Siemens bleibt die Nummer eins

IT-Studenten sind konservativ

23.08.2002
MÜNCHEN - Entlassungen, Einstellungsstopps und ein Arbeitsmarkt voller Konkurrenten - so haben sich IT-Absolventen den Berufseinstieg nicht vorgestellt. Kein Wunder, dass sie in der Wahl ihres Arbeitgebers auf Nummer Sicher gehen und Siemens, IBM und die Fraunhofer-Gesellschaft favorisieren. Von CW-Mitarbeiterin Katja Müller

Als sie vor vier Jahren zu studieren begannen, sah die Welt noch anders aus: IT-Fachkräfte waren gefragt, Unternehmen beklagten den Mangel. Hochschulabsolventen entsprechender Studiengänge wurden Einstiegssaläre gezahlt, die manchen langjährigen Profi vor Neid erblassen ließen. Inzwischen bauen die meisten Firmen Personal ab, und auch bei den Gehältern müssen die einst hochbezahlten Fachkräfte Zugeständnisse machen. Die Sicherheit hat deshalb beim IT-Nachwuchs Priorität: Siemens, IBM und die Fraunhofer-Gesellschaft sind dieses Jahr die begehrtesten Arbeitgeber, wie das Absolventenbarometer des Berliner Instituts für Personal-Management Trendence und der CW ergab. 3649 Informatikstudenten nannten von April bis Juni ihre beliebtesten Unternehmen und erklärten, was sie vom künftigen Job erwarten. Die Attraktivität von Siemens ist ungebrochen, zum dritten Mal in Folge erreichte der Konzern Platz Nummer eins.

Vor allem interessante Arbeitsaufgaben wünschen sich die Studenten von dem Branchenriesen. Diese kann Siemens wie kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland bieten: Die Münchner sind nicht nur in den Sparten Information und Kommunikation, sondern ebenso im Kraftwerksbau, der Medizin oder der Automobiltechnik vertreten. Auch hier entstehen zunehmend Jobs für Informatiker. "Jedes unserer Geschäfte ist stark von IT durchdrungen - Tendenz steigend", erklärt Unternehmenssprecher Constantin Birnstiel. Als weiteren Vorzug von Siemens nannten die Befragten die "sicherere Anstellung". Zwar baute der Konzern seit dem vergangenen Jahr weltweit Zehntausende Arbeitsplätze ab - vor allem die Netzwerksparte Information and Communication Networks (ICN) und der Dienstleistungssektor Siemens Business Services GmbH (SBS) waren vom Aderlass betroffen -, dennoch hoffen die Studenten, dass ein großer Konzern wie Siemens gegenüber Marktschwankungen widerstandsfähiger ist als kleinere Unternehmen.

Auch auf Platz zwei des Rankings steht ein Branchenriese: IBM mit bundesweit rund 26000 Mitarbeitern, dessen Entwicklungszentrum in Böblingen nahe der Stuttgarter Zentrale als größte Forschungsstätte des Unternehmens außerhalb der USA gilt. Etwa 17 Prozent der Befragten meinen, dass der Konzern mit interessanten Projekten und Innovationen aufwarten kann. Darüber hinaus spricht für Big Blue in den Augen der Studenten vor allem die Möglichkeit, an einem attraktiven Standort oder sogar international arbeiten zu können.

Recruiting im Hörsaal

Die Suche nach Sicherheit und attraktiven Aufgaben erklärt auch den Aufstieg der Forschungsunternehmen Fraunhofer (Rang drei), Max-Planck-Gesellschaft (Rang neun) und Deutsches Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR, Rang zwölf) auf die vorderen Plätze des Rankings: Innovationen, interessante Projekte und eine angenehme Arbeitsatmosphäre verbinden die Befragten etwa mit der Fraunhofer-Gesellschaft. Dem Max-Planck-Institut, das es auf Anhieb unter die Top Ten schaffte, verhalf möglicherweise auch die von einem seiner Einrichtungen koordinierte Pisa-Studie zu einem neuen Bekanntheitsgrad. Zudem trägt hier die jahrelange Zusammenarbeit der Forschungs- und Bildungsstätten Früchte. So gründete die Gesellschaft mit Sitz in Berlin 19 Research-Schools für Doktoranden. Darüber hinaus halten die Forscher regelmäßig Vorträge an Gymnasien. Auch am DLR stehen Wissenschaftler in engem Kontakt mit dem Nachwuchs und halten beispielsweise Vorlesungen in Universitäten.

Mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI, Platz 13) kam erstmals eine Behörde unter die ersten 20 der beliebtesten Unternehmen. Ein ungewöhnliches Ergebnis, da die meisten Studenten lieber in mittelständischen und großen Firmen arbeiten wollen. Auf die Frage, in welcher Organisation sie am liebsten ihre Karriere starten möchten, nannten nur ein Prozent den Staat beziehungsweise die öffentliche Verwaltung. Doch das BSI lockt Computerspezialisten mit Aufgaben, die es wahrscheinlich in keinem anderen Unternehmen in dieser Form gibt. Beispielsweise wirken IT-Fachkräfte an der Task Force "Sicheres Internet" unter der Federführung des Bundesministeriums des Inneren mit.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Studenten sind faszinierende Produkte und Dienstleistungen, was sich in der hohen Bewertung von Daimler-Chrysler (Rang fünf) und BMW (Rang sechs) niedergeschlagen haben könnte. Zudem hat sich offenbar herumgesprochen, dass BMW seine Personalpolitik nicht dem Zufall überlässt: Rund 200 Millionen Euro steckt der Konzern beispielsweise jährlich in die Aus- und Weiterbildung seiner Mitarbeiter.

Abgestraft wurden indes die IT-Anbieter Oracle, Cisco und Infineon, die sich nur in Boom-Zeiten hierzulande um das Thema Recruiting kümmerten und mittlerweile ihre Aktivitäten auf ein Minimum reduzierten oder sogar abstellten. Halbleiterhersteller Infineon lieferte 2001 ein Paradebeispiel einer verfehlten Personalpolitik, da zwischen der Ausschreibung von 1000 offenen Stellen und Entlassungen von bis zu 5000 Mitarbeitern nur wenige Monate lagen.

Eine Kostenfrage dürfte für viele Befragte das Trainee-Programm sein, auf das die meisten verzichten würden. Trainees werden zwar eingearbeitet und geschult, verdienen dafür aber im Vergleich zu Direkteinsteigern weniger. Die Mehrzahl der Studentinnen jedoch würde sich für ein solches Programm entscheiden. Nahezu einig sind sich die weiblichen und männlichen Studenten, wenn es um die berufliche Nebentätigkeit geht. Fast 80 Prozent arbeiten neben dem Studium. Das Plus im Geldbeutel scheint ihnen wichtiger zu sein als der Nachweis eines offiziellen Praktiums: Rund zwei Dritteln der Befragten fehlen nach dem achten Semester jegliche Erfahrungen in dieser Richtung.

Kaum Erfahrungen im Ausland

Noch geringer ist die Anzahl derer, die ein Praktikum oder ein Semester im Ausland absolviert haben: Nur etwa jeder zehnte Befragte entschloss sich, während seines Studiums außer Landes zu gehen. Da jedoch die meisten später lieber international als nur regional arbeiten wollen, scheint die Ursache mangelnder Mobilität woanders zu liegen. "Etwa 80 Prozent unserer 2500 Informatikstudenten haben einen Job, indem sie beispielsweise für jemanden programmieren. Da kann man es sich nicht leisten, wegzugehen", erklärt Ernst Mayr, Dekan der Fakultät Informatik an der Technischen Universität München. Zudem sei das Studium sehr anspruchsvoll. Wer in den ersten Semestern fehle, verpasse wichtige Grundlagen. "Die Fehlzeiten addieren sich zum Schluss wieder drauf", konstatiert Mayr.

