IT soll helfen, die Besten zu finden

12.01.2007
Von Gabi Müller
Talent-Management-Relationship - die besten Bewerber und Mitarbeiter mit elektronischer Unterstützung aufspüren und sie fördern - heißt der Trend, mit dem sich große Unternehmen verstärkt auseinandersetzen.

Die graue, arbeitsintensive Bewerberverwaltung soll der Vergangenheit angehören. Vorbei sind die Zeiten, als offene Stellen noch in Zeitungen inseriert wurden und die Interessenten ihre Unterlagen ausdruckten, eintüteten und per Post an die Firma ihre Wahl verschickten. Seit dem Jahr 2000 befinden wir uns in der Phase des "Electronic Recruiting". Sagt Stefan Strohmeier, Inhaber des Lehrstuhls für Management und Informationssysteme an der Universität des Saarlandes, auf einer Euroforum-Veranstaltung. Diese befasste sich mit Talent-Relationship-Management (TRM), das der Wissenschaftler den kommenden Trend in der Personalarbeit nennt.

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auf welche elektronischen Hilfsmittel Großkonzerne setzen, um Bewerber zu finden; warum Personalbeschaffung nicht nur eine Frage der richtigen Technik ist; was sich hinter "Talent-Management-Relationship" verbirgt.

Unter TRM versteht Strohmeier keine losgelöste Strategie, sondern ein ganzheitliches Konzept, mit dem Talente gesucht, gefunden und langfristig an das Unternehmen gebunden werden. "Informationstechnik ist dabei ein Werkzeug", mit dem sich diese Ziele realisieren lassen, aber kein Selbstzweck. Gefordert sei in erster Linie kreatives Denken, um den Herausforderungen für die Personalarbeit der nächsten Jahre zu begegnen. So müssten die Unternehmen zum Beispiel die gesuchten Zielgruppen auf interne und externe Leistungsträger ausweiten, ein aktives Beziehungs-Management betreiben und Marketing, Beschaffung und Assessment integrieren. "Noch ist ein umfassendes Talent-Relationship-Management selten anzutreffen und wird von Standardsoftware auch nur ansatzweise unterstützt", sagt Strohmeier.

Gesuchte Profis wollen umsorgt werden

Denn Talent-Relationship-Management verlangt viel: Vor allem, die Vorstellung aufzugeben, in Zukunft weiter aus einem unerschöpflichen Bewerberreservoir schöpfen zu können. Und nicht nur wegen der demografischen Entwicklung der kommenden Jahre. Hoch qualifizierte, gesuchte Spezialisten für ganz bestimmte Aufgaben wollen "umsorgt und gepflegt werden", so die einhellige Meinung der Veranstaltungsteilnehmer. Gleich, ob diese Leistungsträger heute schon im Unternehmen arbeiten oder sich erst in Zukunft dafür interessieren.

Dazu gibt es bereits einige Ansätze - und E-Recruiting ist dabei ein wichtiger, aber nicht der einzige Bestandteil. Denn mit der Online-Bewerbung allein ist es nicht getan. Das zeigen Beispiele von Großunternehmen wie Eon, Siemens, Philips oder der Deutschen Telekom, die alle längst an eigenen Systemen arbeiten, um dringend gesuchte Hochleistungsträger ausfindig zu machen auch wenn diese noch nicht oder nicht mehr im Unternehmen arbeiten.

Gute Erfahrungen mit E-Recruiting

Ob dabei individuell angepasste Standardsoftware oder IT-Eigenentwicklungen die Personalauswahl und -beschaffung unterstützen, hängt vom Unternehmen ab. Unabhängig davon wird die Suche nach dem passenden Kandidaten für ein bestimmtes Profil immer wichtiger und schwieriger. Denn obwohl die großen Namen der deutschen Industrie sich nicht über zu wenige Initiativbewerbungen beklagen können, passt noch längst nicht jedes Bewerberprofil zur angebotenen Stelle.

Darum geht es überall um die Fahndung nach den wirklichen Talenten, die das jeweilige Unternehmen weiterbringen. Und dazu lassen sich Unternehmen viel einfallen. Zum Beispiel die Bertelsmann AG: Hier werden Mitarbeiter für sechs Divisionen und 400 dezentrale Profitcenter in 63 Ländern gesucht. "Be-Recruiter" heißt die Rekrutierungsseite des Konzerns im Netz. "Die wird sprachlich und im Aussehen dem Corporate Design der jeweiligen Division angepasst, enthält aber gleiche Funktionen für Bewerber, Recruiter und Fachabteilungen," schildert Manuela Ebbes-Barr, Senior Manager Recruiting Services. Zum Beispiel können Interessenten den Status ihrer Bewerbungen verfolgen oder Newsletter abonnieren. Die Rekrutierungsbeauftragten im Unternehmen können per Knopfdruck bis zu 80 interessante Kennzahlen auswerten und verarbeiten. Laut Ebbes-Barr nehmen die Nutzer die E-Recruiting-Lösung gut an. Sie funktioniere ohne großen Schulungsaufwand und erlaube es, die Kontakte mit den Bewerbern zu pflegen.

