind zurzeit monolithisch und hochintegriert. Solche Systeme werden wir nicht mehr in dieser Form haben, sondern eher dezentrale Systeme, die ihre Funktionalität am Ort des Geschehens entfalten", meint Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Prozessdaten lägen dann im CPS, wie das Gedächtnis im Kopf. Eine zentrale Datensicherung werde es nicht mehr gehen. Wichtige Daten müssten dezentral gesichert werden, und hier käme vor allem der Cloud-Technik eine wichtige Rolle zu. "Daraus entstehen genau die Themen, die wir im Internet haben: Vertrauen und Sicherheit", konstatiert der Wissenschaftler.

Auch der ehemalige SAP-Chef Kagermann sieht dezentralere Strukturen voraus: "In Bezug auf Offenheit und SOA hat sich bei den Anbietern viel getan, Funktionen sind zunehmend als koppelbare und mobil verfügbare Services konzipiert.". Stolperstein könne jedoch die bekannte Shopfloor- und Topfloor-Problematik sein. "Es fehlt noch immer an der vertikalen Integration über die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens hinweg. Da ist noch viel zu tun", stellt Kagermann fest. Bei der Anbindung über Manufacturing-Execution-Systeme (MES) gebe es noch viel Proprietäres.

Big Data und Cloud ermöglichen den Wandel

Uwe Kubach, Vice President M2M/IoT Engineering , SAP Mobility Division.
Uwe Kubach, Vice President M2M/IoT Engineering , SAP Mobility Division.
Foto: SAP

Mit dem Anstieg der Sensordaten und der Prozessdaten aus der M2M-Kommunikation bekommt Big Data eine Schlüsselposition. Anbieter wie IBM und SAP haben sich hier bereits in Stellung gebracht. Die Big-Data-Plattform von IBM basiert auf dem Open-Source-Framework Apache Hadoop, wichtige Bestandteile sind InfoSphere BigInsights und Netezza. Die Software wird als Cloud-Lösung angeboten. Auch die NoSQL-Datenbank Cassandra gehört dazu. Es geht darum, auch Datenströme, die nur kurz zur Verfügung stehen, also Data in Motion, als Informationen in die Prozesse zu bekommen.

Laut Uwe Kubach, Vice President M2M/IoT Engineering, SAP Mobility Division, ist der ERP-Hersteller in der Lage, künftig auch sehr viel mehr Sensor- und RFID-Daten zu verarbeiten und zu analysieren. Weil die Kosten für Tags und eingebettete Systeme sinken, werden sich, so Kubach, bald auch bisher schwierige Business Cases rechnen. Vorstellbar sei auch die Bereitstellung einer Plattform in der Cloud, die alle Player verknüpfe. "Dabei wird es keine monolithische Anwendung in den Unternehmen geben, sondern Services, die entsprechend zusammengeschaltet und orchestriert werden", zeichnet der Manager ein mögliches Zukunftsszenario. Für End-to-End-Prozesse seien offene Schnittstellen aber ganz wichtig, die anderen Softwareherstellern und innovativen Nischenprodukten den Eingang in die Netze erlaubten.

Das Internet der Dinge:

Bundesregierung will Industrie 4.0

Auf der HMI übergab der Arbeitskreis für Industrie 4.0 seine abschließenden Empfehlungen an die Bundesregierung. Ab sofort übernehmen die Verbände Bitkom, ZVEI und VDMA den Stab, um das Thema mit der Plattform Industrie 4.0 in die Unternehmen zu tragen. "Die Wirtschaft steht an der Schwelle zu einer vierten industriellen Revolution. Mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 haben wir die Chance, diesen Prozess erfolgreich mitzugestalten und damit das hohe deutsche Wohlstandsniveau auch langfristig zu sichern. Forschung kann dazu beitragen, Produktionsprozesse neu zu organisieren und Strukturen zu verbessern. Aber genauso wichtig ist es, dass diese Ergebnisse auch schnell in den Alltag der Unternehmen einziehen", sagte Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, dazu in Hannover.

In dem mit 200 Millionen geförderten BMWI-Programm Autonomik wurde bereits eine Reihe von Vorarbeiten geleistet - zum Beispiel zu rechtlichen Themen, Sensorik, autonomen Systemen und Servicerobotern. Die vorgestellten Ergebnisse sollen eine Grundlage für das neue Programm Autonomik für die Industrie 4.0 bilden, das mit 40 Millionen Euro gefördert wird. Einen deutlichen Sprung nach vorne macht aktuell die Sensorik, die zunehmend intelligente, WLAN-fähige Sensoren liefert, die sich selbst mit Energie versorgen.