Mehr Mobilität bewiesen die Studenten angesichts der Frage, ob sie bereit seien, für eine Anstellung den Wohnort zu wechseln. Fast 75 Prozent könnten sich vorstellen, für ein Jobangebot die Koffer zu packen. In Anbetracht der gespannten Lage am Arbeitsmarkt wissen viele Absolventen, dass sie möglicherweise ohnehin keine Wahl zwischen einem Unternehmen vor Ort oder in einer anderen Stadt haben -, sondern die Angebote nehmen müssen, die sie bekommen. Rund zwei Drittel wären überdies bereit, bis zu 45 Stunden Arbeit in der Woche zu leisten. 2001 hatten sich nur rund 61 Prozent damit einverstanden erklärt. Größere Chancen auf dem Stellenmarkt erhoffen sich die Informatikstudenten, von einer möglichst breit angelegten Ausbildung, in der es weniger um Spezialisten- als um Generalistentum geht. Dass die jungen Informatiker deswegen eher eine Führungs- als eine Fachlaufbahn anstreben, ist jedoch ein Trugschluss. Zwar übernehmen rund 77 Prozent während einer Gruppenaufgabe "gern die Verantwortung und treiben die Sache voran", doch schnell verantwortlich oder selbständig tätig zu sein, wünschen sich die wenigsten. Als "deutlich karriereorientiert" bezeichneten sich nur etwa ein Drittel der angehenden Absolventen. Immerhin knapp 58 Prozent meinten, sie hätten manche Prüfungen schon eher absolvieren können.

Die Gehaltswünsche

Ungeachtet der schwierigen Marktlage und der zurückhaltenden Einstellungspolitik der meisten IT-Unternehmen schrauben die Studenten ihre Einkommenswünsche nicht zurück: Die Mehrheit rechnet noch immer mit einem Einstiegsgehalt von durchschnittlich umgerechnet 44200 Euro (im Vorjahr hofften die Befragten auf zirka 43300 Euro). Allerdings würden die meisten ein langfristiges Verdienstpotenzial einem hohen Anfangseinkommen vorziehen. Laut Gehalts-Check 2002 der IG Metall liegen die Studenten mit ihrem Wunscheinkommen jährlich rund 2800 Euro über den von den Firmen gezahlten Salären für Universitätsabsolventen der Bereiche Ingenieur-, Informatik- und Naturwissenschaften. Studentinnen forderten in der Umfrage im Übrigen jährlich rund 400 Euro weniger als ihre männlichen Kommilitonen. Dass Frauen in Gehaltsverhandlungen zurückhaltender sind, bestätigen auch andere Studien.

Die Studie

Für das "Absolventenbarometer 2002" befragte das Institut für Personal-Marketing Trendence, Berlin, insgesamt 3649 Informatikstudenten an 48 Fachhochschulen und Universitäten. Die Teilnehmer studierten bereits rund neun Semester und waren zum Zeitpunkt der Umfrage (April bis Juni 2002) durchschnittlich 25 Jahre alt. 88,2 Prozent der Befragten sind Männer, 11,8 Prozent Frauen. Mehr Informationen zur Studie gibt es unter www.trendence.de oder unter der Rufnummer 030/394 066-0.

Die beliebtesten IT-Arbeitgeber 2002

Rang 2002 / Rang 2001 / Unternehmen / Anteil 2002*

1 / 1 / Siemens / 20,4

2 / 2 / IBM Deutschland / 17,4

3 / 7 / Fraunhofer-Gesellschaft / 13,4

4 / 5 / SAP AG / 11,2

5 / 6 / Daimler-Chrysler / 10,8

6 / 15 / BMW Group / 9,1

7 / 4 / Suse Linux / 8,5

8 / 3 / Sun Microsystems / 6,9

9 / nicht gelistet / Max-Planck-Gesellschaft / 6,1

10 / 10 / Lufthansa Systems Group / 5,0

10 / 12 / Microsoft / 5,0

12 / nicht gelistet / Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik e.V. (DRL) / 4,7

13 / 36 / Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik / 4,4

13 / 29 / AMD Saxony Manufacturing / 4,4

13 / 27 / T-Systems (2001: Debis) / 4,4

16 / 18 / Hewlett-Packard / 4,3

17 / 20 / EADS (unter anderem Airbus, Astrium, Eurocopter) / 4,0

18 / 17 / Deutsche Bank / 3,9

19 / 35 / Audi / 3,8

20 / 24 / sd&m, software design & management / 3,7

*Angaben in Prozent