Thema der Woche

IT-Training: Lernen bald auf eigene Rechnung

17.12.1999
Deutschlands Schulungsanbieter investieren kräftig in Online-Training, auch wenn es nach wie vor Probleme mit der Akzeptanz gibt. In einem Roundtable-Gespräch der COMPUTERWOCHE forderten Vertreter großer Bildungsanbieter, daß sich die Mitarbeiter stärker selbst um ihre Weiterbildung kümmern müssen.

"Wir sind da richtig reingepoltert, Zeit zum Planen war kaum da." Die Ehrlichkeit wirkt erfrischend, wenn Tobias Brücher erzählt, wie das Training von 18000 Mitarbeitern seines Arbeitgebers Hypo-Vereinsbank abgelaufen ist. Durch die Fusion der beiden Münchner Finanzinstitute Hypobank und Bayerische Vereinsbank mußten sich viele Beschäftigte im Zuge der IT-Reorganisation in kürzester Zeit auf neue Programme umstellen, beschreibt der Geschäftsführer der Hypo-Vereinsbank-Tochter HVB-Akademie. Einzige Möglichkeit dazu, war, das Lernen in die Freizeit zu verlagern. Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, daß Banker bisher im allgemeinen bei Umstrukturierungen eher ein gemütliches Tempo eingeschlagen hatten.

Nun aber mußte alles schnell und unkompliziert gehen. Eine Lösung sollte auf den Tisch. Damit der Anreiz groß genug war, in der Freizeit zu lernen, erhielten die Mitarbeiter je ein Notebook mit einem Paket CD-ROMs geschenkt. Aufwand: rund fünf Tage büffeln. Eine Hotline wurde eingerichtet, damit die Lernenden jederzeit ihre Fragen loswerden konnten. "Die spannende Frage war, ob es gemacht wird", beschreibt Brücher die Herausforderung. Denn Prüfungen und Kontrollen waren nicht vorgesehen. Der Münchner Manager berichtet stolz, daß der Fehlerfaktor Mensch der geringste war. Alle hätten fleißg gelernt, denn "der Druck, sich vor dem Kunden nicht zu blamieren, war da".

Solche großen Projekte scheinen an der Tagesordnung zu sein. Auch Ellen Dittmer, zuständig für Training beim Siemens-Bereich SBS und gleichzeitig Geschäftsführerin der Trainingstochter Com, sowie Bahn-Bildungschef Rolf Knoblauch konnten von ähnlichen Vorhaben in ihren Unternehmen berichten. Siemens hat in den letzten Wochen via Multimedia-Training etwa 16000 Mitarbeiter geschult, die ab nächstem Jahr die amerikanischen Bilanzrichtlinien anwenden müssen. Die Bahn hat für ihre 10000 Zugbegleiter ein aufwendiges Lernprogramm mit Videosequenzen entwickelt. Die Schaffner, wie sie früher hießen, sollen dabei unter anderem den Umgang mit schwierigen Kunden trainieren.

Knoblauch ist von den Segnungen der neuen Technologien überzeugt, und es gibt in Deutschland zur Zeit kaum ein Anwenderunternehmen, das in der Bildung so konsequent auf multimediales Lernen setzt wie die Bahn. Muß sie auch, denn die rund 250000 Mitarbeiter des Unternehmens sind über die ganze Republik verteilt, in den meisten Werken seien weniger als 1000 Beschäftigte tätig. 75 Prozent der Bildungskosten sind nach Knoblauchs Berechnungen Personalkosten. Da sei es Pflicht, über neue Lernformen laut nachzudenken. Vor allem dann, wenn man in einem Großunternehmen homogene Gruppen von 30 000 Lernenden bilden kann. Beispiel sind die Azubis. Jährlich starten 200 Lehrlingsgruppen. Es finden also 200 parallele einwöchige Einführungsveranstaltungen über das Unternehmen statt. Mit einer Mischung aus Computer-based Training und klassischem Unterricht ließen sich nach Knoblauchs Berechnung eine Menge Kosten sparen.

