Fusionen

IT-Shops völlig neu aufstellen

26.11.1999
Cisco macht''s, Mannesmann macht''s, selbst die Deutsche Telekom kann''s nicht lassen: Mit Mergers and Acquisitions, der Königsdisziplin der Corporate Finance, wird die Landkarte der globalen Märkte neu gezeichnet. Für mehr Shareholder Value muß auch die Informationstechnik (IT) auf den Prüfstand. Winfred Gertz* hat sich in der Szene umgesehen.

Yüksel Özen ist nicht zu beneiden. Seit nunmehr drei Jahren plagt sich der IT-Manager des Kölner Reiseveranstalters ITS mit dem Aufbau eines Data-Warehouse herum. Kaum hat er Datenstrukturen und Reporting-Modelle einigermaßen im Griff, fährt ihm sein Management in die Parade. Denn die Übernahme der Airconti durch Deutschlands viertgrößten Tourismuskonzern bedeutet für Özen, das Rad wieder neu erfinden zu müssen.

IT-Manager wie er müssen derzeit einiges einstecken: Sind schon die meisten Data-Warehouse-Projekte kaum von Erfolg gekrönt, sind es Fusionen noch viel weniger. Zwei Drittel aller M&A-Projekte (Mergers and Acquisitions) scheitern, bestätigt Hubert Weber, General Manager des Instituts für M&A (IMA) an der Privatuniversität Witten/Herdecke. An Ursachen gibt es keinen Mangel: Im wesentlichen sind das mißachtete politische und kulturelle Spannungen beziehungsweise betriebswirtschaftliche Fehler, die von übertriebenem Egoismus geprägt sind. Eigentlich gehört die Riege der internationalen Topmanager auf die Schulbank und nicht ans Steuer des Unternehmenskarussells.

Kein Zuckerschlecken für die IT-Shops. Die täglich nachzulesenden Elogen auf die strategische Bedeutung der Informationstechnik müssen den Verantwortlichen sauer aufstoßen. Statt von Anfang an in die Planung eines bevorstehenden Mergers einbezogen zu werden, haben sie auszulöffeln, was ihnen CEOs, CFOs und smarte Consultants einbrocken. Das Problem: In der betrieblichen Praxis dominiert noch immer der unattraktive Ruf der DV als Kostentreiber. Abgesehen von einer Handvoll CIOs, die - wie böse Zungen behaupten - als Pappkameraden in illustrer Vorstandsrunde dilettieren, fristet die überwiegende Mehrheit der IT-Manager noch immer das triste Dasein subalterner Plan-Erfüller.

Dabei singen viele Merger das Hohelied der IT. Banken und Versicherungen, die Medien- oder Logistikindustrie erkennen in der Informationstechnik ihr Kerngeschäft, zimmern sich im Internet neue Startrampen für ihre Marketing- und Vertriebsraketen und stülpen traditionelle Absatzwege einfach um. Mit Megadeals wie der Fusion der Schweizer Bankgesellschaft und des Schweizer Bankvereins zur neuen UBS sollen Kosten reduziert und neue Wertschöpfungspotentiale erschlossen werden. Und in der Tat: In nur 18 Monaten nach der am 5. Dezember 1997 von beiden Verwaltungsräten beschlossenen Fusion wurden 2,5 Millionen Kunden migriert, 130 von 150 Doppelstandorten geschlossen, 26000 Moves durchgeführt, 56000 Installationen (PCs, ATMs) vorgenommen, acht Millionen Kundenbriefe verschickt und 23000 Mitarbeiter geschult.

Zoltan Majdik, verantwortlich für das IT-Integrations-Projekt der UBS, will seinen Stolz nicht verbergen. "Die ersten Synergien sind beträchtlich, denn jede Bank hatte einen ganzen Park an Automaten, Applikationen und Computern." Die Hälfte aller Applikationen wurde überflüssig, es gibt nur noch ein einziges Kommunikationsnetz. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Denn neben der Integration der beiden Banksysteme müssen auch Euro- und Jahr-2000-Projekte über die Bühne.

IT - der Dreh- und Angelpunkt einer Fusion

Ein kaum zu überbietender Streß. Und weil alles scheinbar reibungslos gelingt, verlangt der Vorstand nun nach neuen Entwicklungen. "Der Rückstau ist größer denn je", räumt Majdik ein. Über Arbeitsmangel brauchen sich die IT-Spezialisten wahrlich nicht zu beklagen.

Intimer Kenner der europäischen Fusionen von Banken und Versicherungen ist Stefan Spang. Für den McKinsey-Berater und Leiter des neuen Business Technology Office (BTO) in Frankfurt ist die Informationstechnik Dreh- und Angelpunkt einer Fusion. Unternehmen der Hochfinanz bringen demnach durchgängig integrierte Systeme ein, die mit hohem Aufwand aufeinander abgestimmt werden müssen. Mit geringeren IT-Integrationslasten konfrontiert sind Spang zufolge die Fusionen des Handels oder der Automobilindustrie. Synergien wie die Bündelung von Einkaufsmengen ließen sich - siehe Karstadt-Quelle-Neckermann - weitgehend über IT-Systeme erschließen.

Zum anderen sei die Integration modularer Bestandteile - wie in der Automobilindustrie üblich - problemloser zu bewältigen. "Viele Fusionen scheitern auch deshalb, weil die IT nicht zu integrieren ist", redet einer Klartext.