"Durch konsequentes Zusammenführen der digitalen und der realen Welt wird die zunehmende Dynamik und Komplexität beherrschbar", ist sich acatech-Präsident Kagermann sicher. Dabei wachse jedoch das Maß der Dezentralisierung und Selbstorganisation mit zunehmender Komplexität der Systeme, meint Michael ten Hompel vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Insbesondere in der Logistik nehme die Komplexität superexponentiell zu, die Datenmenge steige je Dekade um den Faktor Tausend. "Das zunehmende Wachstum wird zu Instabilitäten führen, deshalb müssen wir zu autonomen Systemen gelangen", so ten Hompel.

Praxis und Forschung

Auch die IT-Abteilungen in den Unternehmen müssen sich auf das neue Thema einstellen. "Die stärkere Vernetzung und eine erheblich höhere Anzahl von kommunizierenden Maschinen werden ohne Frage neue Herausforderungen an die Kommunikationsstrukturen in einem Industrie 4.0-System stellen", sagt Christian Zeidler, Focus Area Manager Process Automation bei ABB. Der Hersteller von Energie- und Automatisierungstechnik experimentiert mit neuen Technologien hinsichtlich sich selbst organisierender, intelligenter Bauteile und Maschinen für die Produktion. "Die Anforderungen an das professionelle Management der Daten bezüglich Volumen und Sicherheit werden steigen. Für uns ist die langfristige Verfügbarkeit von Daten der Produktdokumentation ebenso wichtig wie der effiziente Datenzugang im internationalen Produktionsnetze", berichtet Arne Lakeit, Leiter Produktions- und Werksplanung bei der Audi AG.

Dieses Thema beschäftigt auch ABB: "Nicht nur die Datenvolumina werden steigen, sondern auch die Anforderungen, unterschiedlichste Datenströme wie zyklische Bits und Bytes, aber auch (a)synchrone Kilo und Megabyte-Daten im System gleichzeitig, sicher, zuverlässig und integer zu managen. Zudem stellt sich die Frage, wie die Informationen auszuwerten und zu archivieren sind", so Zeidler.

In der Fabrik der Zukunft wird es nach Ansicht von Fraunhofer-IPA-Leiter Bauernhansl vor allem um die Entkopplung der Herstellung von Takt und Band gehen. Ein revolutionärer Gedanke, für den ein gemeinsames Projekt unter anderem mit Bosch, Daimler, BASF und der Uni Stuttgart vor Kurzem den Forschungscampus Arena 2036 gewonnen hat. Die Förderung des Bundesbildungsministeriums von zwei Millionen Euro pro Jahr kann bis zu 15 Jahre laufen. Konkretes Projekt ist der Bau einer Forschungsfabrik für die Autoindustrie der Zukunft in Stuttgart - CPS werden dort eine wichtige Rolle spielen.

Tektonische Verschiebung in der Arbeitswelt

Dabei wird ganz neu gedacht. "Das Auto kommt zum Material, nicht das Material ans Band. Wir wollen das Auto schnell auf die eigenen vier Räder stellen", erklärt Bauernhansel. "Zunächst wird das Fahrmodul rasch aufgebaut, das dann in der Lage ist, als CPS viele 'Garagen' mit den einzelnen Prozessmodulen in der richtigen Reihenfolge anzufahren". Dazu gehören nicht nur Montage, sondern auch Fertigungsschritte, die zu Individualisierung des Produkts beitragen.

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Den Zeitrahmen für den Wandel zur Industrie 4.0 sehen viele Experten langfristig und rechnen erst bis 2025 mit der Umsetzung. Doch angesichts des zunehmend rasanten Fortschritts in der IT-Technik könnte das auch schneller gehen. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dürften immens sein, denn mehr Automatisierung wird wie schon in der Vergangenheit den Arbeitsmarkt erheblich prägen. "Maschinen verdrängen Menschen", titelte Spiegel Online kürzlich und zitierte Andrew McAfee , Director des Center for Digital Business am berühmten Forschungsinstitut MIT: "Das ist aber bislang alles nur ein Vorgeschmack, in den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir den Wandel weltweit erst richtig zu spüren bekommen." Es drohe "eine tektonische Verschiebung in der Arbeitswelt". (pg)