Genau wie Brücher plädiert Knoblauch für das Lernen in der Freizeit. Als Beispiel nennt er den Bereich DB Regio. Dieser bestelle mittlerweile jeweils zwei Versionen eines Lernprogramms: eine leistungsstarke für den betriebsinternen Arbeitsplatz und eine schlanke für zu Hause.

IBM-Bildungschef Urs Hinnen hat sich ebenfalls auf die neue Entwicklung eingestellt. Er zitiert Studien aus den USA, wonach der Markt für Distributed Learning, wie er das Online-Training bezeichnet, zweistellig wachsen wird. Im Jahr 2003 sollen bereits 50 Prozent des IT-Trainingsmarktes auf E-Learning, wie der neueste Sammelbegriff heißt, entfallen. Hinnen weiß mittlerweile von amerikanischen Anbietern, daß sie ihre Seminare ins Internet stellen, damit sich auch Einzelpersonen einen Kurs herunterladen können.

Auch Hewlett-Packard will den Trend zu Web-based Training (WBT) nicht verschlafen und investiert, wie Bildungschef Jürgen Vierkotten bestätigt, einen zweistelligen Millionenbetrag in die Entwicklung von interaktiven Lernprogrammen. Vierkotten stellt allerdings fest, daß zum Beispiel Australien und Nordeuropa weiter sind. In Deutschland sei es "ein Kulturproblem, die neuen Medien zu akzeptieren". Viele Kunden seien dazu nicht bereit. Allerdings seien manche Lernprogramme methodisch und didaktisch schlecht aufbereitet, was ebenfalls nicht unbedingt die Akzeptanz fördere.

Als Hauptbremser bei der Einführung von elektronischen Lernformen sieht Knoblauch die Weiterbildungsexperten. Mit dieser Aussage habe er, wie er erzählt, auf einem Bildungsforum für viel Unruhe gesorgt, vor allem, als er folgende Rechnung aufmachte: Von den heutigen Trainingsexperten bräuchte man für die künftige multimediale Lernwelt nur noch die Hälfte. Davon wiederum die Hälfte sei nicht geeignet für diese Form des Trainings.

Viele Bildungsexperten redeten das Online-Lernen kaputt, indem sie "die Standards so hochsetzen, daß der Kunde davon abgeschreckt wird". Er plädiere für einfache Lösungen, die bezahlbar seien. Aber nicht nur das. Er hoffe, daß sich künftig Unternehmen zum gleichen Thema eher zusammenfinden, dann spiele auch das Thema Kosten nicht mehr eine so große Rolle. In diesem Zusammenhang machte Siemens-Managerin Dittmer auf einen weiteren Aspekt aufmerksam.

Sie als Kauffrau wisse, daß aus wirtschaftlicher Sicht kaum ein Multimedia-Trainingsprojekt positiv ablief: "Es waren viele Investitionsruinen dabei." Vierkotten hat als Begründung noch eine Zahl dazu parat: So würden drei Minuten hochwertiges WBT nach einer Untersuchung des Südfunks Stuttgart über 100 000 Mark kosten.

Online-Training hin und WBT her, im Grunde geht es darum, daß "Bildungspakete schnell und flexibel entsprechend den Bedürfnissen der Mitarbeiter zusammengestellt werden", so HVB-Mann Brücher. Dann sei es egal, ob die Mitarbeiter via CBT lernen oder im Klassenraum sitzen. "Ich bin unzufrieden mit den IT-Kenntnissen der Mitarbeiter", sagt Brücher. Auch mit dem, was Trainer in den letzten Jahren geleistet hätten. Er wisse, wovon er spreche, denn er hat seine berufliche Karriere ebenfalls als DV-Dozent begonnen: "Wir haben viel geschult, aber wir haben nicht gut genug geschult." Wenn ein Anbieter verspreche, daß er das Microsoft-Office-Paket an einem Tag unterrichte, "dann kann das nicht gutgehen".