Doch die M&A-Welle ist nicht mehr aufzuhalten - insbesondere in Deutschland. Nach Angaben des IMA entfielen vom internationalen Transaktionsvolumen in Höhe von 2,3 Billionen Dollar 1998 bereits mehr als 2200 Transaktionen auf deutsche Beteiligungen mit einem Marktvolumen von 442 Milliarden Mark. Wie die Unternehmensberatung A.T. Kearney in einer weltweiten Studie ermittelte, rollt die Fusionswelle nun besonders auf die stark zersplitterten Branchen Energieversorgung, Banken/Versicherungen und Telekommunikation/High Tech zu. Jedes zweite dieser Unternehmen plant derzeit eine Fusion oder die Übernahme eines Wettbewerbers. Doch nicht nur die Konzerne sind von heftigen Erschütterungen bedroht. Auch auf den deutschen Mittelstand kommen in den nächsten Jahren hohe Transaktionslasten zu.

Das hat erhebliche Konsequenzen für die IT. Wolfgang Braun, M&A-Geschäftsführer der Meta Group: "Um sich für die neuen Märkte zu rüsten und für potentielle Fusionen fit zu machen, müssen sich IT-Shops völlig neu aufstellen." Dafür gebe es mehrere Alternativen: entweder "Gemischtwarenläden" à la Debis Systemhaus selbständig am Markt agieren lassen oder IT-Firmen übernehmen, sofern partout keine DV-Spezialisten zu finden sind. Ferner biete sich an, IT-Organisationen zur Kapitalbeschaffung an die Börse zu bringen oder professionelle Line-of-Business-Organisationen (LOB) aufzubauen, weil 80 Prozent der IT-Funktionen noch Querschnittsfunktionen sind. Doch die Tücke steckt im Detail: Entscheidet sich ein Maschinenbauer, seine DV an die Börse zu bringen, steht er vielleicht bald mit leeren Händen da, weil der Spin-off vom nächstbesten Markteroberer kassiert wird. "Plötzlich hat der Maschinenbauer keine DV mehr."

DV-Protagonisten, die den Wandel von der weiland hierarchischen und von linearem Denken geprägten Welt in die flexiblere und im Grunde unvorhersehbare Zukunft mitmachen wollen, haben alle Hände voll zu tun. Um "Maturity" zu erlangen, müssen altgediente DVler und von traditionellen Paradigmen infizierte Jungspunde die Sprache der anderen erlernen. Braun: "Sie müssen ihre Leistungen im Finanzjargon erklären und in der Sprache der Wertschöpfung argumentieren."

Doch während Braun optimistisch davon ausgeht, daß es sich bei der Gruppe der DV-Entscheider um die "derzeit schnellsten Lerner" handelt, warnt IMA-Mann Weber vor allzu hohen Erwartungen. "Mindestens ein Drittel aller IT-Leute wird das neue Spiel nicht mehr beherrschen." Wer das gleichermaßen unvorhersehbare und von Paradoxien geprägte Business in den Denkmustern der total plan- und beherrschbaren Maschine angehe, müsse scheitern. "Die alten Ordnungen der Benutzer- und Lieferantenbeziehung, als sich IT und Business nicht verstanden, weichen dem Modell der Partnerschaft, wo alle an einem Tisch sitzen und sich zumindest verstehen wollen." Die Türme, in die man sich zur Verteidigung seiner Existenzberechtigung zurückziehen könnte, fallen wie Dominosteine um. Im Unterschied zur hierarchischen Organisation werde künftig jeder gezwungen sein, mit jedem anderen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens zurechtzukommen.

Dies hat Konsequenzen. Im Netzwerk wartet man nicht auf die Zuteilung einer neuen Aufgabe oder auf die höher dotierte Position. Sondern stellt sich der Frage: Wo sind die erfolgversprechendsten Projekte? Ob der dafür geeignete Charakter sich unbedingt in klassischen IT-Shops tummelt, dürfte stark bezweifelt werden. Weber legt noch einen drauf: "Um in turbulenten Zeiten zu überleben, muß die IT vom Passenger Seat auf den DriverSeat." Beispiele gefällig? IT-Player wie Intershop oder Teles erzählen "Sexy Stories" und sacken viel Geld ein. "Fonds-Manager und selbst Versicherer lassen sich davon betören", weiß Meta-Group-Mann Braun. "Sie investieren am meisten." Alle wollen am boomenden Internet-Business teilhaben.

Doch der Erfolg der Dot.coms ist für die industriellen IT-Shops so nah wie der Mond. Projektleiter, Softwareentwickler und Netzadministratoren haben ganz andere Sorgen. In der Post-Merger-Phase geht es ums Ganze. "In der IT-Abteilung", kritisiert Andreas Gentner, Partner von Arthur Andersen in Stuttgart, "werden Fusionen oft als feindliche Übernahme oder üble Kolonialisierung verstanden." Die Gründe werden nicht hinreichend kommuniziert, die Ziele nicht deutlich formuliert. Konnte man die Entscheidungen der Top-Etage ohnehin kaum noch nachvollziehen, droht jetzt die große Vertrauenskrise.

Harte Entscheidungen stehen an, und in politischen Grabenkämpfen geht es ans Eingemachte. In der Regel steht eine der beiden Systemwelten vor dem Aus. Wer hört schon gern "Eure Zeit ist abgelaufen"? Und, als wäre das nicht genug - obwohl Identität und Aufgabe zerstört sind, muß die Mannschaft für die Dauer der Integration bei der Stange gehalten werden. "IT-Spezialisten schaufeln ihr eigenes Grab", beobachtet McKinsey-Mann Spang. Bleibt nur das Outsourcing oder die Gründung einer neuen IT-Organisation. Aus der Sicherheit heraus ins Risiko hinein - das ist die realistische Perspektive.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.