Zentrales Bewerber-Management

Weltweit verteilte Standorte, junge Unternehmensgeschichte und unzählige Einzellösungen im Bewerber-Management bei allein 30 deutschen Tochterfirmen – das war die Situation bei Eon noch vor wenigen Jahren. Vor diesem Hintergrund begann der Energiekonzern 2004 ein integriertes E-Recruiting- und Talent-Management-System als Pilotversuch, das jetzt konzernweit eingeführt wird. Dazu gehören ein interner und externer Stellenmarkt sowie die einfache Administration von Stellenausschreibungen: Ein Inserat muss nur einmal eingegeben und kann auf den verschiedenen Print- und Online-Kanälen publiziert werden. E-Mail-Templates mit Adaptionsmöglichkeiten für die Konzerntöchter sorgen für eine einheitliche Korrespondenz mit den Bewerbern, die durch einen Abgleich von Stellenanforderung und jeweiliger Qualifikation automatisch vorausgewählt werden.

Herzstück des Systems aber sind die "Pools". Dahinter stecken Datenbanken, in denen unter anderem diejenigen Bewerber mit ihren Talenten gespeichert werden, die vielleicht nicht akut, aber doch längerfristig für das Unternehmen verlockend aussehen. Dieses Datenmaterial erleichtert die Vorauswahl sowie den Abgleich von Anforderung und Qualifikation. "Unser Personal-Pool ist gedacht für interne Bewerber, wechselwillige Mitarbeiter oder Auszubildende", erklärt Herrmann Ikemann, Vice President HR Systems bei Eon. Im "Job Familiy Pool" finden sich Bewerber verwandter Fachrichtungen, etwa Ingenieurwesen oder Informatik. Und der "Talent Pool" nimmt alle hoch qualifizierten Kräfte auf, an denen der Konzern besonders interessiert ist. "Jeder Recruiter kann unternehmensübergreifend nach bestimmten Suchkriterien auf diese Daten zugreifen und auf mehreren Wegen nach Kandidaten suchen", so Ikemann. Das schaffe Transparenz und sorge dafür, dass Bewerbungen innerhalb des Konzerns einfach weitergeleitet werden können. Da Eon die Daten der Bewerber zentral erfasst und speichert, muss sich ein Interessent nicht erneut bewerben. Ikemann und seinen Kollegen bleibt so mehr Zeit für die "qualitative Personalarbeit", nachdem die Prozesse für die Beschaffung verbessert wurden.

Siemens setzt auf Blobs und Podcasts

Hans-Christoph Kürn, Siemens: "In bestimmten Feldern haben wir massive Probleme, Stellen adäquat zu besetzen."
Hans-Christoph Kürn, Siemens: "In bestimmten Feldern haben wir massive Probleme, Stellen adäquat zu besetzen."

Rund 75 000 Bewerbungen pro Jahr allein in Deutschland verzeichnet Eon, 220 000 müssen gar die 325 Recruiter des Siemens-Konzerns verarbeiten, davon 70 000 initiative. "Trotzdem haben wir in bestimmten Feldern massive Probleme, Stellen adäquat zu besetzen", räumt Hans-Christoph Kürn, Leiter E-Recruiting bei Siemens, ein. Deshalb setzt der Konzern nicht nur auf ein weltweites E-Recruiting-System, das vielsprachig verfügbar und den jeweiligen landestypischen Gegebenheiten angepasst ist. "Wir wollen dem Bewerber Gelegenheit geben, seine Individualität darzustellen", erklärt Kürn. "Und dazu gehört mehr als das Ausfüllen von aneinander gereihten Formularen und Unternehmensvorgaben." Auch wenn Stellenprofil und Bewerber im Moment nicht zusammenpassen, kann sich ein qualifizierter Interessent wieder melden und muss seine letzte Online-Bewerbung, die gespeichert ist, nur aktualisieren.

Derzeit versucht Siemens, das klassische Recruiting zu ergänzen: Zum Beispiel mit Videos in Stellenausschreibungen, in denen sich Chef und Team dem Bewerber präsentieren und ein Bild der zu besetzenden Stelle vermitteln. Oder mit Podcasts und Weblogs, in denen sich Mitarbeiter mit Kandidaten austauschen. "Wir wollen weg von der Stellenausschreibung hin zur Bewerbereinladung" so Kürn.