Hinnen reicht den Schwarzen Peter weiter. Bei einer ERP-Einführung solle man, unabhängig vom Produkt, zehn bis 20 Prozent der Kosten für Training einkalkulieren: "Fragen Sie mal bei einem Unternehmen nach, ob es soviel für Ausbildung investiert." Immer wieder muß er erleben, wie die Firmen ihre IT-Budgets kürzen, und dann trifft es in der Regel das Training. Oder es passiere, daß das gesamte Projekt organisatorisch scheitert, weil die Verantwortlichen vergessen haben, parallel zur Implementierung die Schulung vorzubereiten. Diejenigen, die die neuen Programme eingeführt haben, lösen sich als Projektteam auf, gehen in ihre Abteilungen zurück oder verlassen das Unternehmen, da sie ja als externe Berater gekommen sind, und der Anwender bleibt allein.

Insgesamt sind die Rahmenbedingungen für IT-Training schwieriger geworden, wie HP in einer Untersuchung herausgefunden hat. So beklagten die befragten Betriebe den enormen Kostendruck und versuchten deshalb die Nebenkosten für Hotel, Spesen und Reisen stark zu reduzieren. Durch die flachen Hierarchien und die Teamarbeit sei Verfügbarkeit am Arbeitsplatz immer stärker gefordert. Ein- bis zweiwöchige Seminare würde kaum noch eine Gruppe tolerieren. Konsequenz müsse daher ein stärkeres funktions- und bedarfsorientiertes Training sein, "damit der Mitarbeiter auch wirklich produktiv arbeiten kann", so Vierkotten.

Nur: Das produktive Arbeiten allein wird dem modernen Arbeitnehmer nicht mehr weiterhelfen. Hinnen schenkt ihm reinen Wein ein: Wer für sich nicht die Verantwortung übernimmt, sich selbst aktiv weiterzubilden, werde in der Zukunft einen schweren Stand haben. Der IBMer geht soweit zu sagen, daß, wenn ein Arbeitgeber seinem Mitarbeiter den Kurs in einer Zukunftstechnologie verweigere, letzterer den Mut haben müsse, das Seminar auf eigene Kosten zu besuchen: "Es ist in erster Linie im Interesse des Mitarbeiters, seinen Marktwert zu erhalten und zu erhöhen." Dittmer sekundiert: Wer als Mitarbeiter beispielsweise das Jahresendgespräch mit dem Vorgesetzten nicht selber suche, solle auch nicht darum gebeten werden.

Knoblauch sieht sich mit seiner neuen Azubi-Generation auf dem richtigen Weg. Neulich hielten einige der Auszubildenden einen multimedial unterstützten Vortrag über den Nahverkehr von Ulm vor Bahn-Managern, die aus dem Staunen nicht herauskamen. Und das, obwohl die kaufmännisch ausgebildeten Lehrlinge nur drei Tage IT-Training hinter sich hatten. Knoblauchs Credo: Gebt den Mitarbeitern mehr Freiraum.

Brücher geht das alles zu weit. Wenn es stimme, daß Bildung Management-Aufgabe sei und der Mitarbeiter das wichtigste Kapital im Unternehmen, dann möchte er bei diesem Thema auch ein Wörtchen mitreden und es nicht allein den Beschäftigten überlassen: "Es kann nicht angehen, daß jeder auf eigene Faust seinen Marktwert erhöht."

Die Bahn ist da pragmatisch. Sie finanziert Interessenten Teile eines Fernstudiums. Knoblauch erwartet, daß die Mitarbeiter ihre Freizeit investieren und daß sie auch selbst einen Teil der Kosten übernehmen. Und er möchte aus den Vorgesetzten Co-Trainer machen. Sie würden die Mitarbeiter am besten kennen, also sei es ihre Pflicht, sie auch zu fördern.

Hans Königes

Die Teilnehmer

Tobias Brücher, Geschäftsführer der HVB Akademie GmbH, der Bildungstochter der Hypo-Vereinsbank;

Ellen Dittmer, Geschäftsführerin der Siemens-Tochter SBS Training and Services Com Computertraining and Services GmbH sowie kaufmännische Leiterin des SBS-Bereichs Management Consulting and Training;

Urs Hinnen, Director Education & Training Europe/Central Region bei IBM;

Rolf Knoblauch, Leiter des Dienstleistungszentrums Bildung der Deutschen Bahn AG;

Jürgen Vierkotten, Manager Educational Services Deutschland und Osteuropa.

Moderiert wurde die Veranstaltung von CW-Redakteur Hans Königes.